Stundenlange Schlangen vor Tokio Hotel, Schweiß und TRÄNEN im Spiegelzelt, Lichtermeere im Zirkuszelt – von lokalen Newcomern über das Who-is-Who der deutschen Indie-Landschaft bis zum ganz großen Playlist-Pop hat das ZMF dieses Jahr einiges geboten. Die schönsten Erinnerungen unserer Redakteur*innen findet ihr in diesem Beitrag als Chronologie.
Jeremias
Großes Zelt, gute Stimmung und schwüle Hitze. Am Mittwoch, dem 17.07. war die fünfköpfige Indie-Pop-Band Jeremias auf dem ZMF. Für eine gute Stimmung zu Beginn sorgte als Voract der Newcomer Zartmann, der zuletzt mit großem Erfolg seine dafür bin ich frei-EP veröffentlicht hat. Der Künstler bezeichnet seinen Sound als Berliner Indie-Rap und viele der Jeremias-Fans singen bei seinem Auftritt mit.
Nach einer kurzen Umbaupause kommen die Jeremias auf die Bühne und vollbringen etwas, das man nur als die perfekte Selbstinszenierung bezeichnen kann. Alles sitzt fehlerfrei, die wechselnden Positionierungen des Lead-Sängers auf der Bühne, die häufigen Stimmungswechsel in der Musik und ein weiter Gitarrenwurf über die halbe Bühne.
Der Gitarrist stattet dem Publikum kurz vor Ende einen Besuch statt, es gibt ein mitreißendes Saxofon-Solo und das Konzert endet mit vier Zugaben inklusive Medley von all den Hits, die an diesem Abend leider keinen Platz mehr hatten. Alles untermalt von einer genau darauf abgestimmten Lichtershow, die von hinter der Band, großartige Bilder und eine ganz tolle Stimmung erzeugt.
Nach dem Konzert sind die Fans ekstatisch, alle Lieblingssongs wurden gespielt und das begleitet von einer magischen Stimmung. Egal ob Grüne Augen lügen nicht, Egoist, Wir haben den Winter überlebt oder Julia, alles ist dabei. Für einige der Anwesenden scheint es einer der ersten Konzertbesuche gewesen zu sein. Was es noch einmal mehr besonders macht. Ein Abend der in vielerlei Hinsicht in Erinnerung bleibt.
Voodoo Jürgens
Wiener Schmäh mit Tiefgang und einer ordentlichen Portion Musikalität im Badische Zeitung Zelt. Am Mittwoch den 17.07. war der Wahlwiener Voodoo Jürgens mit seiner fantastischen Live-Band Ansa Panier zu Gast auf dem ZMF. Die Zeitschrift Wiener deklarierte Voodoo Jürgens einst als den künftigen Fixstern am Austropop-Himmel, der ist er mittlerweile ohne Zweifel geworden, dementsprechend gut besucht ist das Konzert.
Die Band tritt gewohnt professionell und zurückhaltend auf und lässt Voodoo Jürgens ausreichend Raum für seine charismatische Art seine Lieder zu performen und dem Publikum zu fast jeden Song eine kleine meist humorvolle Anekdote zu erzählen.
Voodoo Jürgens und Band wissen es, ein Publikum in ihren Bann zu ziehen, was nicht nur durch ihr Auftreten deutlich wird, sondern auch in der Songauswahl, die einen bunten Mix all seiner Alben abbildet und deren Reihenfolge ausgezeichnet gewählt ist.
Das Konzert beginnt sehr ruhig und plänkelt – im positivsten Sinne – vor sich hin, ohne dabei an Spannung zu verlieren. Es fühlt sich ein wenig an wie der vielversprechende Anfang einer Kneipenabends, von dem man noch nicht weiß, wo er hinführen wird.
Dass die Band von sanften melancholischen Melodien, die zuweilen in jazzige Territorien vordingen bis hin zu noisigen Drones alles meisterhaft beherrschen, stellen sie an diesem Mittwochabend mehrfach unter Beweis. Auch seine bekannteste Nummer „Heite grob ma Tote aus“ ist Teil des Programms und wird vom Publikum gefeiert und zu großen Teilen lauthals mitgesungen.
Der einzige Wermutstropfen des Abends ist der „frühe“ Beginn um 20:30 Uhr, durch die Verglasung des Zeltes strömt noch Tageslicht aufs Parkett, dabei klingt Voodoo Jürgens doch eher nach einem verrauchten Beisl bei Nacht.
Nach 4 Zugaben und einer Spielzeit von fast 2 Stunden ist das Konzert beendet und unter großen Applaus verlassen die Musiker die Bühne, das Publikum scheint erschöpft, aber zufrieden. Wohin diese „Kneipennacht“ geführt hat, müssen die Besucher:innen für sich selber wissen, eine schöne Erinnerung hat er aber sicherlich geschaffen und vielleicht auch die ein oder andere Geschichte, die man sich in Zukunft erzählen wird.
Giant Rooks
Zurück von ihrer US-Tour als Support-Act für Louis Tomlinson fand die fünfköpfige Band aus Hamm am 18.07. ihren Weg nach Freiburg. Kurz nach neun stürmte die Band, angeführt von Fred Rabe, auf die Bühne und wurde lautstark von einem tobenden Publikum empfangen. Auffällig war, dass dieses sehr durchmischt war und jede Altersklasse, abgesehen von den ganz Kleinen, repräsentiert war.
Ohne viel Worte zu verlieren, stimmte die Band das Lied „For You“, den Opener ihres neuen Albums How Have You Been an und begeisterte das springende Publikum somit von Beginn an.
Die Euphorie der Zuschauer ließ nicht nach, sondern steigerte sich von Song zu Song, was neben der Musik auch an der detaillierten Inszenierung lag. Auffallend war hierbei der Einsatz von Licht, welcher seinen Höhepunkt während der Performance von „Fight Club“ fand, bei welchem die gesamte Bühne in rotes Licht getaucht wurde und nach und nach von weißem Licht durchbrochen wurde und somit ein eindrucksvolles Bild hinterließ.
Neben dem Lichteinsatz begeisterte auch die Performance selbst. Ein Highlight der Performance war ein auf dem Klavier stehender Fred Rabe, von welchem er seine Gitarre im hohen Bogen in die Arme der Technik und sich anschließend selbst in die Arme seines jubelnden Publikums warf.
Der Leadsänger navigierte den Abend mit seiner energetischen und charismatischen Art und überbrückte Umbaupausen geschickt mit kleinen Anekdoten, wie zum Beispiel dem ersten Auftritt der Giant Rooks in Freiburg, als Vorband für Von Wegen Lisbeth, welcher laut seiner Aussage im Jazzkeller stattfand, wobei sich ein Großteil der Zuschauer insgeheim sicher war, dass er das Jazzhaus meinte.
Voller Euphorie beschrieben die Fans, von denen einige sogar aus Berlin angereist waren, den Auftritt als „atemberaubend“, „einzigartig“ und „aufregend“. Jahrelange Fans sowie Zuschauer, die durch das Konzert zum ersten Mal in Berührung mit der Band kamen, sind sich einig: Dieser Abend hat auf jeden Fall Wiederholungsbedarf.
Tränen
Badische Zeitung Zelt, ZMF, der 19 Juli: Es ist ein heißer Tag auf dem Mundenhof, als das Indie-Pop Duo TRÄNEN zum ersten Mal in Freiburg spielt. Die Stars des Abends sind Gwen Dolyn und Steffen Israel, zwei sympathische und publikumsnahe Musiker*innen: Bereits beim Pre-Act, Das blanke Extrem, blinzeln die zwei interessiert durch den Vorhang aus dem Backstage. Fairerweise, muss man dazusagen! Sowohl Das blanke Extrem – eine Freiburger Band – als auch das Publikum im Zelt, sorgen bei Post-Punk-Klängen für eine solide Stimmung am Sommerabend.
Und dann kommen sie auf die Bühne, vorbei an einem Schaukelpferd, das vor dem Backstage steht: Gwen Dolyn in roten Zweiteiler und Steffen Israel in rosa Hemd, verziert mit zwei Rosen-Patches auf den Schlüsselbeinen – und natürlich mit Bolo-Tie. Die Ästhetik des Duos zieht sich auch im Laufe des Abends durch, als Gwen und Steffen schließlich ihre Cowgirl & Boy Hüte aufsetzen und sagen, sie haben das schon vor dem Hobby Horsing Trend für sich entdeckt.
TRÄNEN liefern Indie-Pop Lieder mit Hitpotential, live genauso authentisch, wie auf den Studioaufnahmen – und das mit viel Energie und Spaß. „Mitten ins Gesicht“ oder „Duell der Letzten“ sind dabei natürlich die tanzbaren Titel. Bei den Fans werden sie aber mindestens genauso stark gefeiert, wie die tiefehrlichen, langsamen Tracks: Zum Beispiel der Album Opener „Es ist nicht wie es aussieht“ oder „Kapitulation“, in dem sie das Patriarchat anprangert.
Man frage sich ja immer, wie die low-Tempo Lieder bei den Fans live ankommen, sagt Gwen und freut sich vor allem über einen Fan in der ersten Reihe „Du kannst ja jedes Lied komplett auswendig!“ Einmal bekommt die Person sogar das Mikro hingehalten. Zwischen den Tracks des Debutalbums Haare eines Hundes ist immer wieder Zeit für kleine Anekdoten, die so ehrlich daherkommen wie die Musik, die TRÄNEN macht.
Gwen erzählt von Panikattacken, unter denen sie leidet und davon, dass es auf dem Debut auch um Depressionen geht. Später holt sie Irmgard nach vorne, eine uralte Werwölfin, die erst erwachen muss. Die Werwolfspuppe auf der Bühne lässt, nachdem Gwen sie anschaltet, ihre Augen rot aufleuchten, macht dabei kleine Bewegungen und gibt fauchende Sounds von sich.
Zum Schluss gibt es noch eine kleine Wall of Love zu „Stures dummes Herz“, in der das Publikum liebevoll aufeinanderzuspringt und danach „Ein ganz neuer Track, vielleicht gefällt er euch“ und der geht so los: „Her name is Noel, I had a dream about her…“ – ausgelassene Stimmung zu „Teenage Dirtbag“ am Ende des Auftritts im Badische Zeitung Zelt! Das TRÄNEN Konzert auf dem Zelt Musik Festival war liebevoll und lässt hoffen, dass das Duo wieder nach Freiburg kommt.
Tokio Hotel
Es ist voll im Zirkuszelt am 23. Juli, als „I wanna dance with somebody“ laut durch die Boxen dröhnt und das generationsübergreifende Publikum dem Track von Whitney Houston alle Ehre erweist. Jugendliche mit ihren Eltern und Millenials tummeln sich im Zuschauerraum genauso wie Emos, von denen ich vor dem Konzert dachte, sie das letzte Mal 2008 so zahlreich gesehen zu haben. Emo‘s not dead, I guess. Die Fans sind in Topstimmung, haben Schilder gebastelt und ihre schillerndsten Outfits an, Glitzer im Gesicht oder Leuchtarmbänder an ihren Handgelenken.
Dann endlich fällt der Vorhang! Aber wo sind die Jungs vom Tokio Hotel? Durch Dunst und Nebel erkennt man beim ersten Track nur die Silhoutten der Bandmitglieder, die auf den Podesten weit hinten auf dem Bühnenbild stehen.
Der Nebel verzieht langsam und Bill kommt nach vorne: In Diskokugeloutfit weht sein blondes Haar durch die vielen Windmaschinen, als wäre er jetzt schon mitten im Monsun. Was für ein Look! Ganz anders ist das Outfit seines Zwillingsbruders Tom: Ganz in schwarz mit Tanktop, durch seine langen Haare kann man kaum sein Gesicht erkennen. Mit voller Power liefern Tokio Hotel erstmal vier Tracks, Bill springt und tanzt von links nach rechts über die Bühne. Dann wird das ZMF Publikum begrüßt: „Hallo Freiburg“. Bill erzählt, dass heute sowohl Fans aus Japan, als auch aus Südamerika angereist sind und fragt „Where you at?“
Es werden Kuscheltiere und Slips auf die Bühne geworfen – manches ändert sich ja bekanntlich nie! Anderes hingegen schon: Während Tokio Hotel in den frühen Alben der 2000er hauptsächlich auf Deutsch getextet haben, sind die neuen Tracks auf Englisch. Immerhin bespielen Tokio Hotel schon seit ihren Anfängen internationales Publikum – they ARE big in Japan! Aber für jede*n war auf dem Zelt Musik Festival etwas dabei: So wurde neben „White Lies“ oder dem Serien Intro von Kaulitz & Kaulitz, „Home“, zum Beispiel „Spring nicht“ vom 2007 Album Zimmer 483 gespielt.
Insgesamt hatte Bill übrigens, passend zum Genremix der Band, drei Outfits: Nach dem silbernen Disko-Fit kam der Emo-Fetisch-Look, mit Lackgürteln und ganz in schwarz, gefolgt vom – wie Bill es selbst nannte – Hochzeitskleid, einem weißen glitzernden Einteiler. „Wenn mich niemand heiraten will, dann heirate ich eben mich selbst!“, sagt Bill selbstbewusst und die Fans jubeln ihm zu.
Eigentlich wurden alle großen Hits gespielt, auch „Fahr mit mir (4&4)“, bei dem das Feature von Kraftklub eingespielt und das Musikvideo über die Leinwände gezeigt wurde. Zu guter Letzt durfte auch „Durch den Monsun“ nicht fehlen. Ich gebe zu, lauthals mitgesungen zu haben, vielleicht hatte ich auch ein bisschen Gänsehaut. Aber die Stimmung im Publikumsraum hat mir gezeigt: Damit war ich nicht alleine!
Nouvelle Vague
Bossa Nova ist New Wave ist Nouvelle Vague – die legendäre französische Jazzpop-Combo beehrt an diesem Juliabend das ZMF-Publikum. Ein Sommergewitter treibt die Meute ins belgische Spiegelzelt mit seinen Hängelampen, Sitzecken und Buntglasfenstern. Über allem hängt die (noch) bewegungslose Discokugel als Vorbotin – schamlos kitschig, genau richtig.
Nouvelle Vague treten auf und lösen ein, was die Atmosphäre verspricht: Mit brillianter Leichtigkeit bringen sie Bossa Nova-Interpretationen von 80er-New Wave auf die Bühne. Mit klarem Konzept, ein wenig verschroben, uneitel, charmant – das funktioniert nicht nur auf Platte, das geht auch live vollkommen auf.
Es ist ein ungleiches Sextett, das da auf der Bühne steht: Die Sängerinnen Mélanie Pain und Phoebe Killdeer tragen die Band, die Stimmung, den Abend. Beinahe fragil beugt sich währenddessen der Gitarrist über seine Instrumente und Bandgründer Marc Collin wandert nervös mit seinem E-Kontrabass zwischen den Instrumentalisten umher.
Bande á part heißt die 2006er Platte und für die Bühnenperformance stimmt das irgendwie auch. Was alles zusammenhält und -bringt ist allein die Musik, sind die Lieder der Anderen. Die Musiker*innen hauchen den alten Schinken neues Leben ein, drehen die Songs trickreich um und machen sie sich zu eigen. Das gilt vor allem dann, wenn sie im trüben Wasser fischen: die düsteren oder brutalen Stück von Dead Kennedys oder Joy Division. Das war in den frühen 2000ern auch der Kern von Nouvelle Vague: 80s Punk- und New Wave auskramen und in Easy-Listening umdeuten, neu erfahrbar machen. Die Sängerinnen durften die Originale nicht kennen.
Das ist jetzt 20 Jahre her, mittlerweile dürfen auch Gassenhauer auf die Cover-Liste – die aktuelle Platte kommt mit The Clash und „Should I Stay Or Should I Go”. Wo das Original noch mit Normen bricht und Folklore von Protopunk-Ästhetiken zerschlagen wird, wirkt die Nouvelle Vague-Version in ihrer klassischen Combo-Besetzung eher wie eine hüftprothesengerechte Bagatellisierung.
Das Publikum freut sich trotzdem (oder deswegen?), man trifft hier vor allem Leute in ihrer zweiten Lebenshälfte. Dementsprechend wenig bietet Freiburg an diesem Dienstagabend an. Kaum tanzen, kaum mitsingen, verhaltener Applaus, wenn nicht direkt dazu aufgerufen wird. Kurz wünscht man sich rüber zu Tokio Hotel (da war es laut!).
Irritationen dann beim zweiten ‚letzten‘ Song des Abends, „This Charming Man“. Wider Erwarten der Sängerin kann man hier mit den Smiths wenig anfangen. Nach ein, zwei wenig erfolgreichen Animationsversuchen bringen Nouvelle Vague den Abend abgeklärt über die Bühne. Es folgt ein letztes ritualisiertes Zugaben-Auf-und-Ab, die müde Meute wacht nochmal auf, trampelt und klatscht die Band zum erfolgreichsten Hit zurück („In a Manner of Speaking“) und das wars dann auch. Plausch am Merch-Stand, Becher abgeben, raus in die Nacht. Für die meisten hier geht’s wohl ab ins Bett – ist ja auch fast 10.
Mando Diao
Headliner des Abends war das schwedische Urgestein Mando Diao. Nachdem die Vorband Kids of Adelaide, eigentlich Stuttgarter, dem Zirkuszelt-Publikum ordentlich einheizten, ließen Mando Diao ziemlich auf sich warten und die Menge wieder abkühlen. Frostig wurde es vor allem dann, als Frontsänger Björn Dixgård sein Hemd auszog und das nächste Lied nur den Frauen im Zelt widmete. Urgestein, weil ziemlich 2002…
Das Aus Der Jugend
Als Teil des Actionprogramms machte dieses Trio dem eintrittsfreien Angebot des ZMF alle Ehre. Die Band sorgte mit ihren abwechselnd schrillen und leisen Gitarren und Drums für ausreichend Action. Wie es sich also für eine waschechte (Nicht-)Punkband gehört, gab es neben Liedern zum Schubsen und Ausrasten wie „Boule“ oder „Eat the Rich“ auch welche zum Kuscheln wie „Im Wasserwerferregen“; Lieder aus ihrer im April erschienenen EP Wir zünden Papas Auto an. Vorgeschmack auf das kommende Album 2025 gab es auch schon – noch mehr Lieder, um sich wütend über die Reichen und Schönen und FDPler zu beklagen.
Faber
Am Freitag, den 1. August, spielte Faber im Zirkuszelt auf dem Zelt-Musik-Festival. Als Vorband trat die studierte Bratschistin Gina Eté auf. Sie war nicht nur als Solokünstlerin zu erleben: Mit Synthesizer und Loop-Station kreierte sie ihren eigenen Hybrid-Pop-Sound und kehrte anschließend als Sängerin und Viola-Spielerin in Fabers Band auf die Bühne zurück.
Auf einer Amphitheater ähnlichen Bühne stehen die Bandmitglieder aufgereiht und stimmen kirchenchoranmutend den Opener des jüngsten Albums Addio an. Der Klang des neuen Albums zeichnet sich durch viele Chorpassagen und eine komplexe Instrumentalisierung aus. Um diesen Sound auf die Bühne zu bringen ist die Band, die Faber begleitet im Vergleich zu den vorangegangenen Touren auf acht Personen angewachsen: zwei Streicherinnen, ein Bläser, Keys, ein Percussionist -allesamt mit Gesangstalent gesegnet – bilden den präsenten Chor, der das neue Werk Addio gerade so markant erscheinen lässt.
Das Publikum noch im Atemstillstand versetzt wird von ihrer Spannung schnell befreit. Faber betritt die Bühne. In weißes Licht gehüllt und mit obligatorischem Glas Weißwein in der Hand stimmt er „Du kriegst mich nicht zurück“ an. Das ausverkaufte Zirkuszelt wird von tanzenden Menschen verschiedenster Altersklassen zum Beben gebracht. Daran hat der euphorisch, fast schon frech grinsende Julian Pollina sichtlich auch seinen Spaß.
Nachdem die Albentitel fast chronologisch und fehlerfrei dargeboten wurden, verließ die Band mitten im Konzert erst einmal die Bühne. Faber steht jetzt alleine mit seiner Gitarre da und heizt der Menge mit Liedern aus seinen früheren Alben ein. Das Publikum zeigt sich bei Liedern wie „1000 Franken lang“ oder „Ihr habt meinen Segen“ textsicher und singt stimmgewaltig mit. Feuerzeug Lichtermeer inklusive.
Als die Band nach einigen Songs wieder zurückkehrt, merkt man, was man bei den letzten Songs vermisst hat: der beeindruckende Klang der vielen Musiker*innen und die so erreichte Komplexität im Arrangement geben Fabers Werken eine ganz andere, vollmundigere Note.
Dass die Musiker*innen Spaß auf der Bühne haben, zeigt sich auch in spontanen Improvisationen. Ob das abwechselnd von den Bandmitglieder*innen gesungene „Berlin, Berlin, Berlin“ oder die spontane Übernahme der Sängerin und Gitarristin Mel D.
Für den Song „Vivaldi“: Die offensichtlichen Textlücken während der beiden Jamsessions wurden vom Publikum gefüllt, das begeistert mitsang. Faber der währenddessen auf einer der letzten Treppenstufen des Bühnenbildes saß und eine Zigarette rauchte, kehrte zurück ans Mikro und beendet das Konzert mit dem Song „Leon“. Damit endet ein intensiver Abend voller Höhepunkte, von deren Energie das Publikum noch lange zehren wird.
Bilderbuch
Man könnte meinen, die vier gebürtigen Oberösterreicher hätten uns zum ersten Mal, neben Auftritten in diversen Metropolen, beehrt. Doch weit gefehlt! Vor ziemlich genau 15 Jahren besuchten sie Freiburg bereits im legendären „Swamp“ – einer Institution der hiesigen Subkulturszene, die vor allem Newcomer auf ihrer Bühne willkommen heißt. Das erzählte Maurice Ernst, der normalerweise für seine eher mysteriösen Auftritte bekannt ist an diesem Abend zwischen anderen auflockernden Anekdote. Nun stand ihr Name zum ersten Mal im Line-up des Zelt-Musik-Festivals, was eigentlich überrascht, da der Hype um ihr SCHICK SCHOCK-Album schon eine Weile zurückliegt.
Obwohl das Zelt nicht ausverkauft war, stieg die Spannung, als das Intro der neuen Single „Softpower“ die noch leere, weiß erleuchtete Bühne erfüllte. Spätestens als Sänger Maurice Ernst, halb im schicken weißen Hemd mit Krawatte, halb verrucht behangen mit Nerzschwänzen und Handschellen an der Hüfte, die Bühne betrat, tobte das Zelt – von der ersten bis zur letzten Reihe herrschte Beatles-ähnliche Euphorie.
Nachdem auch die neuesten Singles „Dino“ und „Digitales Wunder“ zum Besten gegeben wurden, lösten die hypnotischen Gitarrensoli von Michael Krammer – der mit konzentriertem Blick auf Gitarre und Loopstation neben Maurice Ernst das zweite Zentrum der Aufmerksamkeit war – im zehnminütigen „Digitales Wunder“ die Menge in Trance auf.
Diese wurde jedoch abrupt durch den Einsatz älterer SCHICK SCHOCK-Klassiker wie „Gigolo“ wieder aufgelöst, was vor allem die langjährigen Fans zurück in das sorglose Jahr 2015 katapultierte. Neben den ganz neuen und alten Hits wurden auch zahlreiche Tracks aus dem zuletzt erschienenen Album Gelb ist das Feld sowie den Schwesteralben Vernissage My Heart und Mea Culpa gespielt.
Die 85-minütige, kurzweilige Show brachte das Zirkuszelt bis zum Ende der Setlist zum Schwitzen. Als das Publikum lautstark Zugaben forderte, entschieden sich Bilderbuch, den Abend mit einem zusätzlichen, nicht eingeplanten Song „Willkommen im Dschungel“ aus SCHICK SCHOCK triumphal zu beenden.
Levin Liam
Zwei Stunden bevor das Spiegelzelt seine Pforten am 03. August für das Konzert von Levin Liam öffnete, versammelten sich bereits mehr als 20 Fans, um sich ihren Platz in der ersten Reihe zu sichern. Aber auch nach Einlass und offiziellem Beginn, mussten sich die Konzertbesucher*innen noch eine Weile gedulden.
Irgendwann ertönte Levins Stimme aus dem Backstage mit der traurigen Ankündigung, sein Drummer falle aus privaten Gründen aus. Mit weiterer Verzögerung trat Levin endlich, gefolgt von DJ Manu Owusu und Gitarrist/Producer barsky, auf die Bühne des Badische Zeitung Zelts und spielte sein bisher längstes Festival-Set. Der unerwartet holprige Start wurde sofort mit dem Opener „Uber X (Kathryn’s Song)“ wett gemacht. Auch sein erster deutschsprachiger Song Keine Geduld, der 2021 rauskam, durfte nicht fehlen.
Schnell war klar: Fans der 1. Stunde waren auch anwesend. Das besondere auf dem ZMF ist, dass Festivalbesucher*innen sich gezielt für einen Act eine Konzertkarte kaufen. Das merkte Levin an und bedankte sich bei seinem Publikum für diese neue Erfahrung – es sei fast wie auf Tour.
Wer den Hamburger kennt, weiß, dass er neben Songs mit Einflüssen aus Hip-Hop, R’n’B, Indie und Soul, viele Songs mit Streichern und Klavier in petto hat. So wird seine Setlist neben 808 Beats auch von drei aufeinanderfolgenden Songs am Klavier erweitert. Auffällig hierbei ist die plötzliche Zurückhaltung des Publikums bei den ruhigeren Songs mit Neo-Klassik Einflüssen, was Levin belustigt kommentierte und die Menge dazu ermunterte, auch hier mitzuviben.
Vielleicht lag das auch an dem sehr jungen Publikum: schaute man sich in der Menge um, war man von Gen Z/Alpha umgeben. Die meisten immer mit Handy in der Hand, um jeden Moment aufzunehmen. Aber Spätestens bei seinem Hit „Mann vom Fach“, der sogar zweimal performt wurde, sind die Hemmungen gefallen und der Holzboden des belgischen Spiegelzelts bebte.
Neben Tracks aus seinen vorangegangenen EPs durften die Doppelsingle „rauch“ und „leben lang“, sowie seine mittlerweile neuste Singleauskopplung „trauen“ nicht fehlen und gaben somit einen Vorgeschmack auf die Stimmung seines kommendes Albums gesicht verlieren, was im Herbst dieses Jahres erscheint.
Der Ausfalls des Drummer machte sich dann doch bemerkbar. Immer mal wieder musste sich Levin mit DJ Manu Owusu besprechen, was die eben noch erlangte ekstatische Stimmung brach, wobei das irgendwie an Levins Skits erinnerte, die zu seinem collageartigen Text- und Musikstil passen und gleichzeitig eine Nahbarkeit zu ihm als Künstler schufen.
Über eine Sache waren sich vermutlich alle Konzertbesucher*innen einig: Als sich der Abend dem Ende zuneigte, Shirts am Körper klebten und sich die Luft immer verbrauchter anfühlte, kam es zu einer unerwarteten Wendung. Für die Zugabe – und hier waren sich alle einig – fehlte auf der Setlist noch der banger „Bee Gees“, ein feature mit dem Rapper OG Keemo.
Nach erneuter kurzer Besprechung mit dem DJ fragte Levin ins Publikum, wer sich der Aufgabe gewachsen fühle, den Part von Keemo zu übernehmen. Daraufhin meldete sich Finn, der zur Überraschung aller, eine einwandfreie Performance hinlegte und somit einen unvergesslichen Abend bescherte.
Das Lumpenpack
„Gymnasiasten-Punk“ zum Festivalabschluss am 04. August im Spiegelzelt. Das Lumpenpack, seit 2020 eine fünfköpfige Band, kombiniert ihren poppigen und rockigen Sound mit ziemlich eingängigen humoristischen Lyrics. Das Publikum bestand eher aus ehemaligen Gymnasiasten, vielen Pädagogen und Pädagoginnen, die zum gleichnamigen Hit den Holzboden kräftig zum Beben brachten.
Frontsänger Jonas Meyer leitete mit viel Witz durch den Abend, was an seine Tage in der Comedy-Branche erinnert. Für genügend abwechslungsreiches Programm sorgten neben Hits wie „Hauch mich mal an“ auch ungewöhnliche Requisiten.
So stagedivten die beiden Gründungsmitglieder Jonas Meyer und Maximilian Kennel in einem aufblasbaren „Ford-Fiesta“ während sie den gleichnamigen Song performten. Die Band erinnerte sich an die kochende Hitze im Spiegelzelt zurück, einige Jahre zuvor performten sie hier schon einmal. Um dies gebührend zu feiern, schickten sie einen Koch mit überdimensionalem Kochlöffel in die Mitte des Saals und begann das Publikum in kreisenden Bewegungen zum kochen/tanzen zu bringen. „Die erste Menschensuppe, die jemals gekocht wurde“, so Frontsänger Jonas Meyer.
Das Konzert endete mit tosendem Applaus und einer Tourankündigung für 2025.