Das Studium beenden, sich in einem Beruf spezialisieren, bis zur Rente durchhalten. Klingt langweilig? Nicht nur das. Es ist sogar gefährlich. Das zeigen verschiedene Studien des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung WZB (1). In Zukunft werden zwei und mehr Ausbildungen existenziell wichtig sein.
Dafür verantwortlich ist zum großen Teil die Digitalisierung. Damit verbunden: Das Verschwinden und Entstehen von neuen Berufen. Prof. Jutta Allmendinger (62), Präsidentin des WZB, warnt: Wer sich nicht durch Weiterbildungen ständig anpasse, müsse sich um seine Zukunft sorgen. Das bedeute zwangsläufig, dass die Lernenden immer älter werden. Die schlechte Nachricht: Wir sind nicht darauf vorbereitet. Es gibt noch keine geeigneten Finanzierungsstrategien. In den Köpfen aller Beteiligten hat noch kein Umdenken stattgefunden. Passe dich an, wenn dir deine Zukunft lieb ist, lautet die Botschaft. Das gilt sowohl für Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber.
„Irgendwann bist du zu alt für diesen Beruf.“
Manoela Milanova-Kormilev (37) hat eine Ausbildung zur Tänzerin im klassischen Ballett gemacht. Damals mit 16, während der Schulzeit, in Sofia, Bulgarien. Sie besucht das französische Gymnasium und absolviert zusätzlich eine schulbegleitende Ausbildung zur Reiseführerin. Es sei ein Pilotprojekt an ihrer Schule gewesen. Eine Ausbildung neben dem Unterricht machen, für den Fall, dass die Absolvent*innen später nicht studieren. Reiseführerin ist sie nur kurz, begleitend zu ihrer langen Tanzkarriere.
2002 kommt sie auf Bitte ihrer Tante nach Freiburg, als Babysitterin für ihre kleine Cousine. Die Tante spendiert ihr einen Deutschkurs und wie das Leben so spielt, bleibt Manoela. In Deutschland verdient sie ihr Geld als freiberufliche Tänzerin, doch ihr war klar: „Irgendwann bist du zu alt für diesen Beruf.“ Außerdem wirft die Freiberuflichkeit nicht genügend zum Leben ab. Sie muss dazuverdienen, arbeitet überwiegend in der Gastronomie. Auf der Suche nach etwas Neuem kommt sie auf die Idee, eine vierjährige Ausbildung zur Heilpraktikerin für Psychotherapie zu machen. Psychologie hatte sie schon immer interessiert und sie sieht darin die Möglichkeit, ihre Tanzausbildung damit zu verbinden. Doch das reicht nicht. Sie beschließt, zu studieren.
Heute sitzt Manoela in den Hörsälen der Uni Freiburg. Drittes Semester, Kunstgeschichte im Hauptfach, Psychologie im Nebenfach. Damit will sie eine Brücke bauen zwischen dem, was sie schon gelernt hat und dem Neuen, was noch kommt. Endgültig kann sie nicht sagen, welchen Beruf das Ganze ergeben soll, aber die Richtung ist klar. Eine Therapieform, in der sie Kunst, Tanz und Psychologie verbinden kann. Sie habe gelernt, sich Ziele zu setzen, die sichtbar sind, und dass alles möglich ist. „Keiner aus meiner Generation hätte gedacht, dass jemand mit Computerspielen oder Blogs den Lebensunterhalt verdienen könnte“, sagt Manoela. „Und heute? Sprießt an jeder Ecke eine neue Geschäftsidee“, fügt sie hinzu. Der Mensch müsse sich anpassen, mit der Zeit gehen, nach neuen Möglichkeiten suchen und seine Nische finden. Ob der Verdienst aus der Teilzeit reicht? „Nein, natürlich nicht“, sagt Manoela. Sie werde von ihrem Mann und ihrer Familie unterstützt. Sonst wäre das Studium nicht möglich.
Die Halbwertszeit des Wissens
Alte Berufe verschwinden und neue entstehen. Interessen und Lebenssituationen ändern sich. Es sind natürliche Prozesse, an die sich viele durch Weiterbildung anpassen. Das haben auch manche Hochschulen erkannt und bieten überarbeitete, zukunftsorientierte Studiengänge an. Diese sind fächerübergreifend und auf den internationalen Markt ausgerichtet (2). Dass aus interdisziplinärem Wissen neues individuelles Potential entstehen kann, klingt plausibel. Und mit Weiterbildungen wird der Halbwertszeit des Wissens entgegengewirkt. Für einen Beruf liegt diese bei fünf Jahren, bei EDV-Kenntnissen gar nur bei einem Jahr, dann ist das Wissen bereits veraltet. Trotzdem gibt es noch kein ausreichendes Finanzierungs-Modell für Weiterbildungen oder eine zweite und dritte Ausbildung im Leben. Pech für diejenigen, die nicht durch eine Familie unterstützt werden. Haben die Betroffenen ein gewisses Alter erreicht, müssen viele ohne staatliche Unterstützung klar kommen. Die gängigste Form der Förderung ist BAföG, doch BAföG bekommt nur, wer bei der Antragstellung nicht über 30, für den Master nicht über 35 Jahre alt ist (3).
Die halb guten Nachrichten
Es gibt allerdings auch halb gute Nachrichten: Sonderregelungen. Weisen die Betroffenen gute Gründe vor, warum sie so spät ein Studium aufnehmen, sind sie förderungswürdig. Ein guter Grund können Kindererziehung und Berufstätigkeit sein. Auch eine Krankheit, die zu der Verzögerung führte, kann in diesem Fall etwas Gutes bedeuten. Oder die betreffende Person erlangt das Abitur auf dem zweiten Bildungsweg und bemüht sich „unverzüglich“ um einen Studienplatz, so wie Nicola Zimmermann (37).
Nicola, auf Heimatbesuch, sitzt mit Freunden im Café Atlantik. Sie bestellt Spaghetti Atlantik, große Portion, mit extra Knoblauch. „Claudia wird mich hassen“, sagt Nicola und lacht. Claudia ist ihre Tätowiererin. Um drei hat sie den Termin. Nun ist es eins. Das ist ihr Ritual, wenn sie in Freiburg ist. Freunde treffen, von Claudia tätowieren lassen, am Münstermarkt einkaufen, endlich in den Bergen wandern. In Berlin gibt es keine Berge. Da lebt sie seit acht Jahren. Weil es in Berlin auch keinen Studienplatz gab, studiert sie seit fünf Jahren im 129 km entfernten Cottbus. Aktuell macht sie ihren Master in Soziale Arbeit. Sie möchte später mit Behinderten arbeiten. Auf etwas Endgültiges möchte sie sich jedoch nicht festlegen. Wer wisse schon, was noch kommt. Gelernt hat sie Winzerin. Hier in Müllheim. „Ein schöner Beruf, aber für mich ohne Aufstiegschancen“, sagt sie. Dafür müsse man Erbe eines Gutes sein, sonst könne man da nicht in die Zukunft investieren. Zurückgekommen zum ehemaligen Ausbilder ist sie trotzdem jedes Jahr, um auf dem Freiburger Weinfest auszuhelfen. Auf Minijob-Basis. Nicht weil es sich gelohnt hätte, sondern weil sie mit den Leuten verbunden ist. Bis vor drei Jahren, dann wurde es zu stressig. Das Studium geht vor.
Hätte sie keine finanzielle Unterstützung bekommen, wäre das auch die Jahre davor nicht möglich gewesen. Um sich Berlin leisten zu können, ist Vollzeitarbeit angesagt. „Eigentlich wäre es ohne BAföG unmöglich, überhaupt zu studieren“, so Nicola. In ihrem Beruf hätte sie nicht arbeiten können, da Berlin bekanntlich keine Weinregion ist. Und sonst? Irgendwo im Service? Überhaupt, voll neben dem Studium? „Wie soll das denn gehen?“, fragt sie und schüttelt ungläubig den Kopf. Die Spaghetti werden serviert. Eine riesige Portion, der Teller dampft, aus den Wolken steigt Knoblauchgeruch. Daran wird hier nicht gespart.
Nicola hatte Glück. Gerade noch rechtzeitig, mit 29, holt sie das Abitur auf dem zweiten Bildungsweg nach. Wäre sie ein Jahr später auf die Idee gekommen, hätte sie das Abitur ohne finanzielle Unterstützung meistern müssen. So ging die Förderung nahtlos ins Masterstudium über. Dazu ein Minijob, damit kommt sie über die Runden. Stressig sei es schon, aber sie wolle nicht klagen. Sie kenne Fälle, da gäbe es Gründe zum Weinen. Eine Freundin etwa habe wegen der Arbeit den Leistungsnachweis nicht rechtzeitig vorlegen können. Jetzt sei das BAföG so lange gesperrt, bis sie die ECTS-Punkte aufgeholt hat. „Aber wie soll sie das machen, wenn sie jetzt noch mehr arbeiten muss?“, fragt Nicola und fügt hinzu: „Das schafft sie niemals.“ Eine bedrückende Stille in der Runde.
Studierende gestresster als Berufstätige
Auch wenn sich manches zum Besseren gewendet hat, die BAföG-Richtlinien scheinen nicht mehr zeitgemäß. Das betrifft nicht nur „ältere“ Studierende. Auch für diejenigen, die trotz BAföG arbeiten müssen, ist es oft schwierig die Hürden zu meistern. Wer die nicht packt, könnte selbst einmal zu den „älteren“ Studierenden zählen.
In Kooperation mit der AOK (4) und der Technikerkrankenkasse TK (5) ist Stress bei Studierenden wissenschaftlich untersucht worden. Das Ergebnis: Studierende sind gestresster als Berufstätige. Bei der bislang größten Studie, AOK 2016, wurden mehr als 18.000 Studierende in Deutschland befragt. Von diesen gaben 53% an, sie fühlten sich einem hohen Stresslevel ausgesetzt. Vor allem Zeit-, Leistungs- und Erwartungsdruck wurden als Gründe genannt. Für alle Studierenden, die neben dem Studium arbeiten müssen, ist das somit eine Doppelbelastung.
Im Vergleich dazu lag bei einer anderen Untersuchung der Stresslevel von Berufstätigen bei 50%. (siehe auch 4). Stress führt zu Depressionen und anderen Erkrankungen. Das belastet nicht nur die Betroffenen und deren Arbeitgeber, sondern auch die Krankenkassen. Somit ist es ein gesellschaftliches Problem.
Arbeiten aus Leidenschaft
Wer ohne Not mit fast 73 Jahren noch in Vollzeit arbeitet und keine Pläne für das Aufhören hat, kann wohl als gesund erachtet werden. Von vielen wahrscheinlich auch als verrückt. „Wer“ ist Professor Bernd Schneider* (Name von der Redaktion geändert). Er ist Architekt, spezialisiert auf den Bau von Krankenhäusern. Zurzeit hat er eine Gastprofessur in China, ist im sozialen Gesundheitswesen in mehreren afrikanischen Ländern unterwegs, und betreibt ein eigenes kleines Planungsbüro.
Bernd Schneider hat damals schon erkannt, was sich Prof. Jutta Allmendinger für heute wünscht. Er hat die Weiterbildung als eine notwendige Selbstverständlichkeit wahrgenommen.
Dabei fing es für ihn nicht rosig an. Bernd Schneider schaffte nicht einmal die mittlere Reife. Dafür waren die Noten nicht gut genug. Ein Schulversager. Der Grund? Schwierige familiäre Verhältnisse, schlussendlich auch die Pubertät.
Ein ungewöhnlicher Weg zum Erfolg
Es ist 1968. Die Schule hat Bernd abgebrochen. Auf Vermittlung kann er eine Bauzeichnerlehre machen. Doch schon früh merkt er, das reicht nicht. Also holt er das Abitur per Fernstudium nach, während der Lehrzeit, nachts büffelnd. Es bleibt ihm nichts anderes übrig. Es gibt noch keine staatlichen Angebote für den zweiten Bildungsweg. Die Bildungsreform kommt erst drei Jahre später. Bernd Schneider hätte zwar die Möglichkeit, an die Schule zurückzukehren, doch das schließt er aus. Also schreibt er sich bei der privaten Akademiker Gesellschaft ein. Zu der Zeit steigt sein Zigaretten- und Kaffeekonsum enorm an. Denn als „Schulfremder“ muss er bei der Abitur-Prüfung mehr Leistung bringen. Die Lehre schließt er dennoch vorzeitig ab, als Landesbester in Baden-Württemberg. Mit dem Abitur schafft er den Numerus clausus für das Traumfach Medizin. Doch er scheitert am fehlenden großen Latinum und den Finanzen. Er hatte Französisch. Das große Latinum hätte er noch managen können, das Finanzielle nicht. Bernd bekommt keine Unterstützung, also entwickelt er sich in dem weiter, was er gelernt hat.
Er studiert an der Uni in Stuttgart Architektur und macht den Abschluss in zehn Semestern. „Ich habe neben der Vollzeitarbeit abgeschlossen, mit einem guten…nun ja ordentlichen…ja, sehr guten Abschluss…“, hier strauchelt und räuspert sich Professor Schneider. Er wird leiser, je näher er dem „sehr gut“ kommt. Nicht weil er seine Leistung nicht anerkennen kann, sondern weil er von Natur aus bescheiden ist. So betont er oft im Gespräch, dass er Glück hatte und wenn auch keine finanzielle so doch persönliche Unterstützung erfahren habe. Ihm seien glückliche Fügungen und Menschen begegnet, die ihn inspiriert, geleitet, gefördert hätten.
Erfolgsrezept: Lebenslanges Lernen
Durch so eine glückliche Fügung vertieft sich Bernd Schneider schon während des Studiums in Stuttgart im Bereich Krankenhausbau. Damals noch kein Spezialgebiet, sondern ein Faible seines Professors. Das ist die Schiene, an der sich Bernd Schneider orientiert, bis zum Diplom. Nach diesem folgen Anstellungen. Schließlich promoviert er 1982. Thema: Die bauliche Ausprägung der Intensivmedizin. Ihm ging es nie nur darum, Krankenhäuser zu bauen, sondern um das wie. Dafür müsse man die Abläufe kennen und auch die Bedürfnisse der Patienten, des Personals und der Angehörigen verstehen. Eine akribische Detailarbeit, die ohne stetige Weiterbildung nicht möglich wäre. Dafür hospitierte er sogar eine Woche lang in einer Psychiatrie, um Erkenntnisse für einen Auftrag zu sammeln. Diese Arbeitsweise zieht sich durch seine gesamte Karriere. „Ein lebensbegleitendes Lernen ist enorm wichtig“, betont Professor Schneider.
Während all seiner Aus- und Weiterbildungen arbeitet er in Vollzeit, ist finanziell auf sich allein gestellt. Er beschreibt diese Zeit als eine harte Schule. Doch er klagt nicht, sondern blickt bescheiden und dankbar zurück.
Beweist diese Geschichte nun nicht, dass arbeiten neben dem Studium nicht schadet, sondern sogar der Allgemeinheit dienen kann? Diese ja, nur wie viele Menschen wie Professor Schneider gibt es? So eine Leistung wird wohl von den wenigsten erwartet werden können. Müssen die weniger Begabten deswegen bestraft werden, nur „Durchschnitt“ zu sein? Zudem hatte der junge Bernd Schneider keine Wahl. Heute gibt es zahlreiche Weiterbildungsmöglichkeiten, doch sind sie nicht für alle zugänglich. Das Alter ist unveränderbar, die „zu Alten“ haben das Nachsehen. Nicht nur was die Weiterbildung angeht.
Studierende zweiter Klasse
Wie das? Weniger Zeit zum Studieren, nicht unbedingt mehr Geld zur Verfügung, und trotzdem den vollen Preis zahlen? Das geht. Im Theater, im Museum, bei Versicherungen. Studentische Vergünstigungen sind oft an die Altersgrenze gebunden. Diese Grenze liegt meist zwischen 27 und 30 Jahren, und man findet sie im Kleingedruckten. Eine Karte für das Stadttheater Freiburg kostet 8 € für die bis 29-jährigen Studierenden, bei beliebiger Platzwahl. Die über 29jährigen zahlen den vollen Preis. Und das, obwohl viele Plätze im Theater leer bleiben. Auffällig ist, dass gerade die staatlichen Institutionen an der Altersgrenze festhalten, während viele private mittlerweile davon absehen.
Altersgrenzen: Sind sie noch zeitgemäß?
Es ist Nachmittag. Martin, ein junger Student der klassischen Archäologie hört Lachen und Johlen aus dem Seminarraum. Er nährt sich, wirft einen Blick hinein. Eine gesellige Runde bei Wein, Bier und Gesang. Sektkorken knallen. „Oh, feiert jemand Geburtstag?“, fragt Martin. „Hey Kleiner, komm rein, setz dich, trink was! Wir feiern Wolfgangs 40. Semester!“, antwortet Hans. Ein Witz? Nein, eine wahre Begebenheit und auch keine Ausnahme. Das hier passiert im Wintersemester 80/81. Wolfgang gefällt das Studentenleben. Er kann es sich leisten, das Elternhaus zahlt. Wer nicht aufs Geld schauen muss, bleibt lange an der Uni. Darauf reagiert die Kohl- Regierung im Jahr 1983, denn die Unis sind voll. Die bis dahin gültige Mischförderung aus Darlehen und Zuschuss wird in ein Volldarlehen umgewandelt. Vielleicht liegt hier irgendwo die Angst vor den rumlungernden, bis in die Puppen schlafenden Tagedieben unter dem Decknamen Studierende. Nur trifft es in den meisten Fällen die Falschen. Wolfgang war nie von einem staatlichen Zuschuss abhängig und bildet einen krassen Gegensatz zu Prof. Schneider. Dieser hatte keine Unterstützung und beendete seine Weiterbildungen zügig. Nicola bekommt Unterstützung und schafft ihr Studium in der Regelstudienzeit. Herumlungern scheint hier eine Sache des Charakters und des Guthabens, nicht des nicht Habens zu sein.
Gefahr erkannt, aber nicht gebannt
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fasst Bildung als einen lebenslangen notwendigen Prozess auf. Um neue Erkenntnisse zu dem Thema zu bekommen, finanziert es zunächst für fünf Jahre die „Projektgruppe Nationales Bildungspanel: Berufsbildung und lebenslanges Lernen“.
Zwei der acht Forschungsetappen übernimmt das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung WZB. Darunter seit 2008 unter der Leitung von Prof. Jutta Allmendinger die Etappe 8. Thema: „Erwachsenenbildung und lebenslanges Lernen“. Die Studie dauert bis Dezember 2020. Offenbar hat das BMBF auf vorläufige Erkenntnisse der Studie reagiert. Das ehemalige „Meister-BAföG“ wird 2016 zum „Aufstiegs-BAföG“ (6) und um einige Leistungen angereichert. Nun haben auch Studierende einen Anspruch auf Förderung, wenn sie eine Berufspraxis vorweisen können. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie das Studium abgebrochen oder einen Abschluss in der Tasche haben. Alles über dem Bachelor fällt allerdings aus dem Förderungsrahmen. Die Frage ist, warum? Gibt es keine Masterabsolventen, Doktoranten oder Professoren, die bei einer Weiterbildung finanzielle Unterstützung bräuchten?
Mit dem „Aufstiegs-BAföG“ (AFGB) wird meist den Berufstätigen die Förderung für eine fachgebundene Aufstiegsmöglichkeit geboten. Außer die Betreffenden haben den Meister-Titel oder einen gleichwertigen Abschluss, dann können sie fachübergreifend studieren.
Die Besonderheit ist, das AFBG ist vom Alter unabhängig. Es bietet eine Förderung pro geeignete Person. Warum also diese Regelung nicht auch auf das BAföG für Studierende ausweiten? Die Eignung ist mit dem Abitur gegeben. Und wer kein Abitur hat, sollte es nachholen können. Eine Herausforderung: Die Altersgrenzen gelten auch beim Schüler-BAföG. Bis zum 30. Lebensjahr bekommen Schüler BAföG, ab 30 nicht mehr. Gleiche schulische Forderungen unter mehr Zeitdruck meistern müssen: Hier wird Ungleichbehandlung besonders deutlich. Diese Voraussetzungen schrecken viele ab. Hauptziel des BAföG ist und war die Förderung der Chancengleichheit. Hier wird das Ziel aber verfehlt. Dabei wird schon lange öffentlich diskutiert, wie wichtig Weiterbildung ist.
Die Eckdaten des BAföG
1957 erste Studienförderung (Honnefer Modell).
1971 vom BAföG abgelöst (unter Willy Brandt) Anfangs als Vollzuschuss ohne Rückzahlung, dann eine Mischförderung durch Zuschuss und Grunddarlehen.
1972 bekommen 44,6% der Studierenden BAföG. Der absolute Höchststand.
1974 wird eine Darlehensform eingeführt. Bis 1981 sinkt die Förderquote auf 33%.
1982 sind die Unis voll, die Ausbildungsplätze knapp.
1983-1990 Änderung auf Volldarlehen für Studierende. Bei durchschnittlich 10 Semestern Studienzeit bis zu 70.000 DM BAföG-Schulden bei Höchstsatzförderung.
1990 (seit der Wiedervereinigung) eine Korrektur der Volldarlehnsförderung: 50% Zuschuss, 50% Darlehen. Das ist bis heute gültig.
2018 Ein neuer Tiefstand. Die Förderquote sinkt auf unter 13%.
2019 Trotz einiger Reformen sind die Zahlen der Antragsteller seit Jahren rückläufig.
Jutta Allmendinger, eine Vordenkerin
Schon 2008 hat Jutta Allmendinger in einem Interview (7) klar gemacht, dass wir den Trend verschlafen haben. Der Staat müsse für die Finanzierung sorgen, doch es bringe die beste Finanzierung nichts, wenn das Angebot nicht angenommen oder falsch verstanden werde. Statt kleinteiliger Fortbildungen müsse eine „Beschäftigungsvorsorge“ eingeführt werden, fordert Allmendinger 2017. In dieser Beratung solle individuell geklärt werden, welche Weiterbildungen in Frage kämen. Ob es nicht sogar sinnvoller wäre, eine ganz neue Ausbildung anzugehen. Das würde Veränderungen frühzeitig entgegenwirken und schließlich ein Arbeitsverhältnis sichern. Weiterbildungen sollten zur Regel, die „Bildung als Investition“ begriffen werden, so Allmendinger.
Dass mit dieser Investition ein Mehrwert für alle geschaffen wird, zeigen Manoela, Nicola und Professor Bernd Schneider. Manoela hat Ideen für neue Formen der Therapie. Professor Schneider hat aus seiner Leidenschaft zur Medizin als Architekt den Krankenhausbau modernisiert. Und Nicola – mit dem Studium der Sozialen Arbeit eröffnet sich ihr ein breites Arbeitsfeld. Wer weiß, wie sie ihre erste Ausbildung in der Landwirtschaft später noch einsetzten wird.
Wer soll das bezahlen?
Wer nun denkt, der Fördermittelbeutel sei leer und das sei Ursache der zaghaften Vorgehensweise bei der Finanzierung der Weiterbildungen, irrt. Laut der Süddeutschen Zeitung (8) sind die Antragstellerzahlen beim BAföG seit Jahren rückläufig. Kai Gehring, ein Bildungsexperte der Grünen, nennt den Rücklauf sogar einen „fatalen Absturz dieses wichtigen Chancengerechtigkeitsgesetzes.“
Das ist wie bei unserem Fall mit dem Theater. Es gibt freie Plätze, doch sie bleiben leer, obwohl es Interessenten gibt. Zu wenig Geld, zu wenig Spielraum beim Lebensalter, zu wenig Einsicht. Wann das geändert wird? Eines jedenfalls steht fest: Die Zukunft wartet nicht.