Ein artgerechtes Leben hinter Gittern?
Als in der Silvesternacht 2020 Lampions das Affenhaus im Krefelder Zoo entzünden und fast fünfzig Tiere sterben, entflammt in Deutschland eine Diskussion über Tierhaltung. Auch im 500 Kilometer entfernten Freiburger Mundenhof leben Affen. Dort kommt die Debatte jedoch nicht an – auch weil der Tierpark aus seiner Vergangenheit gelernt hat.
Gibbon-Äffchen genießen ein Sonnenbad in der Sandgrube, weitere hangeln sich zwischen Baumkronen von Ast zu Ast. In unmittelbarer Nähe wälzt sich ein Schwarzwälder Pferd im grünen Gras. Auf einer Fläche von mehr als 38 Hektar erstreckt sich der Tierpark Mundenhof, mehr als 30 verschiedene Arten beherbergt das größte Tiergehege in Baden-Württemberg.
Beim Mundenhof handelt es um einen Tierpark – nicht um einen Zoo. Um sich „Zoo“ nennen zu können, müsse die Anlage wissenschaftlich geleitet sein, erklärt Gehegeleiter Matthias Hiltmann. Die Abgrenzung ist gewollt: „Wir haben weitaus offenere, auch für Besucher zugänglichere, Gehege. Das liegt allerdings auch an der Tierhaltung, wir halten keine besonders gefährlichen Tiere.“
Dunkle 80er-Jahre
Das war nicht immer so. Im Jahr 1968 wird im Stadtteil Mundenhof erstmals ein Tiergehege eröffnet, das den Grundstein für den heutigen Park legen soll. Dort leben Wölfe, Pumas oder Bären in überschaubaren Gehegen – mit Folgen. Immer wieder fliehen wilde Bewohner aus dem spärlich geschützten Park: Ende der 70er-Jahre brechen zehn Pferde aus, Anfang der 1980er ein Lama, kurz zuvor ein Wolf. 1985 reißt Bär Joschka aus und befördert den Tierpark erneut ins Rampenlicht. Als der damalige Leiter des Mundenhofs, Hans-Karl Klemp, den Bären daraufhin erschießt, ist die Empörung in der Bevölkerung groß.
Dabei soll es nicht bleiben. Zwei Jahre später wird Klemp die Schuld für das plötzliche Verschwinden der Bärin Julischka zugeschrieben. Klemp behauptet zunächst, er habe die Bärin an einen anderen Zoo verkauft. Nach zunehmendem Druck der Presse stellt sich jedoch heraus, dass die Bärin wohl zu Gulasch verarbeitet – und in einem regionalen Restaurant aufgetischt wurde.
Der Eklat führt zur Klemps Entlassung. Ein Konzeptwechsel muss her. Ein wissenschaftlicher Beirat plädiert, auf „zootypische Exoten“ weitestgehend zu verzichten, die Tiergehege zu optimieren und bestehende Anlagen zu erweitern. Die letzten verbliebenen Bärenjungtiere sterben 2011 und 2015. Und damit auch ein dunkles Kapitel des Freiburger Mundenhofs.
Heimisch, exotisch, schützenswert
Heute fokussiert sich der Tierpark laut Hiltmann auf Nutz- und Heimtiere. Auf dort bereits ansässige Wildtiere will er trotzdem nicht verzichten: „Zu Haustieren gehören auch immer Wildtiere. Wir wollen nicht nur die Tierart an sich zeigen, sondern auch den Lebensraum und die Verbindungen, die dazugehören. Zum Rind gehört beispielsweise der Bison.“ Neben Schafen, Wollschweinen und Rindern nennen daher auch Sträuße, Kamele und Erdmännchen Freiburgs kleinsten Stadtteil ihr Zuhause. Letztere gelten mittlerweile sogar als Aushängeschild des Tierparks.
Das gefällt nicht jedem. Zwar stimmen laut einer FORSA-Studie aus dem Jahr 2020 rund 82 Prozent der Deutschen der allgemeinen Zoohaltung zu – kritische Stimmen werden jedoch ebenfalls laut. Laut Yvonne Würz, Fachreferentin im Bereich Zoo und Zirkus der Tierrechtsorganisation PETA Deutschland, sind Erdmännchen schließlich keine bedrohte Tierart: „Es geht nicht um Artenschutz oder darum, sich die am meisten gefährdeten Tierarten zu holen – sondern darum, das zu zeigen, was von Menschen nachgefragt und als süß empfunden wird.“
Zahlreiche Zoo-Befürworter verstehen sich ebenfalls als Artenschützer. Für Sebastian Scholze, ehemaliger Leiter Kommunikation des Verbands der Zoologischen Gärten (VdZ), steht fest: „Wenn es Zoos nicht gäbe, müssten wir sie erfinden.“ Wenn Menschen dafür verantwortlich seien, Tierarten natürlichen Lebensraum zu nehmen, müssten sie auch die Verantwortung tragen, bedrohte Arten in einer Art „Ersatzlebensraum“ zu erhalten und diese, falls möglich, wieder auszuwildern.
Zoos: Artenschutz oder Tierquälerei?
Ihr wollt mehr über die Debatte zwischen Zoobefürwortern und -gegnern hören? Im uniCROSS-Podcast diskutieren Tierschützerin Yvonne Würz und Sebastian Scholze, ehemals vom Verband der Zoologischen Gärten.
„Wir sind immer die im Feuer“
Gehegeleiter Hiltmann kennt beide Lager. Der ausgebildete Tierpflege-Meister war selbst in einer Tierschutzorganisation tätig und kann die Kritik nachvollziehen. Die Debatte hält er jedoch für verzerrt: „Ich mag schon die Formulierungen ‚Zoogegner‘ und Zoobefürworter‘ nicht. Letztendlich ziehen doch alle am selben Strang.“
Für das Argument vieler Gegner, Zoos und Tierparks würden sich zwecks Zurschaustellung von Tieren finanziell bereichern, hat Hiltmann kein Verständnis: „Die andere Seite ernährt sich auch nicht von Luft, also was ist daran so schlimm? Natürlich braucht man Geld. Ich kann diese Gehege nicht bauen und eine tolle Haltung ermöglichen, wenn ich kein Geld habe. Die anderen machen das über recht polarisierende und aggressive Mitgliederwerbung. So könnte man das auch sehen. Wir sind immer die im Feuer.“
Im Video berichtet Gehegeleiter Matthias Hiltmann, wie der Freiburger Mundenhof mit Kritik umgeht.
Der Gehegeleiter betont: „Wir werden durch Veterinärbehörden, Umweltämter, Naturschutzbehörden und das Regierungspräsidium kontrolliert. Wir müssen regelmäßig nachweisen, dass unsere Haltung diesen Gesetzmäßigkeiten entspricht. Wenn das für Zoos gilt, dann muss das für alle Tierhaltungen gelten.“ Hiltmann spielt auf Haustierhaltung an: Vergangenes Jahr hielten in Deutschland nach Zahlen des Industrieverbands Heimtierbedarf (IVH) insgesamt 47 Prozent der Haushalte mindestens ein Heimtier. Also fast jeder Zweite. Dem 48-Jährigen zufolge sollten deswegen auch Privatpersonen strenger kontrolliert werden.
Das Konzept des Freiburger Mundenhofs scheint derweil aufzugehen. Zwischen den Jahren 2013 und 2018 stiegen die Besucherzahlen um ein Drittel (34 Prozent). Insgesamt 389.221 Schaulustige lösten 2018 eine Karte für das Tiergehege – so viel wie nie zuvor. Durch Parkgebühren und Verpachtung für Hofwirtschaft belaufen sich die jährlichen Einnahmen des Hofs auf mehr als 700.000 Euro.
Mit solchen Zahlen wächst auch die Verantwortung des Freiburger Tierparks. Und zwar gegenüber den Lebewesen, die nicht vor, sondern hinter den Gittern, Scheiben und Zäunen stehen. Hiltmann geht diese Partei in der Diskussion zwischen Zoogegnern und -befürwortern zu unter: „Das sind wirklich Fronten, die verhärtet sind. Und das hilft niemandem, am wenigsten den Tieren.”
Eine Gemeinschaftsproduktion von Jakob Uebel, Gregor Kinzel, Jalina Bernhard und Nicolai Hoch im Rahmen des Seminars „Einführung in den crossmedialen Journalismus“ für Studierende der Medienkulturwissenschaft. Seminarleitung, Redaktion: Ada Rhode, Karsten Kurowski, Philip Thomas.