Von der Bühne vor den Schreibtisch
Das Unileben, wie es Student*innen kennen, gibt es nicht mehr. Zu Beginn der Corona-Pandemie waren die Kollegiengebäude verschlossen, die UB menschenleer, die Lehre fand und findet online statt.
Das studentische Theaterkollektiv MundWerk lässt sich davon nicht abhalten. Da die Einschränkungen gemeinsame Proben unmöglich machen, haben auch sie diese kurzerhand in eine Videokonferenz verlegt. Rebekka Bunuma, Regisseurin bei MundWerk, gibt einen Einblick, wie der Theaterleidenschaft auch von Zuhause aus nachgegangen werden kann.
Zeit und Freiheit sind Voraussetzung für Muße
Der Lockdown ab Mitte März hat viele Dinge ganz plötzlich verändert. Mitten in der vorlesungsfreien Zeit wurden sämtliche Aktivitäten gestrichen, Reisen verschoben und Treffen verboten. Zeit für ein kreatives Projekt! Aber haben wir in solchen Zeiten dazu auch die Muße? Die Autorin Maren Haase und der Mußeforscher Prof. Gregor Dobler sprechen darüber, was es bedeutet, Muße zu erleben und wie das gelingen kann.
Über das echte Erleben von Kunst
Vor dem Kolosseum in Rom stehen. Online. Egal zu welcher Tages- und Nachtzeit man den virtuellen Rundgang auch macht: Die Sonne scheint – warm wird es aber nicht. Es fehlen das Eis in der Hand, die Menschen, das Flair der Stadt …
Durch Corona entstehen immer mehr Online-Formate, die trotz physical distancing einen Zugang zu Kultur möglich machen. Damit sind sie unabhängig von Zeit und Ort. Diese beiden Aspekte spielen jedoch eine bedeutende Rolle für den Kulturkonsum. Für die Kunsthistorikerin Angeli Janhsen ist klar: Virtuelle Angebote können einen Besuch im Museum nicht ersetzen.
Frau Janhsen, wann haben Sie Ihre letzte Ausstellung besucht? Digital oder vor Ort?
Angeli Janhsen: Die aktuelle Ausstellung des Zentrums für Kunst und Medien (ZKM) in Karlsruhe ist erst jetzt öffentlich zugänglich, zuerst gab es sie nur online. Beides finde ich aber spannend! Digitale Ausstellungen besuche ich sonst eher selten: Lieber bin ich wirklich vor Ort und fahre auch mal weit, um etwas zu sehen. Als die Museen wieder öffneten, war ich in Frankfurt. Dort habe ich mir unter anderem die Ausstellung im Städel angesehen. Das war ganz leer, das hatte ich jahrelang nicht gesehen.
Sie sagen, dass Sie virtuelle Ausstellungen eher selten besuchen. Warum?
Beim virtuellen Rundgang muss man der Kamera folgen: Einstellungen, die jemand vorgibt. Wenn man vor Ort ist, entscheidet man selbst, wohin man geht, ob man jetzt einen Kaffee trinkt oder ob man dichter herangeht. Man geht frei. Und Kunst braucht das auch. Profis verfolgen dann natürlich auch noch ganz eigene Fragestellungen: Wie ist der Kontext, das Material, die Präsentation? Virtuelle Rundgänge sind meist eher Werbung.
Während der Corona-Einschränkungen habe ich selbst einige Online-Formate genutzt. Zum Beispiel bin ich virtuell um das Kolosseum in Rom gewandert, Verschaffen uns die Online-Formate einen Zugang zur Kultur?
Ja, das kann ich mir schon vorstellen. Man darf sich aber nicht einbilden, dass das virtuelle Angebot den Besuch ersetzen kann. So wie ein Foto eines Menschen den Menschen nicht ersetzt, ersetzt auch die Abbildung einer Ausstellung die Ausstellung nicht. Man muss sich dann sozusagen mit weniger zufrieden geben. Um einen Eindruck zu gewinnen, ist das sicher erst einmal okay. Aber ich würde immer dafür plädieren, wirklich da zu sein.
Was geht verloren, wenn wir Kunst digital betrachten?
Einerseits geht die Selbstständigkeit verloren, aber auch all das, was Künstler im Blick haben. Das, was mit dem Wirklichen zu tun hat, mit dem Haptischen und den Sinneseindrücken. Übrig bleibt nur das Videoformat. Bei zeitgenössischer Kunst ist das natürlich ein gravierender Einschnitt: Installationen, Musikvideos, Performances leben ja davon, dass der Betrachter mitmachen kann. Das kann man nicht reproduzieren und ins Digitale übertragen.
Sie haben sich mit der Frage beschäftigt, wie unsere Wahrnehmung bei Museumsbesuchen gelenkt wird. In Ihrem Buch ‚Kunst selbst sehen‘ sprechen Sie dabei explizit Audioguides an. Wie ordnen Sie nun die neuen virtuellen Angebote ein?
Audioguides steuern den Museumsbesuch: ‚Jetzt geh hier hin, jetzt hast du dies, hier hast du das …‘. Sie bringen einen nicht dazu, selbst zu entscheiden und Fragen zu entwickeln, die man hinterher lösen kann. Außerdem schaut auch jeder mit anderen Interessen, die Audioguides nicht vorhersehen können, da sie immer für alle gelten. Ganz ähnlich sehen ich das bei den Online-Formaten.
Die Ausnahmesituation wirkt sich nicht nur auf den Kulturkonsum aus, sie macht auch etwas mit den Künstler*innen, die ja häufig gesellschaftliche Stimmungen vermitteln wollen. Sie haben auch ein Buch mit dem Titel ‚Neue Kunst als Katalysator‘ veröffentlicht. In diesem beschreiben Sie den Katalysator wie einen Denkanstoß, bezogen auf die Moderne Kunst. Wirkt in diesem Sinne auch die Krise katalysierend auf Kunstschaffende?
Im Grunde ist alles, was einen aus der Bahn bringt, ein Katalysator für Neues. Immer, wenn man seine üblichen Wege nicht verfolgen kann, denkt man neu und erfindet sich neu. Künstler machen das natürlich auch. Ich kann mir schon vorstellen, dass man sich gerade jetzt fragt: Was ist mir denn wichtig? Was fand ich früher wichtig? Was hält? Was will ich für die Zukunft?
Es ist schon immer so gewesen, dass Menschen Krisen durchlebt haben und am Ende anders heraus gekommen sind. Das ist schon seit der Antike in der Vorstellung der Katharsis ein Phänomen, über das nachgedacht wird.
Kennen Sie aktuelle Beispiele von Künstler*innen, die auf die Ausnahmesituation reagieren und diese in ihre Kunst miteinbeziehen?
Bisher gab es während Corona für Künstler noch keine öffentlichen Orte. Sie halten sich, glaube ich, noch so ein bisschen bedeckt und brauchen mehr Zeit. Aktuell gibt es eine Ausstellung in Bregenz, die Kunst, die auf die Krise reagiert, zeigt. Erst jetzt gibt es ja überhaupt mehr Möglichkeiten, Reaktionen zu zeigen.
Inwiefern kann uns die Corona-Krise den Stellenwert von Kunst verdeutlichen?
Wenn man es ganz pragmatisch betrachtet, haben Künstler bisher wenig Geld bekommen. Es gab lange keine Ausstellungsmöglichkeiten, die Kulturinstitutionen öffnen als letzte, die Uni ist immer noch geschlossen und die Kultur vom öffentlichen Leben hat sich schon stark geändert. Wegen der Maßnahmen sind alle noch sehr unsicher.
Der Stellenwert von Kultur bemisst sich ja auch an dem Geld, das in den Bereich fließt – darüber wird gerade viel diskutiert. Ich könnte mir gut vorstellen, dass viele kulturelle Institutionen große Schwierigkeiten haben, dass Kinos oder auch der Zirkus eingehen. Insofern wird sich unsere Kultur ändern. Ihr Stellenwert zeigt sich jetzt: Zuallererst schaut man auf Konsum und auf die Wirtschaft. Hoffentlich bald auch auf die Kultur. Kunst ist eine Möglichkeit, die Welt zu verstehen. Das darf man doch nicht aufgeben!
Eine Gemeinschaftsproduktion von Bernice Waldvogel, Rebekka Wadle, Carola Theißen und Hannah Müller im Rahmen des Seminars „Einführung in den crossmedialen Journalismus“ für Studierende der Medienkulturwissenschaft.
Seminarleitung, Redaktion: Silvia Cavallucci, Karsten Kurowski, Ada Rhode.