Ein positiver Schwangerschaftstest – für die einen ein Anlass zum Jubeln, für die anderen einer zum Verzweifeln. Es passiert mitten im Studium, mit der falschen Partner*in oder ganz und gar ungewollt: Die Gründe, weshalb sich Menschen gegen eine Schwangerschaft entscheiden, sind vielfältig und höchst individuell. Der Weg vom Test bis zum Abbruch ist jedoch lang und kompliziert – was nicht zuletzt durch die deutsche Gesetzeslage bedingt ist.
Vom Test bis zum Termin
Myriam und Louisa sind Medizinstudentinnen an der Uni Freiburg und engagieren sich als Teil der Kritischen Mediziner*innen unter anderem für legale und sichere Schwangerschaftsabbrüche. Sie erklären, welche Schritte Schwangere durchlaufen müssen, bis sie einen Arzttermin für den Abbruch bekommen. „Zunächst ist es wichtig zu wissen, dass Schwangerschaftstests falsch liegen können“, sagt Myriam, die im 10. Semester Medizin studiert.
Deshalb ist eine gynäkologische Ultraschalluntersuchung zur Bestätigung der Schwangerschaft unerlässlich. Ist die Schwangerschaft bestätigt, folgt die sogenannte Schwangerschaftskonfliktberatung als verpflichtender Schritt – die Beratung ist der einzige Weg, eine Freiheits- oder Geldstrafe nach Paragraph 218 zu umgehen, welcher den Abbruch als Straftat definiert. In Freiburg gibt es drei Beratungsstellen, welche den für den Abbruch erforderlichen Beratungsschein ausstellen: Pro Familia, Donum Vitae und das Diakonische Werk.
Ist der Beratungsschein ausgestellt und die vorgeschriebene Bedenkzeit von drei Tagen eingehalten, kann die Schwangere eine der in der Beratung vorgeschlagenen Praxen für den Eingriff aufsuchen. Das ist leichter gesagt als getan, denn in ganz Deutschland geht die Zahl an Praxen und Kliniken, welche Schwangerschaftsabbrüche durchführen, zurück. Laut Statistischem Bundesamt zeichnete sich zwischen 2003 und 2018 ein Rückgang von 40 Prozent ab. Auch in Freiburg herrsche ein Engpass, sagt die Freiburger Frauenbeauftrage Simone Thomas. „Die Ärzt*innen, die Abbrüche vornehmen, werden immer weniger. Vor allem sind es ältere, oft schon im Ruhestand stehende Ärztinnen und Ärzte, die weitermachen, weil es sonst niemand tut. Je älter sie werden, desto problematischer wird die Versorgungslage in der Stadt.“
Für Betroffene bedeutet das: Längere Wartezeiten und längere Wege in Kauf nehmen. Ob man sich trotz einer frühzeitigen Beratung Sorgen machen muss, dass der Eingriff nicht vor der als „Limit“ definierten dreizehnten Schwangerschaftswoche durchgeführt werden kann? „Es kann tatsächlich kritisch werden“, sagt Frauenbeauftragte Thomas, die letztes Jahr bei einem Treffen mit Pro Familia und praktizierenden Ärzt*innen Einblick in die Versorgungslage erhalten hat.
Für Veränderung in Freiburg & Umgebung
Damit sich etwas ändert, setzen die Kritischen Mediziner*innen ihren Schwerpunkt auf die Ausbildung angehender Ärzt*innen. Sie berichten, dass in Freiburg das Thema Schwangerschaftsabbruch bisher nur im Kontext einer Ethik-Vorlesung Teil des Medizinstudiums sei, selbst in der fachärztlichen Weiterbildung zur Gynäkolog*in sei dieses nicht fest verankert. „Da es kein fester Bestandteil des Lehrplans ist, glauben wir, dass sich viele Studierende – bewusst oder unbewusst – entscheiden, das Thema zu umgehen. Sie haben wenig Chancen zu lernen, welche Bedeutung der Zugang zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen für Frauen hat“, sagt Myriam.
Gemeinsam haben die Ortsgruppe der Kritischen Mediziner*innen und die Fachschaft Medizin erreicht, dass Schwangerschaftsabbrüche zumindest im Medizinstudium der Uni Freiburg einen Platz gefunden haben: Seit dem Wintersemester 2019/2020 steht ein Seminar zur medizinischen Durchführung des Eingriffs fest auf dem Seminarplan in der Frauenheilkunde. Für Myriam und Louisa ein erster Schritt. Sie wünschen sich aber, dass derartige Angebote in Zukunft nicht von studentischen Gruppen und einzelnen Lehrpersonen erkämpft werden müssen.
Um die Versorgung zu sichern, betonen die Aktivistinnen sowie die Frauenbeauftragte außerdem die Wichtigkeit einer angemessenen Vergütung. „Der Eingriff lohnt sich eigentlich nicht“, sagt Simone Thomas. „Die Ärzt*innen machen das oft aus altruistischen Motiven und nicht, weil sie an der Behandlung verdienen.“ Vor allem der chirurgische Eingriff, welcher teures OP-Equipment erfordere, sei für Ärzt*innen auf Dauer schwer finanzierbar.
„Es ist gut, dafür auf die Straße zu gehen“, sagt Frauenbeauftragte Thomas und lobt Initiativen wie die Kritischen Mediziner*innen für ihren Einsatz. Diese haben vor Ausbruch der Pandemie regelmäßig für reproduktive Rechte demonstriert und organisieren weiterhin (Online-)Workshops und Infoveranstaltungen.
Der Schwangerschaftsabbruch – ein politisierter Eingriff
Dass die Studierenden Aufklärungsarbeit übernehmen, hat einen Grund: Laut Paragraph 219a des Strafgesetzbuches ist es Ärzt*innen verboten, über Schwangerschaftsabbrüche zu informieren, wenn sie diese selbst durchführen. „Natürlich können wir nicht die gleichen Informationen liefern wie Ärzt*innen, die diesen Eingriff vornehmen“, sagt Louisa von den Kritischen Mediziner*innen. „Wir haben uns aber viel mit der Thematik beschäftigt und sehen uns deshalb in der Verantwortung, den im Netz kursierenden Fehlinformationen etwas entgegenzusetzen.“ Im Netz fänden sich vermehrt Inhalte von Abtreibungsgegner*innen, welche gezielt von dem Eingriff abschrecken wollen, berichten die Aktivistinnen. Auch Simone Thomas kritisiert das Ungleichgewicht der Informationen.
Unter anderem aufgrund des Informationsverbots für Ärzt*innen gibt es für Freiburg keine offizielle Liste der Praxen und Kliniken, in denen Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt werden. Daneben spiele der Schutz der Ärzt*innen gegen „teilweise massive Anfeindungen von Abtreibungsgegner*innen“ eine Rolle, sagt die Frauenbeauftragte. Betroffene erfahren erst beim Beratungsgespräch von ihren konkreten Optionen. Für Frauenbeauftragte Thomas eine absurde Situation: „Wir möchten doch bei allen medizinischen Eingriffen vorher wissen, wer diese anbietet und mit welchen Methoden.“
„Keine kommunale Aufgabe“
Die öffentliche Debatte über den Paragraphen wurde in den letzten Jahren durch Verurteilungen von Ärzt*innen wie Kristina Hänel neu angestoßen. Simone Thomas hofft dadurch auf Veränderung. „Die Enttabuisierung von Schwangerschaftsabbrüchen ist keine kommunale Aufgabe“, sagt die Frauenbeauftragte. Das Thema müsse auf Landes- und Bundesebene behandelt werden, aus Angst vor konservativen Parteien trauen sich aktuell aber wenige Politiker*innen, über Abbrüche zu sprechen.
Bei der kommenden Landtagswahl findet man im Parteiprogramm nur bei Die Linke eine Forderung zur Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen. Die Grünen plädieren in ihrem Wahlprogramm jedoch für verbesserten Informationszugang und eine gesicherte Versorgung.
Myriam, Louisa und Freiburgs Frauenbeauftragte sind sich einig: Damit die Versorgungslage in Freiburg und Umgebung sich verbessern könne, sei eine Streichung der betreffenden Paragraphen im Strafgesetzbuch notwendig. Sie wünschen sich, dass Schwangerschaftsabbrüche stattdessen wie andere Behandlungen auch im medizinischen Bereich geregelt und fester Bestandteil der ärztlichen Versorgung werden.