Die Straßenbahn ist kein schöner Ort für Rachel*. Als Studentin nutzt sie sie oft, um zur UB zu fahren oder Freund*innen zu treffen. Doch vor allem abends fühlt sie sich dort unwohl. Der Grund dafür sind fremde Männer, die sie dort immer wieder belästigen. Sie sprechen sie an, machen ihr Komplimente für ihr Aussehen und fassen sie gegen ihren Willen an.
Was sie erlebt hat, kennen viele Frauen so oder so ähnlich aus eigener Erfahrung. Doch Rachels Erfahrungen und die anderer Schwarzer Frauen lassen vermuten, dass Schwarze Frauen sexualisierte Gewalt im öffentlichen Raum noch deutlich häufiger erleben. Die Schwarze Autorin und Aktivistin Jasmina Kuhnke beispielsweise machte in den vergangenen Wochen darauf aufmerksam, was für ein Privileg es für weiße Menschen ist, sorglos die öffentlichen Verkehrsmittel nutzen und ausgehen zu können.
Genaue Zahlen zur besonderen Betroffenheit Schwarzer Frauen von sexualisierter Gewalt gibt es allerdings nicht. Die Soziologin Denise Bergold-Caldwell von der Uni Marburg forscht am Zentrum für Gender Studies unter anderem zu rassistischen und geschlechtsspezifischen Zuschreibungen. Das Problem der fehlenden Daten beginne laut ihr schon damit, dass bei sexualisierter Gewalt generell die Dunkelziffer sehr hoch sei.
Außerdem seien Belästigungen wie Catcalling in Deutschland gar keine Straftat, die zur Anzeige gebracht werden könnten. Dazu kommt die Tatsache, dass in Deutschland die Hautfarbe einer Person nie erfasst wird. So lässt sich nicht einmal sagen, in wie vielen der erfassten Fälle von sexualisierter Gewalt Schwarze Frauen betroffen sind.
Für Rachel jedenfalls ist es ein alltägliches Thema. Allein an einem einzigen Nachmittag wurde sie drei Mal von Männern angesprochen. Wenn ein Mann sie unangebracht anspricht, nach einem klaren Nein von ihrer Seite aber schnell damit aufhört, dann ist sie schon froh und empfindet ihn als „etwas höflicher“.
Doch wie kommt es zu der starken Betroffenheit Schwarzer Frauen von sexualisierter Gewalt? „Meine feste Überzeugung ist, dass da Stereotype eine große Rolle spielen“, sagt Denise Bergold-Caldwell. So gelten Schwarze Frauen als aggressiver und weniger empfindsam, werden gleichzeitig aber sehr sexualisiert. Entstanden seien diese Zuschreibungen während der Kolonialzeit.
Um die Versklavung von Schwarzen Menschen zu rechtfertigen, wurden sie als triebgesteuert dargestellt. Einmal in der Welt hielt sich dieses Stereotyp bis ins 21. Jahrhundert. Warum das so ist, lasse sich durch einen kulturhistorischen Ansatz erklären. So gelte seit der Aufklärung der kontrollierte Mensch, der seine Sexualität unterdrücke, als Ideal. Deshalb seien die Triebe des weißen Mannes externalisiert, also den Schwarzen zugeschrieben worden, um sie von sich selbst wegzuweisen. „Diese Stereotype wurden auch retraditionalisiert und gerade Sexualität ist da wirklich eine Kerngeschichte“, sagt Denise Bergold-Caldwell.
Meistens ist die Belästigung, die Rachel erlebt, verbal. Als Nicht-Muttersprachlerin ist es für Rachel aber schwer zu verstehen, was genau die Männer zu ihr sagen. Zudem wusste sie am Anfang ihrer Zeit in Deutschland nicht genau, wie sie reagieren soll und wo und wie sie sich Hilfe holen kann. Das macht sie schutzloser als andere Frauen und für einige Männer dementsprechend attraktiver. „Bei sexualisierter Gewalt geht es um Macht. Es geht darum, jemandem zu sagen: Ich habe das Sagen hier in der Situation“, erklärt Denise Bergold-Caldwell.
„Eigentlich fühle ich mich in Freiburg sicher, sonst würde ich abends ja nicht mehr rausgehen“, sagt Rachel. Doch die ständigen Belästigungen setzen ihr zu. Die Erinnerung an eine Nacht, in der ein junger Mann sie so penetrant belästigte, dass sie durch die halbe Altstadt lief, um ihm zu entkommen, macht ihr bis heute zu schaffen. Erst als sie einen Freund anrief, der kam und sie nach Hause begleitete, ließ der Mann von ihr ab. Es sind solche Erfahrungen, die die Studentin dazu bringen, sich in der Nacht einen Dutt zu machen und dann eine Kapuze aufzusetzen, um möglichst nicht als Frau aufzufallen.
Eine weitere Schutztaktik: Mit einem Mann unterwegs sein. „Wenn ein Mann dabei ist, dann passiert das nicht, aber nur, weil er ein Mann ist und nicht, weil er besonders stark oder so aussieht“, stellt Rachel fest. Neben diesen Vorsichtsmaßnahmen kennt sie jetzt auch das Frauennachttaxi, mit dem sie nachts heimfahren kann ohne die öffentlichen Verkehrsmittel nutzen zu müssen. Doch auch dort ist es schwer für sie, sich wohlzufühlen. Sie fühle sich dort ebenfalls einer fremden Person, meist einem Mann, komplett schutzlos ausgeliefert.
„Das ist nicht fair“, sagt Rachel. Sie habe das Recht, sich wie andere sorglos im öffentlichen Raum bewegen zu können. Auch Denise Bergold-Caldwell beklagt, dass das allgemeine Bewusstsein für diese Art der rassistischen und sexistischen Diskriminierung eher gering sei, wie auch die Bereitschaft, etwas dagegen zu tun. Sie wünsche sich, dass die Auseinandersetzung mit der afrikanischen Diaspora schon in der Schule beginne und ein größeres Augenmerk auf Intersektionalität gelegt werde. Zunächst müsse ein Bewusstsein für die vorherrschenden Stereotype und Diskriminierungen geschaffen werden, um sie dann zu bekämpfen. Damit die Straßenbahn und der gesamte öffentliche Raum auch für Schwarze Frauen wie Rachel zu einem sicheren Ort werden. Es wäre nur fair.
* Der Name ist der Redaktion bekannt und wurde aus Gründen der Anonymisierung geändert.
Der Text ist Teil der Themenwoche Du bist nicht allein.