„Blutzuckerflappybird“ Wenn die Bauchspeicheldrüse streikt
380.000 Menschen in Deutschland sind an Typ 1 Diabetes erkrankt. Betroffene müssen sich in ihrem Alltag in vielerlei Hinsicht einschränken. Eine Freiburger Studentin berichtet vom Leben mit der Autoimmunkrankheit, „Naschis“ und warum Spontanität schnell gefährlich werden kann.
Eine Straßenumfrage auf dem Campus der Albert-Ludwigs-Universität zeigt: Viele können sich unter Typ 1 Diabetes nur wenig vorstellen.
„Nach heutigem Kenntnisstand ist Typ 1 Diabetes eine Autoimmunerkrankung“, erklärt David Stolz. Der Freiburger Diabetologe vergleicht den menschlichen Körper mit einem Kohlekraftwerk: Das Hormon Insulin ist hier der Schlüssel zur Zelle. Fehle der Schlüssel zur Tür des Meilers, könne das Kraftwerk keine Kohle in Form von Zucker verbrennen um Energie bereitzustellen. Bei Diabetiker*innen sammle sich schließlich die Kohle auf den Straßen vor der Fabrik, den Blutbahnen im Körper.
„Wenn der Schlüssel Insulin fehlt, kann der Zucker nicht abgebaut werden. Dadurch steigen die Blutzuckerwerte“, erläutert sein Kollege David Ruf. Betroffene müssen fehlendes Insulin durch Spritzen ausgleichen. Die Dosis muss jedoch immer auf die Kohlenhydrate im Essen angepasst werden. Wird zu viel Insulin injiziert, stehen die „Fabriktore“ zu lange offen, „zu viel Zucker verlässt das Blut und es unterzuckert“, warnt Ruf. Das muss dann wiederum schnell durch den Konsum von Zucker ausgeglichen werden.
In der Regel bricht die Krankheit schon in jungen Jahren aus. Treffen kann sie theoretisch jede*n, unabhängig von Alter und Geschlecht. Laut Stolz beginnt die Krankheit oft nach starken Immunereignissen, etwa durch die Konfrontation mit einem neuen Virus. Darauf antwortet das Immunsystem mit einer Überreaktion, bei der fälschlicherweise körpereigene Zellen angegriffen werden. Bei der Autoimmunerkrankung werden folglich die sogenannten Beta-Zellen zerstört. Diese sitzen in der Bauchspeicheldrüse und sind für die Insulinproduktion verantwortlich.
Zu den ersten Symptomen bei Erkrankten zählen laut Stolz starker Durst, vermehrter Toilettengang sowie Müdigkeit. Eine letzte Warnung kann akuter Gewichtsverlust sein. Für Betroffene ist Typ 1 Diabetes dann ein lebenslanger Begleiter. Typ 1 Diabtiker*innen müssen daher täglich Insulin spritzen. „Es führt kein Weg daran vorbei“, unterstreicht Ruf. Denn der Körper produziert das Hormon nicht mehr selbst. „Ich muss quasi den Job eines Organs übernehmen“, sagt die Diabetikerin Jeanette Peters.
Jeanette Peters hat Typ 1 Diabetes.
Im Video berichtet die Freiburger Studentin, welche Herausforderungen sie im Alltag meistern muss.
Weil die Leber permanent Zucker produziert, müssen sich Patient*innen herkömmlicherweise mit Langzeitinsulin regulieren. Für den Zucker, der unmittelbar durch Nahrung aufgenommen wird, spritzen Patient*innen „Kurzzeitinsulin“. Dieser muss berechnet und kurz vor dem Essen verabreicht werden. „Ich bin doch keine Bauchspeicheldrüse“, kommentiert Jeanette Peters, die am Anfang ihrer Krankheit noch Probleme hatte, die richtige Menge Insulin abzuschätzen. „Das ständige Beobachten und Ausrechnen, nervt mich schon“, sagt die 20-Jährige.
Ursprünglich wurde der Blutzucker mittels Messgerät und einem Nadelstich in den Finger gemessen. Für „ein freies Leben“ müsste man sich „von früh bis spät piksen“, erklärt Diabetologe Stolz. Heutzutage gibt es sogenannte „CGMs“ (Continous Glucose Monitoring). Das sind Sensoren, die die Gewebezuckerwerte kontinuierlich messen und mittels Bluetooth mit ihren Träger*innen teilen. Das erleichtert die Überwachung des Blutzuckers enorm.
Typ 1 Diabetes stellt die Betroffenen vor zahlreiche Herausforderungen. Ernährung und Freizeitaktivitäten müssen mit der Krankheit verhandelt werden. „Ich kann nicht spontan mit dem Fahrrad los, darauf muss ich mich vorbereiten“, erklärt Jeanette Peters. Denn Typ 1 Diabetes kann gefährlich werden – sowohl im Unter- als auch im Überzucker. Patient*innen im Unterzucker „fangen vermehrt zu Schwitzen an, werden zittrig und verlieren irgendwann das Bewusstsein“, so Ruf. Im schlimmsten Falle versagen Herzmuskel und Atmung. „Das ist so, als wäre der Tank leer“, verbildlicht Stolz.
Wird Unterzucker vernommen, sollte schnellstmöglich Zucker konsumiert werden, zum Beispiel in Form von Saft, Traubenzucker oder Gummibärchen. Diese Notfall-Snacks, oder „Naschis“, wie Jeanette Peters sie nennt, haben Patient*innen in der Regel bei sich. Die Studentin berichtet außerdem, dass sie ein Notfall-Glucose-Nasenspray bei sich trägt: „Wenn ich ohnmächtig bin, kann ich schlecht etwas essen“. Auch Überzucker kann laut Stolz auf Dauer gefährlich werden, da der Zustand langfristig die Zellen schädigt: Patient*innen haben dann, im Verhältnis zur Nahrung, zu wenig Insulin gespritzt.
Obwohl medizinische Fortschritte und neue Technologien das Leben mit Typ 1 Diabetes erleichtert haben, erfordert die Krankheit weiterhin ständige Überwachung. Noch gibt es keine Möglichkeit, die Krankheit zu heilen. Ruf und Stolz gehen allerdings davon aus, dass in Zukunft etwa Insulin in Tablettenform oder von KI unterstützte Insulinpumpen Spritzen reduzieren und den Alltag von Erkrankten erleichtern können. Jeanette Peters hofft: „Wer weiß, vielleicht habe ich in ein paar Jahren so viel Hilfstechnik, dass ich mein Diabetes fast vergessen kann“.
Eine Gemeinschaftsproduktion von Maira Detterbeck, Pauline Hagmann, Emma Mori und Jeanette Peters im Rahmen des Seminars „Einführung in den crossmedialen Journalismus“ für Studierende der Medienkulturwissenschaft. Seminarleitung, Redaktion: Ada Rhode, Andreas Nagel, Philip Thomas.