Arabische Perspektiven auf Konsum
In Deutschland zieht das Thema des übermäßigen Konsums immer mehr Aufmerksamkeit auf sich. Doch wie sieht das in der arabischsprachigen Welt aus? Gibt es dort auch Greta Thunbergs? Unterscheiden sich die Einstellungen zu Nachhaltigkeit? uniCROSS hat mit drei Personen aus Syrien, Ägypten und Palästina über ihre Haltung zu Konsum gesprochen.
Nachhaltigkeit und Konsum scheinen heute ein antagonistisches Wortpaar zu sein. Weihnachten steht vor der Tür und – trotz Fridays for Future Bewegungen – ist auch für 2019 eine Zunahme des Umsatzes im Einzelhandel prognostiziert. Vieles ist in arabisch sprachigen Ländern anders als in Deutschland: Neben dem unterschiedlichen Wohlstand der Länder spielen auch die Religiosität und Geschichte eine wichtige Rolle im Kaufverhalten von Nationen. Darius von uniCROSS wollte wissen, inwieweit sich die Einstellungen zu Konsumverzicht und Nachhaltigkeit decken und wo sie sich unterscheiden und hat sich deshalb mit Anastasiya Khamashta, Mohamed Megahed und Adonis Fatra getroffen.
Anastasiya Khamashta ist 21 Jahre alt und nun seit drei Jahren in Deutschland. Sie kommt aus Bethlehem in Palästina.
Der 54-jährige Mohamed Megahed kam bereits 1992 nach Deutschland und arbeitet heute als Lektor für Arabisch im Orientalischen Seminar der Uni Freiburg.
Adonis Fatra ist 26 und kommt aus Syrien. Seit dreieinhalb Jahren lebt er in Deutschland.
Ist dir das Thema Nachhaltigkeit wichtig? Was verstehst du persönlich darunter?
A. Khamashta: Meine Ausbildung im Studium hat mir gezeigt, dass Nachhaltigkeit eine große Rolle spielt. Für mich ist Nachhaltigkeit etwas, was unterschiedlich definiert werden kann. Im Allgemeinen bedeutet es, dass etwas langfristig nachhaltig ist – in ökonomischer, sozialer und ökologischer Hinsicht.
M. Megahed: Ja, das ist mir wichtig. Ich verstehe darunter, dass man sein Konsumverhalten sehr bewusst betrachtet und nicht alles, was angeboten wird, in Anspruch nehmen muss. Und, dass man einen sehr viel bewussteren Umgang damit haben sollte.
A. Fatra: Das ist etwas schwierig für mich. Aber ich verstehe darunter, dass man etwas mehrfach verwenden kann. Und wenn man eine Sache nicht mehr benutzen kann, können vielleicht andere irgendwie davon profitieren oder sie erneuern.
Die in Deutschland sehr präsente Fridays for Future-Bewegung steht für einen Bewusstseinswandel – nicht nur in Bezug auf den Klimawandel. Es wird für einen nachhaltigen Lebensstil geworben und übermäßiger Konsum kritisiert, was beispielsweise durch den Begriff „Wegwerfgesellschaft“ ausgedrückt wird. Gibt es eine ähnliche Bewegung und ein ähnliches Bewusstsein in deinem Herkunftsland?
A. Khamashta: In Palästina ist es so, dass Nachhaltigkeit von der Politik abhängt. Nachhaltigkeit hat viel mit Ökonomie zu tun. Leider wird in unserer Gesellschaft zu viel von der Politik beeinflusst. Bei uns ist es so, dass Umweltprobleme induziert, also von außen herbeigeführt werden. Wir haben ganz viele Wasserprobleme und Stromausfälle, die auch Auswirkungen auf Nachhaltigkeit haben. In Palästina gab es vor ein paar Wochen, am 19. Oktober 2019, einen Aufstand beduinischer Kinder. Sie protestierten gegen die Maßnahmen, die Israel in Palästina vornimmt, zum Beispiel das Entfernen von Olivenbäumen. Von 1967 bis 2009 wurden fast 830.000 Olivenbäume entfernt, um israelische Siedlungen aufzubauen. Diese Aufstände fordern direkte Maßnahmen. So gab es beispielsweise Kinder, die Transparente mit dem Slogan „Environmental Rights = Palestinian Rights“ („Umweltrechte = palästinensische Rechte“) hochhielten.
M. Megahed: Das würde ich an dieser Stelle ausschließen, aus dem einfachen Grund, dass der Lebensstandard in Ägypten sehr niedrig ist. Das heißt man hat nicht so viel Geld, um viele Sachen kaufen und diese wiederum wegwerfen zu können. Das würde nur für die reichen Gesellschaften gelten. Für Ägypten würde ich das, bis auf wenige Ägypter, ausschließen.
A. Fatra: Leider nicht. Das interessiert das Volk und die Regierung nicht. Wir haben so viele andere Sachen zu tun, zum Beispiel essen, trinken, zur Arbeit gehen, den Strom warten und so weiter. Deswegen haben wir keine Zeit dafür.
Das arabische Wort für Konsum, istihlāk, ist deutlich negativer konnotiert als im Deutschen und hat die zusätzlichen Bedeutungen Abnutzung und Verschleiß. Der Grundstamm dieses Wortes, halaka, wird gar mit sterben, untergehen und ausgelöscht/vernichtet werden übersetzt. Hat das zur Folge, dass es im arabischsprachigen Raum einen kritischen Umgang mit dem Thema „Konsum“ gibt?
A. Khamashta: Ich glaube, dass das eine Rolle spielt. Vor allem ist aber wichtig, dass die Leute in Palästina im Allgemeinen deutlich ärmer als beispielsweise in Deutschland sind. Die Konsumenten sind die Wohlhabenden. In unserer Gesellschaft existiert ein nachhaltiger Lebensstil, weil die Leute weniger haben. Wir haben zum Beispiel in Palästina kein IKEA, weshalb die Leute zu einem Tischler gehen müssen, um Möbel zu bekommen. Diese werden dann aber auch häufig wieder weiterverkauft. Wir haben zwar auch Malls, aber deutlich weniger als hier in Deutschland. Die Leute ziehen allgemein häufiger in Erwägung, nur eine Sache zu kaufen, die sie dann aber auch länger verwenden können.
M. Megahed: Ich bin mir nicht so sicher, ob sich jeder Araber der Bedeutung dieses Begriffes im Klaren ist. Ich glaube nicht, dass man damit bewusster umgeht. Ich weiß nur, dass man aufgrund dessen, dass man nicht so viel Geld hat, wenig konsumiert und wenn man konsumiert, dann ist man sich sehr darüber im Klaren, was man kauft und, dass das nicht zu schnell weggeworfen werden muss.
A. Fatra: Ich glaube, dass so ziemlich alle arabischen Länder irgendwie gleich sind. Wie sie zum Beispiel auf solche Themen, wie Klimaschutz und Umwelt, eingehen. Das interessiert uns nicht so. Der Beweis ist, dass unsere Straßen immer so schmutzig sind. Wir kümmern uns nicht darum, wie wir unseren Müll richtig trennen und verwerten können. Wir haben zum Beispiel keine Recycling-Fabriken in Syrien. Wir schmeißen den Müll einfach in Wälder, ins Meer, in den Fluss und so weiter. Das ist katastrophal.
In Deutschland erhält der vegetarische und auch vegane Lebensstil vermehrt Zustimmung. Wie sieht das in der arabischen Welt aus? Denkst du, dass es auch hier bald zu einem Wandel kommen könnte oder spielt Fleisch eine zu wichtige Rolle in der Ernährung?
A. Khamashta: In Palästina ist es so, dass auch viele traditionelle Gerichte ohne Fleisch sind. Mein Großvater hat mir beispielsweise erzählt, dass sie damals, als er noch klein war, maximal einmal pro Woche Fleisch gegessen haben, weil sie die Tiere noch selbst geschlachtet haben. Ich glaube, dass es jetzt ein größeres Bewusstsein auch für vegetarische Ernährung gibt. Viele haben Angst davor, aber eigentlich gibt es in unserer Kultur viele saisonale Früchte und es ist auch leicht, sich vegetarisch oder vegan zu ernähren. Hier in Deutschland gibt es ja viele Alternativen zu Fleisch, wie zum Beispiel Soja-Fleisch. Bei uns muss man sich auf Obst und Gemüse einstellen.
M. Megahed: Es ist sehr schwierig, diese Frage zu beantworten. Ich glaube, dass wir noch weit davon entfernt sind, dass man sich im arabischen Raum Gedanken darüber macht, nicht zu viel Fleisch zu essen. Das ist ein fester Bestandteil der arabischen Küche.
A. Fatra: Also in Deutschland, ja, und besonders hier in Freiburg! Man kann sehr klar sehen, dass die Leute diesem Trend, vegetarisch zu werden, folgen und weniger Fleisch oder Bio-Fleisch konsumieren. Das finde ich sehr gut.
Weihnachten steht vor der Tür. Wie findest du es, dass zu dieser Zeit in Deutschland regelmäßig alle Geschäfte überfüllt sind, die Werbung massiv zunimmt und die Menschen allgemein gestresster sind? Wie nimmst du das wahr?
A. Khamashta: Ich sehe die Weihnachtszeit als eine stressige Zeit: Die Leute fangen schon im November an Geschenke zu kaufen und es gibt viele “Sales”. Es zeigt, wie Kapitalismus einen Einfluss auf die Leute hat […]. Und wenn man sich nicht bewusst darüber ist, was man will und wie man sein Geld ausgibt, dann können Menschen sehr schnell zum Kauf verführt werden. In Palästina gibt es das nicht in diesem Ausmaß. Aber man sieht es auch. Vor allem vor religiösen Festen, nicht nur an Weihnachten, konsumieren die Leute viel.
M. Megahed: Ich habe dieselbe Wahrnehmung, aber es gibt auf der anderen Seite auch Leute, die sich dadurch nicht stressen lassen und das alles ganz entspannt betrachten. Feiern tue ich immer, aber ganz und gar ohne Stress. Es sieht auch bei den ägyptischen Feierlichkeiten oder Festen wie in Deutschland aus: Die Geschäftsleute versuchen die Leute dazu zu bringen, zu kaufen und zu kaufen. Man hat daraus einen Zwang erschaffen, der es ja eigentlich nicht ist. Ein Beispiel: Schon Wochen vor Ramadan, dem muslimischen Fastenmonat, bereiten die Geschäftsleute die Leute darauf vor, zu kaufen, damit man dann im Ramadan alle möglichen Sachen zuhause hat, um Fastenbrechen zu können. Deshalb ist der Konsum in diesem Monat, in dem man sich eigentlich auf das Wesentliche besinnen sollte, viel höher als in jedem anderen Monat – also vergleichbar mit Weihnachten hier.
A. Fatra: Ich habe eine ganz andere Wahrnehmung. Weihnachten in Deutschland ist wirklich sehr schön. Ich habe nie bemerkt, dass die Leute auf dem Weihnachtsmarkt gestresst wirken. Geschenke sind in Syrien an Weihnachten nicht so wichtig. Wichtiger ist es uns, dass wir mit den Verwandten zusammenkommen und uns herzlich beglückwünschen. Die menschliche Beziehung ist uns viel wichtiger. Wir haben keine „Geschenkekultur“. Wir stellen beispielsweise keine Geschenke unter den Weihnachtsbaum so wie hier.
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