Corona in Tschechien
Der Sommer war für viele Menschen besonders und, wenn man mal ehrlich ist, nicht in einem guten Sinn. Doch selbst in unstetigen Zeiten gibt es immer wieder Ereignisse, die sich von den Unsicherheiten der Gegenwart nicht beeindrucken lassen und trotzdem einfach stattfinden. Ereignisse, wie es sie im Privaten allerlei gibt, bei mir: Die goldene Hochzeit meiner Großeltern.
Die Feier war, wie es sich bei gescheiten Familienfeten gehört, schon monatelang im Voraus geplant worden, ach, wie ich meine Großeltern kenne, wahrscheinlich sogar schon Jahre. Goldene Hochzeit, das bedeutet 50 Jahre gemeinsamer Ehe. Das ist keine kleine Sache und tatsächlich ein Fest, das – trotz Corona – in genau diesem Jahr stattfinden muss.
Das Problem: Meine Großeltern leben in Kravaře, einem Ort im Osten Tschechiens. Sprich: Ich müsste nicht nur eine 12-stündige Zug- und Busfahrt während einer Pandemie absolvieren, sondern auch gleich eine Staatsgrenze überqueren.
Ende März rief die tschechische Regierung als eines der ersten Länder den Notstand aus. Wochenlang waren die Grenzen zu, Züge fuhren nicht. Das hatte positive Effekte, die Pandemie erreichte in diesen Monaten bei Weitem nicht deutsches Ausmaß.
Die Monate vergingen. Corona war langsam am Abflauen, zumindest die mediale Aufmerksamkeit. Der R-Wert verkroch sich wieder unter die magische 1,0, die täglichen Neuinfektionen gingen vom vierstelligen ins dreistellige. So sah es zumindest in Deutschland aus. In Tschechien blieben die Neuinfektionen von April bis Juli im geringwertigen dreistelligen Bereich, die Regelungen wurden langsam gelockert. Eine Maske musste man inzwischen nirgendwo mehr tragen, Bars und Grenzen öffneten gleichermaßen und Veranstaltungen waren wieder in größerer Teilnehmerzahl legal.
Am 21.8. fuhr ich allein, meine Familie war bereits dort, zu meinen Großeltern nach Kravaře.
Die Fahrt wirkte nicht wie ein Ausflug in ein anderes Land, sondern in eine andere Zeit. In eine Zeit, in der es Corona noch nicht gab. Denn brav nach Verordnungslockerung trug in Tschechien niemand mehr Maske, nicht einmal auf dem überfüllten Prager Hauptbahnhof. Maskenlos ging es von da weiter mit dem Schnellzug in den Osten des Landes. Masken blieben Fehlanzeige, genauso wie in jeglichen Geschäften, in denen ich war.
Als Maskenträger kam ich mir, um ehrlich zu sein, fürchterlich dumm vor. Wie wenn man sich für eine Verkleidungsparty ein aufwendiges Kostüm zusammenbastelt, nur um dann herauszufinden, dass man zu einer Beerdigung geht. Und dann stehe ich im Zug, als einziger mit Maske und die Menschen beäugen mich, als hätte ich das Memo nicht bekommen, dass Corona ja jetzt vorbei sei.
Das gesellschaftliche Klima ist in Tschechien im Bezug auf Corona ein anderes als in Deutschland. Das liegt nicht an irgendeinem mystischen kulturellen Unterschied, sondern einfach an der Tatsache, dass die Anzahl der Erkrankten dort nicht so hoch war wie hierzulande. Corona wurde zwar auch von der Bevölkerung wahrgenommen, aber es war immer die Krankheit der Anderen. Corona, das sind China, Italien und die USA. Der Vorteil einer schnellen Reaktion der Regierung.
Aber auch der Nachteil: Denn auf lockere Verordnungen folgen steigende Infektionszahlen. Seit dem 1. September müssen wieder Masken getragen werden. Trotzdem ist Tschechien, Stand 27.9.2020, nun Risikogebiet. Die Regierung hat zu früh die Lockerungen aufgehoben. Die Oppositionsparteien sagen, sie habe versagt.
Die goldene Hochzeit war trotzdem eine schöne Feier. Gerade in Zeiten von Corona, nachdem ich meine Großeltern lange nicht sehen durfte, war sie eine willkommene Abwechslung. Ein wenig absurd war es schon, einfach zu feiern, während man in den Nachrichten liest, dass die zweite Welle der Pandemie im vollen Anmarsch ist. Aber die goldene Hochzeit der Großeltern kann man eben nur einmal im Leben feiern.