„Der Comic entwirft Welten“
In der Bibliothek des Romanischen Seminars gibt es 1.800 Comics – und es werden immer mehr. Was das Besondere an der frankophonen Comic-Sammlung ist und wie Studierende sie nutzen können, hat Leonie den Seminarbibliotheksbeauftragten und Akademischen Oberrat für Romanische Sprachwissenschaft Dr. Claus Pusch gefragt.
Hallo Herr Pusch, Sie sind Seminarbibliotheksbeauftragter für die Bibliothek des Romanischen Seminars und bringen Studierenden französische Comics näher. Sind Sie sozusagen der Herr der Comics?
So ein bisschen, ja. Ich habe angestoßen, eine Primärtextsammlung an Comics als Teil unserer Seminarbibliothek anzulegen. Ich bin aber insofern nicht der Herr der Comics, als ich nicht der Einzige bin, der sich am Romanischen Seminar für Comics interessiert. In der philologischen Fakultät gibt es mehrere Kolleginnen und Kollegen, die die Comics als Forschungsschwerpunkt haben. Zum Beispiel Herr Azzarello, der manchmal italienische Comics behandelt hat oder Herr Nonnenmacher, der sehr viel Expertise für spanischsprachige und lateinamerikanische Comics hat.
Was ist denn das Besondere an der frankophonen Comic-Sammlung?
Die Comic-Sammlung, die wir im Moment hier aufbauen, ist keine rein frankophone. Sie ist vor allen Dingen romanisch-sprachig und soll auch über die romanischen Sprachen hinaus eine Ressource sein, die möglichst allen Studierenden, allen Lehrenden, allen Forschenden zur Verfügung steht. Aber es stimmt, dass in dieser Comic-Sammlung im Moment zwei Drittel der Ressourcen französischsprachig sind.
Das Besondere an der Sammlung ist, dass es sie überhaupt gibt. Es ist nicht der Normalfall, dass eine romanistische Fachbibliothek sich das Genre Comic und Graphic Novel oder Bande Dessinée als besonderen Erwerbsschwerpunkt rauspickt. Bei der Auswahl der Comics bin ich immer im Austausch mit dem Bibliotheksteam.
Unser Ziel ist es, frankophone Comics zu wählen, die nicht nur die Klassiker umfassen, die jeder meiner Generation kennt, wie Asterix, Tintin, im Deutschen Tim und Struppi, oder Lucky Luke, sondern auch weniger bekannte Comics, die aber im frankophonen Bereich auch Klassiker-Status haben.
Da fällt mir im französischsprachigen Raum sofort Blake and Mortimer von Edgar Jacobs ein, wo dieser Tage ein neuer Band erschienen ist. Wenn ein neuer Blake & Mortimer erscheint, ist das in Belgien und Frankreich ein Ereignis, dass es in die Tagesaktualität schafft. Da warten immer schon viele Fans darauf.
Wir wollen also Klassiker berücksichtigen, die bei uns nicht so bekannt sind. Vor allen Dingen auch Comics, die inhaltlich und von der Machart her keinen Klassiker-Status haben, aber zum Beispiel für Spezialisten als ganz große Kunst gelten. Der Comic wird in der Kulturwissenschaft ja auch „le neuvième art“, die neunte Kunst, genannt. Herr Nonnenmacher und ich machen auch „Comic-Studies“ in der Forschung.
In Frankreich gehört das Comic-Lesen zur Kultur. Wie ist das denn in Deutschland?
Das Comic-Genre hat nach einer Durststrecke in den 80er und frühen 90er Jahre in ganz vielen Ländern einen Höhenflug und das gilt sicherlich auch für den deutschen Comic-Markt. Die Voraussetzungen sind in Deutschland aber ganz andere. Es gab immer einen sehr breiten Markt für Kinder- und Jugendcomics. Da gab es auch etablierte deutsche Produkte, wie etwa Fix und Foxi aus dem Kauka-Verlag. Natürlich auch die importierten Disney-Comics, das war ein gut bedienter Markt für meine Generation.
Auf der anderen Seite gibt es den anspruchsvolleren und auch teureren Comic im Album. Die Tatsache, dass nun reine Comic-Buchhandlungen zugenommen haben und wenn man sieht, was in der Buchhandlung ausliegt, da findet man deutlich mehr Comics als noch vor 30 Jahren.
Es ist aber auch in der Tat eine Kultursache. Im franko-belgischen Raum ist die Kenntnis von Comics ein Faktor, dazuzugehören. Parallel entwickeln sich Deutschland und Frankreich aber im Bereich amerikanischer Comics, also Marvel- und DC-Universen, die sind in beiden Ländern populär. Der Höhenflug des Comics wird auch kommerziell gerade sehr stark von Mangas, also japanischen Comics, getragen. Das verkauft sich gut, weil es nicht so teuer ist.
Was ist denn Ihr Lieblings-Comic?
Die Serie „Blake & Mortimer“ des belgischen Autors Edgar Jacobs. Diese sind innerhalb der Klassiker-Comics ganz klar mein Favorit. Das liegt an dem Zeichenstil, der klaren Linie. Diesen Stil haben auch andere Comics verwendet, Jacobs hat ihn aber zur Perfektion getrieben. Außerdem gefällt mir die interessante Erzählweise, die andere Leute oft nervt, weil Jacobs Comics unheimlich textlastig sind und mit authentischer Sprache nichts zu tun haben, da sprechen die größten Schurken noch in einem geschliffenen Französisch.
Viele dieser Comics haben auch einen interessanten Hintergrund und greifen Sagen und Legenden auf. Zum Beispiel gibt es eine Comic-Reihe über den Atlantis-Mythos oder Comics, bei denen man nach dem Lesen einen Grundkurs in Ägyptologie gemacht hat. Es wird dabei unheimlich viel Fachwissen vermittelt.
Von „Le petit astronaute“ des Autors Jean Paul Eid aus Quebec war ich auch sehr begeistert. Dort erzählt er die Geschichte seines behinderten Kindes, das ist echte große Comic-Kunst.
Was kann denn das Format Comic besser als andere Formate?
Gegenüber dem Roman ist der Comic im Vorteil, weil er erstens die Text-Bild-Interaktion hat, beim Romanlesen entsteht das Bild ja nur im Kopf. Beim Comic hat man das Bild ja schon mal vor sich. Er kann dichter sein, weil er zwischen den Bildern ja immer diese weiße Fläche hat. Man zeigt bildlich und textlich eine Facette und dann kommt das nächste Bild und alles, was dazwischen passiert, überspringt man und überlässt das der Leserin oder dem Leser.
Der Film wird immer sehr ähnlich zum Comic gesehen, auch in der Arbeitsweise. Im Kontext von Science-Fiction sind im Film aber Grenzen gesetzt, zum Beispiel der Aufwand für historische Filme. Im Comic kann ich alles einfach nur zeichnen. Man kann Welten entwerfen, ohne großen Kostenaufwand. Mit der Sprechblase kann der Comic auch spielen.
Warum ist die Comic-Sammlung der Romanischen Bibliothek für Studierende interessant?
Bibliotheken sind ja auch Orte angenehmen Aufenthalts, unser Bibliotheksteam will den Ort einladend machen. Man kann in der Bibliothek lernen und arbeiten, aber auch relaxen. Das kann man mit einem Comic ganz gut.
Einen Comic kann ich auf zwei Arten lesen: Wenn ich Bild für Bild wahrnehme oder indem ich eine Seite nur mit einem kursorischen Blick überfliege. Ein Comic hat so zwischen 48 und 64 Seiten, wenn ich ihn schnell lese, brauche ich eine Viertelstunde, wenn man ihn aber aufmerksam betrachtet, braucht man mehrere Stunden.
Aus meiner Lehrerfahrung weiß ich, dass gerade die europäischen Comics bei heutigen Studierenden nicht mehr so bekannt sind wie vor 30 Jahren. Man kennt zwar die klassisch europäischen Comics, wie Asterix und Tintin, aber schon Spirou kennen nicht mehr viele.
Man kann auch sehr viel lernen. Viele Comics erzählen historische Ereignisse, politische Entwicklungen oder beschäftigen sich mit graphic medicin. Viele Leute sind von den angesprochenen Themen betroffen.
Viele Themen bleiben abstrakt, wenn man sie in einem Kurs erfährt, zum Beispiel über die Zeit Karl des Großen. Der Comic erzählt die Geschichte anschaulicher, wie das genau war, in der Zeit von Karl des Großen. Comics sind auch eingebunden in mediale Netze und unsere Studierenden könnten sehr gut in Verbindung mit Film einen Medienvergleich, also transmediale Analysen, machen. Zum Beispiel die Geschichten Agatha Christies, im Film und im Comic zu vergleichen. Da gibt es viele Möglichkeiten für Abschlussarbeiten. PolyBA-Studierende oder Lehrerinnen und Lehrer könnten die Comics für ihren Unterricht nutzen, auch dafür ist unsere Sammlung sehr gut geeignet.
Info
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