Lust bekommen zu lesen? Julian hat eine handverlesene Auswahl an Empfehlungen zusammengetragen. Bücher, mit denen ihm die Zeit verflogen ist, die ihn gefesselt haben und die er lieben gelernt hat. Für literarische Reisen in ferne Welten – oder doch nur vor die eigene Haustür. Bücher zum Schmökern, Versinken oder einfach Prokrastinieren.
Robert Seethaler: Der Trafikant
Wien in den Wirren der späten 1930er Jahren. Der junge Kiosk-Verkäufer Franz kommt vom beschaulichen Attersee an den damaligen Nabel der Welt: nach Wien. Hier schreibt Schnitzler seine Traumnovelle, komponiert Strauß – und Freud, der nebenan wohnt, revolutioniert die Psychologie. Der junge Franz und die alternde jüdische Geistesgröße freunden sich an. All dies vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen Machtübernahme Österreichs. Das Buch ist eine schlicht-nüchterne Geschichte über die erste Liebe, über Treue und Widerstand, erzählt aus einer naiv-kindlichen Sicht. Der See, auf dem sich die Geschehnisse spiegeln, ist dabei tief. Das Ausloten überlässt Seethaler aber den Lesenden.
Rafik Schami: Die dunkle Seite der Liebe
Durch den liebevollen Blick des in Damaskus geborenen Schami gerät man in den Sog dieser fremden, geheimnisvollen Stadt und der verschlungenen Schicksale ihrer Bewohner*innen. Im Syrien der Jahre 1870–1970 bedeutet die Familie alles, jede Gasse birgt eine Unzahl an Geschichten, die Städter hassen die Landbewohner und die Landbewohner die Städter, Russen und Ägypter buhlen um die Gunst der syrischen Bevölkerung – und mittendrin ein junges Paar, deren Familien seit Generationen verfeindet sind. Kann ihre zarte Liebe die Wirren der syrischen Revolutionen überstehen? Schami erzählt meisterhaft von Zuneigung und Pflicht, von Freiheit und Restriktion, von der Gewalt der Waffen und der Macht der Worte.
Zadie Smith: Zähne zeigen
Es ist das vielleicht geistreichste, witzigste und ambitionierte Buch der letzten Jahre, geschrieben von der damals erst 25 Jahre alten Britin Zadie Smith. Selbst Tochter einer jamaikanischen Mutter, erzählt die Autorin feinfühlig, aber auch mit einem Augenzwinkern von dem Zusammenleben der Kulturen im multikulturellen London. Der Roman, in dem mühelos schwere Themen wie Migration und Kolonialgeschichte mit unterhaltsamer Handlung vermengt wird, bringt einen gleichzeitig zum Schmunzeln und Nachdenken. Eine Geschichte voll treffender Alltagsbeobachtungen, beißender Ironie und großer Güte. Und das alles im übersprühenden Stil einer literarischen Newcomerin – was will man mehr?
Gabriel García Márquez: Hundert Jahre Einsamkeit
Es ist das Manifest des magischen Realismus, geschrieben von ihrem Meister: dem kolumbianischen Literaturnobelpreisträger Marquez. Der Autor entführt seine Leser*innen in den feucht-schwülen Urwald des Amazonas und verwebt dabei die schillernde Welt der Träume mit dem Alltag des Dorfes Macondo. In phantastischen Übertreibungen, die der Wahrheit näherkommen, als es realistische Beschreibungen je könnten, wird die Geschichte der Familie Buendías erzählt. Die arabesken Erzählstränge verweben sich ineinander zu einem riesigen, generationenüberdauernden Epos über die Liebe, das Begehren, das Vergessen und den Tod.
Joachim Meyerhoff: Alle Toten fliegen hoch
Wie in dieser autobiographisch angelehnten Buchreihe Tragik und Humor, weltverändernde Erkenntnis und alltägliche Beobachtung verknüpft werden, ist einzigartig. Ob im amerikanischen Auslandsjahr, in dem überraschend der Bruder stirbt, der Kindheit auf dem Gelände einer vom Vater geleiteten Psychiatrie, den Jahren auf der Schauspielschule, in denen der Protagonist bei seinen Großeltern wohnt, oder den Liebeswirren der darauffolgenden Jahre: Meyerhoffs Romane sind immer unterhaltsam, um die Ecke gedacht, seltsam berührend und erfrischend anders. Zuletzt erschien der Roman Hamster im hinteren Stromgebiet, in dem der Autor seinen plötzlichen Schlaganfall verarbeitet.