Wir alle kennen den Weihnachtsmann und seine von der Coca-Cola Werbung kanonisierte Darstellung als „Santa Claus“ in einem roten Gewand mit weißem Fellbesatz. 1931 hatte Cartoonist Haddon Sundblom diese Version vom Weihnachtsmann für die Firma entwickelt. Dreiunddreißig Jahre lang illustrierte er jedes Jahr eine neue Coca-Cola-Santa-Reklame und zementierte damit unsere heutige Vorstellung vom Weihnachtsmann.
Der heilige Nikolaus, Knecht Ruprecht, Väterchen Frost, Schmutzli, die Weihnachtsnisse, der Sternenmann: Die Tradition von einem alten Mann, der Geschenke an die braven Kinder verteilt und die nicht so braven straft, gibt es schon viel länger. In vielen Ländern wurden die landestypischen Weihnachtsmänner jedoch vom amerikanischen Santa Claus absorbiert. Oder sie müssen sich zumindest für diesen ausgeben, um mithalten zu können.
Allerdings ist er nicht das einzige Weihnachtswesen, das sich zwischen dem 6. Dezember und dem 6. Januar herumtummelt! Denn es gibt so einige Weihnachtstraditionen, die sich nicht auf den Coca-Cola-Santa-Archetyp reduzieren lassen.
Viele unserer Weihnachtstraditionen kann man auf heidnische Bräuche zurückführen, die die Wiedergeburt der Natur und das Zurückkehren des Lichts mit der Wintersonnenwende vorwegnehmen. In ihren Grundzügen blieben sie trotz ihrer Christianisierung über die Jahrhunderte hinweg erhalten.
Sie zeigen uns, wie alte Traditionen überdauern oder wiederbelebt werden, und wie neue Traditionen entstehen können.
Wir stellen euch fünf Weihnachtswesen vor. Und weil es Spaß macht, bewerten wir sie in den Kategorien „Kinderfreundlichkeit“ (Beliebtheit, Verträglichkeit, Zugänglichkeit), „Feierlichkeit“ (Ästhetik, Besinnlichkeit, macht (Festtags)Stimmung) und „Kann es mit Coca-Cola Santa aufnehmen“ (im kapitalistischen Konsumwettstreit Geschenke verteilen, in ihren magischen Fähigkeiten und notfalls im Zweikampf).
Christkind
In Süddeutschland und bei Protestanten kommt Jesus Christus als „Heiliger Geist“ in Kleinkindform persönlich vorbei, um Kinder zu beschenken. Vermutlich wurde das Christkind von Martin Luther im 16. Jahrhundert erfunden, um mit der Verehrung vom heiligen Nikolaus am 6. Dezember zu konkurrieren. Dabei wurde die Beschenkung auf den 25. Dezember verlegt, um die Attraktivität des ersten Weihnachtsfeiertags mit Geschenken zu steigern.
Die Darstellung als Engel rührt vermutlich daher, dass es in Weihnachtsumzügen und Krippenspielen oft eine Engelsschar als Christkind anführte. In diesen Spielen mit festen Abläufen wurden Figuren wie das Christkind oft wie lebendige Wesen inszeniert.
Kinderfreundlichkeit: In Ordnung. Weder richtiges Baby noch richtiges Kind. Es könnte als Identifikationsfigur für Kinder herhalten, aber gerade daran scheitert es in seiner goldlockigen Pausbäckigkeit. Gibt zwar Geschenke, aber lässt sich nicht blicken.
Feierlichkeit: Sehr gut, die Engelästhetik ist schick. Wahlweise mit Krone, Heiligenschein, immer im weißen Gewand oder mit goldener Borte.
Kann es mit Santa aufnehmen: Das Christkind ist der Protorivale und als Jesusbaby, der Boss vom Weihnachtsmann. Als Engel verkommt das Christkid leider oft zum Sidekick.
Rudolph the Red-nosed Reindeer
Die Namen von den Schlittenrentieren des Weihnachtsmanns kennen wir aus einem Gedicht von Clement Clarke Moore aus dem Jahre 1823: Dasher, Dancer, Prancer, Vixen, Comet, Cupid, Donner und Blitzen. Rudolph stößt erst über hundert Jahre später hinzu, und zwar 1939, als Erfindung des jüdischen Robert Lewis May. Er schrieb das Kinderbuch von Rudolph als Werbegeschenk des Chicagoer Kaufhauses Montgomery Ward.
Bekanntlich lassen die Rentiere des Weihnachtsmannes Rudolph nicht mitspielen wegen seiner rot-glühenden Nase – May basierte die Geschichte auf der Geschichte des hässlichen Entleins und seiner eigenen Kindheitserfahrungen. Schließlich erkennt der Weihnachtsmann seine Nützlichkeit, und Rudolph wendet wetterbedingte Flugverspätungen ab, indem er mit seiner Glühnase im Nebel den Weg leuchtet.
Kinderfreundlichkeit: Hoch! Kinder mögen Tiere, und Kinder wissen, wie es ist, wenn andere sie nicht mitspielen lassen.
Feierlichkeit: Rudolphs Lied ist ein Klassiker, der Stimmung macht. Allerdings reicht es nicht ganz für ein einheitliches Konzept.
Kann es mit Santa aufnehmen: Auf keinen Fall! Santa war Rudolphs Talentscout, ohne diesen Job wird Rudolph womöglich ausgewildert. Mit seiner auffälligen Mutation würde er dort sofort seinen natürlichen Fressfeinden zum Opfer fallen.
La Befana
In Italien kommt eine Hexe, la Befana, in der Nacht vom 5. auf den 6. Januar zum Dreikönigstag vorbei. Laut einer Legende kamen die Heiligen drei Könige auf ihrem Weg nach Bethlehem bei ihr vorbei, um sie nach dem Weg zu fragen. Die Heiligen drei Könige luden sie ein, sie auf ihrer Suche nach dem Jesuskind zu begleiten. La Befana lehnte das zunächst ab. Später bereute sie ihre Entscheidung und suchte verzweifelt nach den Heiligen drei Königen und dem Christkind – bis zum heutigen Tage. Sie füllt braven Kindern, denen sie auf ihrer Suche durch die Häuser begegnet, Süßigkeiten und kleine Geschenke in ihre Socken („caramelle“), während die weniger braven Kinder Kohle („carbone“) oder Knoblauch bekommen. Bei der vermeintlichen Kohle handelt es sich aber um „carbone dolce“, schwarz gefärbte Zuckermasse. Danach fegt die Befana auch noch den Boden sauber. Italiener hinterlassen ihr hierfür ein Glas Wein und etwas Essen zur Stärkung.
Kinderfreundlichkeit: Gut! Sobald das Kind sich an die gute Hexe gewöhnt hat, ist die subversive Interpretation erheiternd und pädagogisch-feministisch wertvoll.
Feierlichkeit: Schlecht. Der rustikale Look ist anpassbar, überschneidet sich aber leider mit Halloween. „Befana“ wird im Italienischen umgangssprachlich auch als Beleidgung für eine hässliche Frau benutzt. Sehr schade! Befana macht nach der Bescherung auch noch sauber, was mit einem Weihnachtsbaum und einem Festessen sehr praktisch ist bei all den Tannennadeln und Krümeln!
Kann es mit Santa aufnehmen: Im Zweikampf und im Geschenkeverteilen schon, aber dazu müsste sie erst einmal aus Italien herausfinden.
Gryla, Jólasveinar und die isländische Weihnachtskatze
In Island gibt es gleich eine ganze Trollfamilie samt Katze, die zur Weihnachtszeit aufkreuzt. Vom 12. Dezember bis zum 6. Januar besucht jeden Tag ein Jólasveinar, ein Weihnachtsgeselle, die Menschen. Sie spielen vor allem Streiche, hinterlassen aber auch kleine Geschenke oder verrottende Kartoffeln in den Schuhen von erwartungsvollen Kindern.
Die menschenfressende Gryla, die Mutter der Jólasveinar, lässt ihre 13 Söhne nur zur Weihnachtszeit aus ihrer Berghöhle hinab in die Dörfer und Städte ziehen. Die Anzahl und die Persönlichkeit der Trolljungs variierten je nach Region, bis zu 80 Namen sind bekannt. Den Sprung ins 20. Jahrhundert schafften die Jólasveinar dank dem beliebten isländischen Dichter Jóhannes úr Kötlum. Er gab ihnen 1932 in seinem Gedicht ihre heutigen Namen und gutmütigere Schelmennatur. Seitdem kennen wir die Jólasveinar wieder als Schluchtenkobold, Knirps, Kochlöffellecker, Topfschaber, Essnapflecker, Türzuschläger, Wurststibitzer, Fensterglotzer, Fleischkraller und Kerzenschnorrer – und mittlerweile als Überbringer kleiner und größerer Geschenke.
Kinderfreundlichkeit: Im 18. Jahrhundert musste es noch verboten werden, Kinder mit Gryla in Angst und Schrecken zu versetzen. Mittlerweile konzentriert sich die Tradition auf die nächste Generation frecher Trolljungen.
Feierlichkeit: Mittel. Einerseits scheinen die meisten Trolljungs danach benannt worden zu sein, dass sie Dinge schnüffeln und lecken, die sie nicht sollten. Die Trolljungs werden außerdem oft in rot-weiße Kostüme gesteckt und wirken dann wie zu dünn geratene Weihnachtsmannimitatoren.
Aber zumindest passt ihre riesige Katze Jólakötturinn auf, dass wir alle gut gekleidet sind: Diejenigen, die sich keine neuen Kleider zu Weihnachten verdient haben, werden gefressen. Björk hat übrigens ein Gedicht über die Weihnachtskatze von Jóhannes úr Kötlum vertont.
Kann es mit Santa aufnehmen: Fellbesatz und immer wieder derselbe rote Anzug – und kombiniert mit einem solchen Gürtel? Der Weihnachtsmann sollte besser aufpassen, dass er nicht von der Weihnachtskatze gefressen wird!
Tió de Nadal
In Katalonien und Teilen von Südfrankreich kommt keine flüchtige Gestalt zum Beschenken vorbei. Stattdessen hockt der Bescherer als Gast und festes Inventar im Wohnzimmer: Der Tió de Nadal, Onkel und Weihnachtsstamm in einem. Tió ist meistens ein Baumstamm, der auf zwei Beinen steht, ein katalanisches Baret und ein freundliches, aufgemaltes Lächeln trägt.
Ab dem 8. Dezember legen die Kinder des Haushalts dem Tió Sägemehl, Obst und Wasser hin und decken ihn mit einer Decke zu, um ihn zu wärmen. Nach dem Abendessen am Weihnachtsabend singen die Kinder ein Lied, während sie ihren Gast mit Stöcken schlagen, um ihn zum “Kacken” (“cagar”) von Geschenken zu bewegen. Das Repertoire an Tió-Liedern ist groß und variiert selbst von Familie zu Familie. Unter der Decke finden sich dann zum Beispiel Feigen, Turrón Nougat und kleine Spielzeuge. Um mit moderneren Geschenkebringern zu konkurrieren, können aber auch durchaus größere Geschenke unter der Decke versteckt werden.
Der Tió hört schließlich auf zu wackeln, und erklärt die Bescherung damit für beendet. Oder er weist mit einem letzten Geschenk wie einem Salzhering oder Knoblauch darauf hin, dass er fertig ist. Früher wurde der Tió danach verbrannt, wie in vielen traditionellen Gebräuchen zur Wintersonnenwende. Seine Asche sollte gegen Feuer und Blitzschlag schützen.
Kinderfreundlichkeit: Ausgezeichnet. Tió nimmt es sich nicht heraus, jemanden zu bestrafen oder zu fressen, weil er oder sie nicht brav war. Kinder lieben außerdem Süßigkeiten, Toilettenwitze und Dinge mit Stöcken zu schlagen.
Feierlichkeit: Gut. Wir lernen Gastfreundschaft, indem wir Tió füttern und wärmen, und zunehmen, indem wir… äh, ihn verprügeln und Süßigkeiten essen. Hervorragend, um im Kreise der Lieben Aggressionen während der Feiertage abzubauen.
Kann es mit Santa aufnehmen: Tió de Nadal war lange vor dem Weihnachtsmann da und wird noch lange nach ihm da sein.
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