Hallo Herr Rozman! Sie sind Psychologe und arbeiten in der Psychotherapeutischen Beratungsstelle des Studierendenwerks. Etwa vor einem Jahr haben wir schon einmal über die psychische Gesundheit der Studierenden während der Corona-Pandemie gesprochen. Was hat sich seitdem an der Situation geändert?
Es gibt noch mehr Arbeit. Man kann deutlich sagen, dass es zunehmend Studierende gibt, die spezifisch unter den Auswirkungen der Pandemie leiden. Das kann man auf mehreren Ebenen beobachten. Das Lernen ist schwieriger geworden, es fällt den Studierenden schwerer, den Inhalt der Veranstaltungen mitzuverfolgen. Es ist anstrengender, sich selbst strukturieren zu müssen, weil das Soziale fehlt.
Ich sehe immer wieder Studierende, die Probleme dabei haben, Anschluss zu finden. Das ist gerade am Anfang des Studiums wichtig. Viele Studierende, auch diejenigen, denen es eigentlich nicht an sozialen Kompetenzen mangelt, vereinsamen.
Wenn der Ausgleich fehlt, ist das Studium sehr kräftezehrend, worauf manche Studierende Ängste oder Depressionen entwickeln. Die Energie und die Perspektive fehlt, die Kraft geht aus. Für Studierende, die schon vor der Pandemie Schwierigkeiten hatten, hat sich die Lage häufig verschlechtert. Auch die Partner*innensuche, die für viele ein wichtiger Entwicklungsschritt ist, wird erschwert, weil die Begegnungsmöglichkeiten fehlen.
In der der Psychotherapeutischen Beratungsstelle beraten Sie Studierende, die sich in einer Krise befinden. Wie lang muss man momentan auf einen Termin warten?
Im Moment sieht es sehr schlecht aus. Eigentlich ist es unser Anspruch, dass man noch in derselben Woche einen Termin kriegt. Momentan sind es eher zwischen vier und fünf Wochen. Die Wartezeiten waren noch nie so lang wie jetzt. Es ist viel zu tun, gerade jetzt in der Prüfungsphase ist die Not bei den Studierenden am größten.
Der ‚freie zusammenschluss von student*innenschaften (fzs) e.V.‘, der überparteiliche Dachverband von Studierendenvertretungen in Deutschland, hat eine Umfrage zur Situation von Studierenden während der Pandemie durchgeführt. Dabei kam heraus, dass sich jede*r Zweite beim Gedanken an ihr*sein Studium schlecht fühlt. Woran liegt das?
Das ist eine komplexe Frage. Ich würde sagen, dass es im Allgemeinen mit den veränderten Studien- und Lebensbedingungen zusammenhängt. Es gibt aber auch große Unterschiede darin, wie die verschiedenen Studiengänge auf diese Bedingungen reagiert haben. Manche Studiengänge haben sich besser, manche schlechter angepasst. Es ist eine herausfordernde Situation, die sicher dazu beigetragen hat, dass es Studierenden im Allgemeinen schlechter geht.
Es gibt kleinere Studiengänge, die sich noch in Präsenz treffen können, was sehr günstig ist. Bei größeren Studiengängen, wie zum Beispiel Jura oder Medizin, wo man sowieso schon anonym ist, sieht das online noch viel schlechter aus.
Es geht auch um die Möglichkeit, Dozierende persönlich zu sehen und ansprechen zu können. Wenn Studierende mit unklaren Rahmenbedingungen allein gelassen werden, ist die Tendenz, sich zu verlieren und Dinge aufzuschieben, oft größer.
Was bräuchten Studierende jetzt, damit es ihnen psychisch besser geht?
Dass die Pandemie aufhört (lacht). Das wäre schön. Und sonst: Kontakt. Es wurde unterschätzt, welchen Unterschied es macht, sich zufällig an der Uni begegnen und Menschen in echt sehen zu können. Diese kleinen Begegnungen sind sehr wichtig, um sich zum Beispiel spontan zum Kaffeetrinken zu verabreden, was man vielleicht sonst nicht getan hätte.
Viele Studierende sind stark darauf angewiesen, dass der Stoff ihnen live im Vorlesungssaal vermittelt wird. Viele haben vor dem Bildschirm Konzentrationsschwierigkeiten und driften schneller ab. Die Bedingungen im eigenen Zimmer sind nicht die gleichen wie im Vorlesungssaal. Das würde bedeuten, dass gewisse Öffnungen stattfinden und es mehr Präsenzveranstaltungen geben müsste.
Inwiefern unterscheidet sich die psychische Lage von Studierenden von der anderer Menschen?
Alle Altersgruppen in der Gesellschaft sind auf eine spezifische Weise betroffen. Es ist schwer zu sagen, wer mehr oder weniger betroffen ist. Am Anfang hat man angenommen, dass Studierende voller Elan und Energie im Leben stehen und ihnen all das nichts ausmacht. Darin hat man sich getäuscht. Studierende sind eine vulnerable Gruppe, die spezifische Bedürfnisse und Entwicklungsaufgaben zu bewältigen hat, was unter Corona-Bedingungen erschwert wird. Sie sind auf das Zwischenmenschliche angewiesen und werden von den Einschränkungen sehr stark getroffen.
Berufstätige wie ich sind im sozialen Bereich nicht so betroffen, ich habe mein soziales Netz. Ich kann vielleicht nicht ganz so unbeschwert ausgehen und abends essen gehen, aber das kann ich ganz okay wegstecken. Studierende dagegen sind darauf angewiesen, Freundschaften zu knüpfen, Menschen kennenzulernen oder sogar eine*n Partner*in zu finden, die trifft das natürlich stärker.
Zusätzlich zur psychischen Belastung durch die Pandemie ist nun eine neue Krise auf uns zugekommen – der Ukraine-Krieg. Was würden Sie Studierenden raten, denen es gerade nicht so gut geht?
Erstens würde ich empfehlen, über die schwierigen Gefühle mit anderen in Austausch zu kommen und zu bleiben. Diese werden in der Regel erträglicher, wenn geteilt. Zweitens, den Nachrichtenkonsum reduzieren. Wir werden regelrecht mit Nachrichten darüber ‚bombardiert‘ und dadurch teils zu machtlosen Zuschauern gemacht. Drittens, man kann sich zum Beispiel ehrenamtlich engagieren, nach dem Motto, helfen hilft. Dies kann das eigene Ohnmachtsgefühl etwas verringern.
Wenn man merkt, dass man es aus eigener Kraft nicht mehr schafft, ist es wichtig, sich Hilfe zu suchen. Unsere Stelle ist eine gute Anlaufstelle.
Die meisten Tipps helfen einem nur, wenn es einem noch nicht so schlecht geht. Wichtig ist es, das Soziale nicht zu vernachlässigen, aktiv auf andere zuzugehen und Kontakte aufrecht zu erhalten, auch wenn die Bedingungen schlechter sind. Online-Treffen sind besser als gar nichts.
Man sollte sich auch um die eigene Gesundheit kümmern, mit Bewegung und gesunder Ernährung zum Beispiel. Bei vielen hat sich eine Frustration entwickelt, man resigniert fast schon und hat das Gefühl, es lohnt sich eh nicht, etwas zu machen. Es ist wichtig, sich dem nicht hinzugeben, wenn man es schafft. Auch wenn die Möglichkeiten eingeschränkt sind, gibt es zum Beispiel über die Uni Angebote, über Sport mit anderen in Kontakt zu kommen. Man muss einfach dranbleiben.
Wenn die Probleme zu groß sind und man eine Therapie braucht, kann man gerne zu uns kommen. Wir helfen bei der Suche. Im Moment ist es leider schwierig, eine*n Therapeut*in zu finden.
Viele Krankenkassen bieten kostenlose Gesundheitskurse im präventiven Bereich zu verschiedenen Themen an, zum Beispiel Stress- oder Zeitmanagement. In den letzten Jahren wurden sogenannte Gesundheits-Apps entwickelt, die man sich verschreiben lassen kann. Sie sind nicht als Ersatz für eine Therapie gedacht, bieten aber Programme zu Depressionen oder Ängsten an.
Es ist wichtig, sich über die Belastungen austauschen zu können, jemanden zu haben, bei dem man sich auskotzen kann. Es verändert etwas, wenn man die eigenen Gedanken ausspricht, statt sie nur für sich selbst zu denken. Meine Empfehlung ist, immer weiter darüber zu sprechen, auch wenn man sich wiederholt. Das kann eine Entlastung bewirken.