„Frauen, deren Leistungen von Männern geklaut wurden, womit diese dann berühmt wurden.“ Mit diesem Format begann Leonie Schöler 2021 auf TikTok Biografien von Frauen* zu erzählen, die Bedeutendes geleistet, erdacht, gesagt, erkämpft haben und deren Namen heute trotzdem vergessen oder im Schatten „der großen Männer“ verschwunden sind.

In ihrem 2024 erschienenen Buch “Beklaute Frauen” führt Leonie Schöler in sechs Kapiteln anschaulich durch die Menschheitsgeschichte – beginnend bei den Revolutionsjahren 1848/49, die unsere heutige Weltordnung prägen. Vieles im Buch ist neu, schockierend und augenöffnend: Beispielsweise wie die Erfindung der Ehe genutzt wurde, um Frauen die politische Teilhabe zu verwehren oder warum Frauen* nur mit männlichen Pseudonymen Chancen in ihrem Berufsfeld hatten.

Die Biochemikerin Dr. Rosalind Franklin hat es in den 1950er Jahren als Erste geschafft, eine Röntgenaufnahme einer DNA-Struktur zu machen. Dank ihr wissen wir heute, wie die DNA aufgebaut ist. Für ihre bahnbrechende Leistung wurde sie nicht gewürdigt. Nur ihre männlichen Forscherkollegen James Watson, Francis Crick und Maurice Wilkins bekamen dafür den Nobelpreis. Zeitlebens erfuhr sie darüber hinaus von ihren männlichen Kollegen jahrelanges Mobbing und sexistische Diskriminierung.

„Künstler wird mit -er geschrieben“

Egal ob Wissenschaft, Literatur oder Kunst – in fast allen Bereichen ist unser Bild von „groundbraking pioneers“, also von „bahnbrechenden Pionieren“, männlich. Im Kapitel „Künstler wird mit -er geschrieben“ erzählt Schöler von wenig bekannten Frauen, die hinter berühmten Autoren wie Bertolt Brecht standen: Ruth Berlau, Margarete Steffin und Elisabeth Hauptmann wurden als Mitarbeiterinnen Brechts gesehen, obwohl sie selbst als Schriftstellerinnen und Schauspielerinnen aktiv waren. Sie alle wurden aber nie als „Genie“ bezeichnet, sondern sollten für die Zusammenarbeit mit Brecht dankbar sein. Schöler möchte diese Frauen sichtbar machen.

Das Phänomen, dass Frauen* im Schatten von Männern stehen, wird Mathilda-Effekt genannt. Die amerikanische Schriftstellerin und Aktivistin Mathilda Gage stellte Ende des 19. Jahrhunderts fest: Je mehr eine Frau arbeitet, desto mehr profitieren die Männer in ihrem Umfeld und desto weniger hat sie selbst davon. Die Unsichtbarkeit der Leistungen von Frauen zieht sich von der Care-Arbeit bis in den beruflichen Alltag.

Ungerechtigkeit sichtbar machen

Leonie Schöler findet klare Worten für die Ungerechtigkeiten, die bis heute in unserer Gesellschaft vorherrschen. Wenn Männer in den Vaterschaftsurlaub gehen und danach in den Beruf zurückkehren, hat das meist keine Auswirkungen. Bei Frauen ist es das genaue Gegenteil. In Deutschland bekommen Frauen im Schnitt mit 35 Jahren das erste Kind und mit diesem Alter geht ein Karriereknick einher. Wenn sie sich nach der Auszeit neu bewerben, bekommen sie seltener einen Job und müssen sich viel häufiger bewerben. Die Arbeit von Frauen und Männern wird immer noch unterschiedlich bewertet wird, obwohl meist Männer und Frauen gemeinsam Kinder bekommen und deshalb die Fürsorgearbeit ausgewogen sein sollte.

Anhand von konkreten Frauen*schicksalen in der Geschichte zeigt Leonie Schöler, dass wir alle einen Gender Bias, also geschlechterbezogene Wahrnehmungsverzerrungen, haben und wie stark dieser unsere Vorstellungen von Geschichte prägt. So sage der Name Marie Curie Vielen etwas: Sie gewann als erste Frau den Nobelpreis in Physik und Chemie. Schöler stellt die Frage: Warum aber kennen wir viele andere einflussreiche Frauen in der Geschichtsschreibung nicht?

Widerstand ist unerwünscht

Feministische Forderungen gingen in der Geschichte auch immer mit antifeministischen Debatten einher, schreibt Schöler. Welche Gründe gibt es, dass manche Männer sich beim Aufbegehren der Frauen* ihrer „Privilegien“ beraubt fühlen? Der feministische Widerstand ist nach wie vor konfliktbehaftet. Anhand von Frauenportraits zeigt Leonie Schöler, wie wir eine alternative, feministische Geschichte erzählen können und daraus für die Zukunft lernen können.

„Auch am Feministischen Kampftag am 8. März liegt das Erkämpfen und Verteidigen von Gleichstellungsgesetzen immer noch in der Verantwortung derjenigen, die bisher nicht gleichgestellt sind – Frauen*“ – Leonie Schöler

* Die Autorin weist darauf hin, dass sie unter der Bezeichnung „Frauen“ alle weiblich gelesenen Personen miteinschließt.