Draußen regnet es in Strömen und ich sitze im Gewächshaus des botanischen Gartens. Hier treffe ich mich mit Lily Sabath. Sie ist 21 Jahre alt, hat mal kurzzeitig Amerikanistik, Anglistik und Soziologie studiert. Jetzt macht sie eine Ausbildung zur Fachinformatikerin. Außerdem ist sie stolze Besitzerin der Hündin Agatha. Die nimmt sie nicht nur zu ihren Auftritten als Poetry Slammerin mit, auch bei unserem Interview heute ist sie mit dabei.
Hallo Lily, du bist Poetry Slammerin. Wie bist du dazu gekommen?
Das war gar nicht so geplant. Kurz nach meinem 18. Geburtstag hatte ich mein erstes Date mit einer Frau. Ich war sehr aufgeregt. Ich bin dahin gekommen und dachte mir direkt wie hübsch und cool sie wirkt. Und wieso trifft sie sich überhaupt mit mir (lacht). Wir haben Kaffee getrunken und uns unterhalten. Sie hat mir erzählt, was sie so alles in ihrer Freizeit macht. Sie war unglaublich kreativ, war im Theater, hat geschauspielert UND die Regie UND die Technik gemacht UND beim Drehbuch geholfen. Verglichen damit habe ich so gar nichts gemacht. Ich erinnerte mich, dass sie mir vorher erzählt hatte, dass sie auf dem Wacken Festival war und es dort Poetry Slam gab. Und dann meinte ich eben, dass Schreiben für Poetry Slams voll mein Ding wäre. Zu dem Zeitpunkt war ich selbst nur als Zuschauerin auf ein oder zwei Slams gewesen. Dass ich selber schreibe, hat natürlich überhaupt nicht gestimmt (lacht).
Ich weiß nicht, warum ich das einfach gesagt habe. Es war einer dieser Momente, in denen man einfach irgendwas erfindet, weil man die andere Person beeindrucken will. Sie fand es super cool und sagte, dass sie mich gerne mal hören würde. Als ich nach dem Date nach Hause kam, fing ich an zu schreiben. Schließlich musste ich jetzt liefern. Beim Schreiben merkte ich, wie viel Spaß es mir machte. Und sogar nach dem Lesen fand ich es noch gut. Vier Wochen später meldete ich mich dann in Karlsruhe zu meinem ersten Poetry Slam an.
Welche Aspekte am Poetry Slam magst du besonders?
Ich mag, dass es so frei ist. Es kann sowohl vom Stil her alles sein, zum Beispiel Prosa, Lyrik, Comedy und so weiter, aber auch inhaltlich kann über alles geschrieben werden. Es kann tiefgründig, politisch, persönlich sein oder total irrelevant.
Es gibt Slams, die etwas Banales wie eine Pflanze beschreiben. Da geht es dann eher darum, was mit den Worten passiert. Das ist für mich cool, weil ich nicht gut Geschichten erzählen kann. Aber ich kann ganz gut Wörter finden für Dinge, die schon da sind. Das macht mir auch am meisten Spaß. Außerdem mag ich den direkten Austausch beim Slam. Schreiben an sich ist etwas eher Zurückgezogenes. Aber beim Slam kommt man mit anderen zusammen, hört zu und tauscht sich aus. Einen Text zu hören, der performt wird von der Person, die ihn geschrieben hat, ist etwas ganz anderes, als einen Text einfach nur zu lesen.
Die Texte, die du vorträgst, sind häufig sehr persönlich. Wie ist das, so etwas Intimes auf einer Bühne vorzutragen und die unmittelbare Reaktion des Publikums zu bekommen?
Das ist schon ein krasses Gefühl. Ich weiß noch, bei meinem allerersten Slam hatte ich einen sehr persönlichen Beitrag. Darin habe ich mich mit meiner gerade erst entdeckten Bisexualität befasst. Ich wuchs in einer sehr ländlichen Gegend auf und dieses Thema war deswegen nicht einfach. Der Text hieß „Eine Geschichte von Möpsen und meinem konservativen Stiefvater“. Ich mag den Text sehr. Aber ich erinnere mich, dass ich richtig Angst vor der Reaktion des Publikums hatte, als ich ihn auf der Bühne vortrug. Mir haben die Beine gezittert und am Ende stiegen mir sogar Tränen in die Augen. Es hat eine überwältigende Wirkung, so etwas vorzutragen.
Ich finde aber, das ist etwas Positives, weil bei Slams überwiegend tolles Publikum ist. Nach den Slams kommen Leute zu dir, die dir sagen, dass sie das auch so fühlen oder dass dein Text ihre Sichtweise verändert hat. Das ist der Moment, in dem man merkt, dass obwohl man nur „Kleinkunst“ macht, das wirklich Menschen berührt. Aber es ist auch cool, unterschiedliche Reaktionen zu sehen. Manchmal eckt man eben auch an, aber das kann auf eine andere Art und Weise auch etwas bewirken.
Du hast erzählt, dass man eigentlich über alles einen Poetry Slam machen kann. Gibt es ein Thema, dass du zwar spannend findest, wozu du aber trotzdem noch nichts geschrieben hast?
Wenn ich schreibe, nehme ich mir nicht genau vorher vor, zu welchem Thema ich jetzt etwas sagen möchte. Das passiert meistens sehr spontan. Ich kann auch nicht einschätzen, wie lange ich für einen Text brauche. Was sich anfühlt wie fünf Minuten sind manchmal Stunden. Ich verliere, wenn ich in den Flow komme, wirklich jedes Gefühl für Zeit. Mittlerweile habe ich mich schon an einige Themen herangetraut, bei denen ich vorher dachte, das würde ich niemals machen. Zum Beispiel mentale Gesundheit. Trotzdem ist nicht jedes Thema gleich zugänglich und nicht über alle ist es einfach zu schreiben.
Aber eine Sache, die ich gerne machen würde, ist mehr über Sex zu schreiben. Es gibt sogar Erotik Poetry Slams. Aber wenn ich vor meinem Laptop sitze und versuche, darüber einen Text zu machen, merke ich richtig, wie verklemmt ich bin. Mir fällt es dann schwer, Worte dafür zu finden, die nicht klischeehaft klingen. Falls ich tatsächlich mal auf einen Erotik Slam gehe, würde das Publikum so einen Text erwarten und dann würde es mir leichter fallen. Das Tolle ist, dass die Leute auch bei so einem Slam immer ihr eigenes Ding draus machen. Also ein Erotik Slam kann genauso tiefgründig oder super lustig sein.
Jetzt haben wir viel darüber geredet, was du am Poetry Slam magst. Gibt es auch etwas, das dir nicht gefällt?
Ja, definitiv. Ich finde die Vergleichbarkeit der Beiträge manchmal ein bisschen schwierig. Es wir durchaus suggeriert, dass es sich um einen objektiven Wettbewerb handelt. Das ist aber nicht so und sollte auch gar nicht der Anspruch sein. Es ist eben Kunst, und Kunst ist subjektiv. Ich finde es ist schon relativ bezeichnend, dass ein Slam trotzdem häufig sehr ähnlich abläuft.
Mir ist vor allem in den letzten paar Jahren aufgefallen, dass Poetry Slam sich dazu entwickelt, nur lustigen Texten eine Chance auf den Sieg zu geben. Nur selten schaffen es zum Beispiel sehr traurige oder politische Texte, zu gewinnen. Irgendwo kann ich das schon verstehen. Das Publikum ist da, um unterhalten zu werden. Man will eher lachen als weinen. Aber ein bisschen schade finde ich das schon. Vielleicht auch aus dem persönlichen Grund, dass ich selbst mit diesen eher heftigen Texten begonnen habe. Zwar bekam ich als Rückmeldung häufig gesagt, wie toll der Text sei, aber dass das eben nicht das ist, was das Publikum hören wolle. Das geht nicht mal so sehr vom Publikum aus sondern in manchen Fällen auch von den Moderator*innen. Da wurde mir dann schon geraten, eher den lustigen Text vorzutragen.
Hast du einen Tipp, um sich beim Vortragen nicht zu verhaspeln?
Dadurch, dass ich meine Texte häufig sehr kurzfristig schreibe, sind sie mir noch präsent im Kopf. Außerdem stehe ich vor jedem Slam in meinem Zimmer und slame meinen Zimmerpflanzen meinen Text vor (lacht). Durch das häufige Wiederholen fühle ich mich sicherer. Irgendwann kommt man dann in diesen bestimmten „Slam“ Sprachrhythmus und das hilft auch, den Beat der Sprache zu finden. Außerdem braucht niemand Angst vor der Bühne zu haben. Alle beim Poetry Slam sind unglaublich nett.
Für mich ist Schreiben, wie jede andere Kunstform auch, ein Ausdruck dessen, was einen selbst bewegt. Durch die Freiheit beim Poetry Slam kannst du alles machen. Jede*r sieht Dinge auf eine andere Weise. Wer mit Poetry Slam anfangen möchtest, sollte sich nicht unter Druck gesetzt fühlen, etwas nie Dagewesenes vortragen zu wollen. Schreib über etwas, das dich interessiert.