Als sie sich im Jahr 2018 aus dem anhaltenden Trubel um ihre Band Alabama Shakes zurückzieht, befindet sie sich inmitten einer Schreibblockade. Nach zwei erfolgreichen Alben, und weltweitem Tournee Trubel muss sie sich jetzt mal nur auf sich selbst konzentrieren. In diesem Prozess der Selbstfindung setzt sie sich mit ihrer Vergangenheit auseinander: Rassismus Erfahrungen, sexuelles Erwachen und Themen persönlicher Identität & Spiritualität. Daraus entstehen Songs, die mal zärtlich klingen wie Stay High, gewohnt groovig wie Goat Head oder schizophren aufgewühlt wie der Opener History Repeats. Eine kohärente Erzählung ergibt sich daraus nicht. Ganz im Gegenteil fühlt sich Jaime dringend und augenblicklich an wie eine Aneinanderreihung willkürlicher Tagebucheinträge; jede Reflexion, jeder Schmerz scheint wie plötzlich aus Howards Unterbewusstsein herauszubrechen und sich unvermittelt zeigen zu wollen.
Ihr Sound dabei deutlich progressiver als mit ihrer Band den Alabama Shakes, ihre Kompositionen ungebändigt, fast schroff. Das Ergebnis, sind Songs die sich immer leicht unvollständig, schräg und unsicher anfühlen. Auf die schwersten, seltsamsten und tiefsten Werke (13th Century Metal) folgen die zugänglichsten und aufregendsten Liebeslieder (Georgia). Howards These ist einfach: Der Mensch ist widersprüchlich, komplex und unser Unterbewusstsein voller wilder Schwankungen und subtiler Umdeutungen.
Auf einer ständig wechselnden Palette von Rock-, Soul-, und Jazz-Hybrid-Grooves von süß zu traurig schwankt Brittany Howard so durch wunderschön verwirrende Arrangements und fragmentäre Erzählungen. Jaime ist aufrichtig dynamisch und absolut unvorhersehbar, läuft manchmal aus dem Ruder und fängt sich wieder in tiefgreifend hypnotischer Musik – mein Highlight 2019.
Auf zukunftsgewandt flickenartigen Songs zwischen teils rumpelnd schiefen Drums, melodischem Gitarrenlärm und vielseitigem Gesang zeigt sich Brittany Howard hier von ihrer bisher experimentellsten Seite.
Lässig und unaufdringlich zeigt sich uns Jaime als mutige Weiterentwicklung des retro-orientierten Sounds der Alabama Shakes hin zu progressiveren, zukunftsgewandt flickenartigen Klangkompositionen zwischen teils rumpelnd schiefen dilla-esquen Drums, melodischem Gitarrenlärm und vielseitig kraftvoll-bittersüßem Gesang. Zusammen mit Co-Produzenten Shawn Everett, der bereits an der klanglichen Weiterentwicklung der Shakes auf »Sound & Colour« beteiligt war, zeigt sich Brittany Howard hier von ihrer bisher experimentellsten Seite in fast jeder erdenklichen Hinsicht: Nicht nur ihr vielschichtiges Soundgewand, ihr riskanter Einsatz musikalischer Brüche und Stil Aneignungen, sondern auch ihre zutiefst persönliche Erzählweise genießen Sonderstatus in ihrer Diskographie und stehen damit zu Recht am Anfang eines neuen Abschnitts ihrer Karriere als Musikerin.