“Die Tribalisierung der Gesellschaft hat auch vor Rap nicht halt gemacht.”
Das Berliner Rap-Duo Zugezogen Maskulin hat sich seit dem Release ihres Debütalbums Alles Brennt 2015 einen Ruf als wütende Kritiker herrschender Zustände erarbeitet. Ihr neues Album 10 Jahre Abfuck ist wieder ein Potpourri aus Wut und Gesellschaftskritik, dabei klingen Testo und Grim104 allerdings erstmals so, als hätten sie für sich schon mit Deutschrap abgeschlossen.
Inzwischen sollte man sich ja eigentlich daran gewöhnt haben. Dennoch ist es jedes Mal wieder befremdlich, Interviews wegen der Corona-Situation nicht persönlich sondern via VideoCall zu machen. Die Rapper Grim104 und Testo sitzen in einer Berliner Küche und fummeln, wie traditionell bei jedem Beginn eines Videoanrufs, erstmal noch an der Technik herum, bis alles läuft.
uniFM: Das neue Album 10 Jahre Abfuck kommt sowohl textlich als auch klanglich düsterer um die Ecke als eure bisherigen Alben. War das von euch so beabsichtigt?
Testo: Ich finde persönlich, Alle gegen Alle war düsterer, da hab ich mich düsterer gefühlt. Und hier habe ich mich jetzt eher befreit gefühlt. Der Song Exit, den wir zuerst ausgekoppelt haben, der zeigte dieses Gefühl von “Ey, irgendwie macht es mir nicht mehr so richtig Spaß und wie gehe ich damit um?” und stand am Anfang vom Albumprozess. Dann habe ich das reflektiert und habe einen Umgang mit vielen Sachen finden können und der Rest der Songs thematisiert eigentlich eher, wie ich zu diesem Exit-Punkt gekommen bin. Nur weil ich jetzt befreit und lockerer war, konnte ich das so formulieren und rauslassen. Aber klar, wenn man das von außen hört kann man denken, dass das düster sei.
uniFM: Hattet ihr vor Release Sorge, dass diese Themen von den Fans oder der “Szene” als Luxusprobleme aufgefasst werden und dann negative Reaktionen kommen?
Grim104: Ne, und ich glaube, ich bin jetzt gerade in einer Verfassung in der ich denke, früher hätte ich Angst vor sowas gehabt, mittlerweile denke ich mir: Gut, das ist halt meine ehrliche Empfindung. Es geht darum, älter zu werden und wahrzunehmen, dass die Szene in der ich mich seit 10 Jahren bewege einfach für meine Seele nicht das gesündeste auf die Dauer oder in der Dosis ist. Das heißt nicht, dass es niemanden gibt, dem es schlechter geht, es gibt immer jemanden, dem es schlechter geht.
Testo: Das ist auch ein dämliches Moralgebilde, ehrlich gesagt. Ich kenne das auch selber, ich hab dem vielleicht auch mal selber angehangen, aber letztendlich blockiert das immer eine ehrliche Auseinandersetzung mit sich selbst und auch den Diskurs. Das ist ja diese “Wenn es dir hier nicht passt geh halt weg”-Logik, das kann man überall ansetzen. Letztendlich ist es aber nur ein Mittel, die Leute mundtot zu machen, dass sie nicht mehr über ihre eigenen Probleme reden weil sie glauben das sei dekadent. So bringt man den Austausch zum Stillstand.
Grim104: Ich verstehe, wieso du uns jetzt diese Frage stellst, weil wir da auch mal in dieses Horn geblasen haben. Gerade bei Songs wie “Undercut Tumblerblog” oder auch “Alles Brennt” und “Alle gegen Alle”. Aber das würde ich auch als Teil des Reifeprozesses verbuchen, das ist jetzt nicht mehr das Horn in das ich blase, sondern ich blase in ein dickes Jagdhorn. (lacht und imitiert ein Jagdhorn)
uniFM: Gerade zu Zeiten eures Debüts hat man euch angemerkt, dass ihr einfach große Lust an Kritik habt und Rap euer Medium für diese Kritik ist. Inzwischen ist das nicht mehr ein Stil, sondern vielmehr eine Rolle, die ihr in Rap-Deutschland einnehmt. Seid ihr zufrieden mit dieser Rollen-Zuschreibung?
Grim104: Also ich habe zumindest ein Problem mit dieser Rollenzuschreibung. Die wollte ich nie und die sucht man sich glaube ich auch nicht aus. “Jo ich bin jetzt immer der kritische Mäkel-Rapper”- So hab ich mich nie gesehen und deshalb macht es mir jetzt auch mehr Spaß und fühlt sich sinniger an, das jetzt so von sich zu stoßen und zu sagen: “Ja, dann denk du das halt”. Ich möchte diese Rolle nicht spielen, aber die will natürlich auch keiner.
Testo: Das ist auch ein Aspekt über den wir nachgedacht haben, diese Rollenzuschreibungen. Man hat da keine Kontrolle drüber. Ich kriege von draußen irgendwelche Rollen zugeschrieben. Und die Rolle gefällt mir nicht, dann will ich die Rolle kaputt machen und dann verheddert man sich in solchen Außenansichten. Ich glaube, das einzige was hilft ist zu sagen: Ja, die Leute projizieren irgendwelche Sachen in mich rein. Und ich muss mich davon lösen. Letztendlich kennt ihr mich nicht. Das sind halt die Rollen, die mir zugeschrieben werden und ich muss bei mir bleiben. Dann ist das schon okay. Und was die Rapszene angeht: Ich hab per se nicht das Gefühl, dass es noch die eine Rapszene gibt. Die Tribalisierung der Gesellschaft hat auch vor der Rapszene nicht halt gemacht. Es hat sich zersplittert in viele verschiedene Teilszenen. Und ich fühle mich wie jemand, der alle paar Jahre mal reinschneit und davon erzählt, was er gerade wieder ausgebrütet hat. Also ich fühle mich nicht als Teil davon und lege auch keinen Wert darauf.
uniFM: Eine Rolle, die man euch nicht nur zugeschrieben, sondern die ihr auch aktiv eingenommen habt, ist die der Rapjournalisten (Testo und Grim104 lernten sich als Praktikanten in der Rap.de-Redaktion kennen, Anm. d. Red). Dass ihr beide Seiten der Musikindustrie kennt, macht eure Kritik daran authentischer. Aber daraus ergibt sich auch ein Paradox: Wie kann man diese ganze Struktur der Kulturindustrie kritisieren und dennoch Teil von ihr sein?
Grim104: Ich bediene jetzt mal nicht vulgär-Adorno mit “Es gibt nichts richtiges im Falschen”. Diese Rolle des Journalisten und diese Rolle des professionellen Rappers, da liegen schon drei, vier Jahre dazwischen, da haben wir das sauber getrennt. Und ja, das andere was du angesprochen hast, Promo zu hassen und Promo zu machen: Wenn mir ein cooler Kniff einfällt, um Dinge zu verkaufen finde ich das nicht per se schlecht, aber das sind eben diese Widersprüchlichkeiten und man muss halt schauen, dass man aussiebt und nicht jeden Promo-Quatsch mitmacht.
Testo: Ich finde auch Promo generell (Pause) ok. Ich bin keine moralische Lichtgestalt. Ich hab auch Bock, dass das was ich geschaffen habe sich verkauft. Ich hab Bock, Geld zu verdienen. Ich sag auch nicht nein wenn jemand sagt: “Du kannst gut charten”. Es kommt darauf an, ein Gefühl für sich zu haben, wie viel man mitmachen will, womit man sich noch wohl fühlt und wie lange man noch in den Spiegel schauen kann. Und dieses Gefühl hatte ich verloren, beziehungsweise habe ich gar nicht entwickelt.
Das ganze Interview gibt es nächste Woche am Dienstag, 4.6.2020 ab 19.00 Uhr im Soundcheck.
Das neue Album von Zugezogen Maskulin, 10 Jahre Abfuck erscheint am 07.08.2020 via Four Music.