Der 8. Mai 2024 ist ein Tag, an dem man den Sommer schon langsam erahnen kann und die Nachmittagssonne frühlingshaft auf die Haut scheint, während wir gegen 16 Uhr vor der Mensa in der Rempartstraße auf Vince warten, der – ganz, wie es sich für einen echten Künstler gehört – ein paar Minuten zu spät und mit einem Bagel in der Hand auf uns zukommt. „Mein Frühstück“, sagt er und grinst. Obwohl er am Tag zuvor erst vom Musikmachen aus Berlin wiedergekommen ist, ist er locker, gut gelaunt und bereit, uns „sein“ Freiburg zu zeigen. Wir wollen heute vor allem erfahren, welche Orte ihn inspirieren, motivieren und wo er die meiste Zeit verbringt.

„Wir starten hier an der Mensa, weil das der Spot ist, wo eigentlich unser Tag beginnt, wenn wir alle in Freiburg sind“, erzählt er und ergänzt, „also Kasi, Antonius, Luis und Fatjon – das war immer die Mensagruppe. Wir treffen uns meistens kurz bevor die Mensa zumacht.“

Neben Kasi und Antonius, die ebenso wie Vince Musik machen, ist auch Fatjon fester Bestandteil der Gruppe und meistens für Fotos und Videos zuständig – ob Musikvideos oder Content auf Festivals und Konzerten. Uns fällt auf, dass die Freundesgruppe in Vince‘ Erzählungen generell eine wichtige Rolle spielt und ihm die Wir-Form ohne Nachzudenken über die Lippen geht, was für uns deutlich macht, wie nah sie sich stehen und wie präsent sie im Leben des anderen sind.

Lieblingsgerichte hat er in der Mensa mehrere und nicht alle entsprechen dem Geschmack seiner Freunde. „Eins, was mir gerade einfällt und was die anderen immer ein bisschen judgen, sind die Maultaschen überbacken mit Käse und Tomate“, erzählt er und lacht.

„Irgendwie ist gar nichts mehr so wie gewohnt“ – wie gewohnt

Während wir gemeinsam zu unserem zweiten Stopp, dem Sedan-Café, schlendern, kommen wir an der Uni-Bibliothek vorbei, an der wie immer reger Betrieb herrscht. Einige Studierende genießen die Sonnenstrahlen vor dem Gebäude, stehen in Grüppchen zusammen und wir müssen immer wieder Fahrradfahrer*innen ausweichen.

Während die Studierenden in der UB allerdings vor allem an ihren Hausarbeiten schreiben, sind es bei Vince Songs, die er meistens bei Antonius im Studio verfasst – sowohl für sich selbst als auch als Songwriter für andere Künstler*innen.

Vince erzählt, dass er in Berlin gerade bei dem Musik-Label Neubau gesignt wurde. Dabei handelt es sich um ein junges Musikunternehmen, das Künstler*innen begleitet, aufbaut und für deren Sichtbarkeit im nationalen und internationalen Raum sorgt. Ein „großer nächster Schritt“, wie er selbst sagt, den er direkt im Anschluss mit dem Neubau-Team und einem eigenen Auftritt feiern konnte.

Vince ist in Berlin bei der Release-Party von „meinen die uns“ – dem neusten Song von Kasi und Antonius zusammen mit den Künstlern Zartmann und Aaron – aufgetreten. „Da musste ich auch zum ersten Mal mit Leuten Fotos machen. Und es hat echt nicht aufgehört, das hätte ich nie gedacht.“ Die Release-Party war wegen der großen Nachfrage vom Cassiopeia in die größere Location Bi Nuu verlegt worden.

„Erstmal wieder klarkommen“ nennt er das, wenn er von solchen Events wieder zurück in die Heimat im Schwarzwald oder nach Freiburg kommt, wohin er vor vier Jahren für sein mittlerweile abgeschlossenes Studium der Erziehungswissenschaften gezogen ist. Wieder zurück in Freiburg, geht es für ihn erst einmal darum, das Erlebte und die vielen neuen Eindrücke und Entwicklungen zu verarbeiten. Ein Prozess, bei dem ihm das Texten und Kreativsein besonders hilft. Musik machen bedeutet für ihn vor allem, Dinge zu verarbeiten, sagt er.

Beim Sedan-Café angekommen, bekommen wir gerade noch den letzten freien Tisch im Außenbereich. Wir sitzen auf roten Plastikstühlen an einem kleinen gelben Tisch, bestellen Kaffee freddo und frisch gepressten Orangensaft und lassen uns die Sonne ins Gesicht scheinen.

„Das Sedan-Café ist für uns ganz chronologisch der zweite Stopp am Tag“, erzählt Vince, die Augen mit der Hand vor der Sonne abgeschirmt. „Ich glaube, hier habe ich in Freiburg die meisten Kaffees getrunken.“

„Weil bin ich down, zusamm‘ mit Anton neue Lieder schreib‘“ – manchmal

„Da passiert die Magie“, sagt Vince, als wir uns auf den Weg zu Antonius, unserer nächsten Station, machen – einer der für ihn prägendsten Orte seiner Musik. Dort angekommen stehen wir vor dem Haus, warten auf Antonius und schauen die Fassade hinauf, während Vince sich erinnert: „Bei Antonius hat alles angefangen. Alle Songs, die auf Spotify sind, sind hier entstanden.“ Der erste Song, der auf Vince‘ Spotify zu finden und bei Antonius entstanden ist, war Schwerelos.

„Jeder kennt es ja aus der Heimat, es gab immer so einen Freund oder eine Freundin, bei dem der Hotspot war, wo immer alle hingegangen sind. Und das ist in Freiburg bei Antonius.“ Antonius, der mittlerweile dazu gestoßen ist, nickt zustimmend. „Man kann eigentlich an einer Hand abzählen, wie oft wir bei mir waren“, sagt Vince zu Antonius und beide lachen.

An der großen Vertrautheit zwischen ihnen merkt man auch, dass die Wohnung beziehungsweise das Zimmer von Antonius nicht nur ein Ort ist, an dem produziert und zusammen Musik gemacht wird, sondern es sich außerdem um einen Ort handelt, an dem sie sich wohlfühlen und gerne Zeit miteinander verbringen.

Während das Thema Musik natürlich einen großen Teil ihrer Gespräche einnimmt und sie sich über musikalische Neuerscheinungen und TikToks, die sie zu ihren Songs produziert haben, unterhalten, tauschen sie sich auf unserem Weg zur nächsten Station, dem Jazzhaus, auch über Basketball und das anstehende Champions League Spiel aus.

„Fahr mit den Jungs zu ihrem nächsten Gig“ – Unbeschwert/Ungesund

Als wir am Jazzhaus ankommen, sitzen schon einige Besucher*innen auf den Stufen vor der Tür, die zum Konzert von Wilhelmine wollen, die dort am Abend auftreten wird. Auch Vince weiß, wie es sich anfühlt, auf der Bühne des Jazzhauses im Scheinwerferlicht zu stehen. „Das Jazzhaus habe ich ausgesucht, weil wir hier den ersten bedeutsamen Gig hatten, als ich Support gespielt habe für Kasi und Antonius beim Immatrikuliert-Konzert letztes Jahr im Dezember. 2022 haben wir ja beim Konzert im Waldsee vor 250 Leuten gespielt und hier im Jazzhaus war das erste Heimspiel-Konzert, was wirklich groß für uns war und wo auch viele Fans da waren. Hier war das erste Mal, dass ich vor 600 Leuten gespielt habe.“

Dass sie einmal vor 600 Menschen spielen würden, hatten sich die Musiker noch vor drei Jahren, als sie sich kennengelernt und angefangen hatten, zusammen Musik zu machen, nicht einmal erträumen können. Beim Immatrikuliert-Konzert, dessen Name auf den gleichnamigen Song von Kasi und Antonius zurückgeht, war Vince als Vor-Act auf der Bühne und performte seine eigenen sowie den gemeinsamen Track mit den beiden – wie papier.

Eine Location, in der er unbedingt einmal spielen möchte, hat Vince nicht, vorstellen kann er sich einige: „Messe Freiburg wäre cool. Ansonsten die Muffathalle in München, die für 1.500 Zuschauer*innen ausgelegt ist. Als Kasi und Antonius damals Bruckner-Support dort gespielt haben, bin ich in die Halle rein und habe gesagt, wartet ab, in drei Jahren wird die Muffathalle von mir ausverkauft. Das war ein Joke, aber deswegen muss ich Muffathalle sagen. Das heißt, ich hab jetzt noch zwei Jahre Zeit, um die auszuverkaufen. Und ich gebe alles“, sagt er und lacht.

„Hab‘ die Jungs, ich fühl‘ mich nie allein“ – manchmal

Mittlerweile ist auch Kasi zu unserer Gruppe dazugekommen und wir bemerken, dass die Wartenden auf der Treppe des Jazzhauses immer wieder zu uns schauen. Wir fragen die beiden Musiker, ob sie in Freiburg oft erkannt werden. „In Cafés in Freiburg merkt man schon, wenn Leute einen angucken oder erkennen“, sagt Vince.

Die drei gestikulieren und lachen viel, wenn sie zusammen sind. Man merkt eine Unbeschwertheit in allem, was sie tun und wie viel es ihnen bedeutet, Musik machen zu dürfen. Gerade auch, weil das Mithalten in der Musikindustrie anstrengend und der Druck groß sein kann – Vince, Kasi und Antonius vermitteln nicht den Eindruck, dass sie ihren Erfolg und die Chancen und Möglichkeiten, die sich ihnen bieten – wie eigene Release-Partys oder Auftritte bei Festivals wie dem Campus-Festival in Konstanz – für selbstverständlich nehmen. Es ist eher ein Respektieren, aber auch ein Genießen der Gelegenheiten, bei dem das Zusammen-Erleben im Vordergrund steht – immer verbunden mit der Sicherheit, dass sie sich gegenseitig supporten und aufeinander verlassen können.

„Wir sind im Park, dann wenn der Sommer losgeht“ – manchmal

Mittlerweile schieben sich immer mehr Wolken vor den Himmel über dem Jazzhaus und das strahlende Blau weicht einem trüben Grau. Abendstimmung legt sich über Freiburg und zu dem beginnenden Dämmern gesellt sich auch bei uns langsam Aufbruchsstimmung.

„Wie der Tag endet, ist meistens unterschiedlich“, sagt Vince. „Manchmal endet er in der Brennessel auf ‘ne Bolo. Das war ganz lange so. Oder wir chillen bei Antonius, bis man heimgeht. Oder im Sommer in irgendeinem Park.“ Orte, die sich teilweise auch in seinen Songs wiederfinden. Wenn Vince sich also in Schwerelos fragt, „wie lang ich noch so schwerelos im Park sitz“, handelt es sich dabei um den Eschholzpark. So verarbeitet er sehr nahbar Orte, Erinnerungen und Gefühle seiner Zwanziger in seinen Songs, in denen man sich als Hörer*in fallen lassen aber auch wiederfinden kann.

Dass Vince nun zu einem aufstrebenden Indie-Pop-Rap Künstler gehört, hätte er sich vor vier Jahren nicht gedacht. Seine Musik bewegt sich zwischen rappigen Beats und synthetischen Klängen, die mit seinen authentischen und nahbaren Lyrics fusionieren.

Vince erzählt im Interview mit Loredana wann er mit Musik angefangen hat und welchen Stellenwert sie in seinem Leben einnimmt. Wie geht er mit der Schnelllebigkeit der Musikindustrie um und welche Maßnahmen hat er entwickelt, um dem vereinnahmenden Alltag zu entkommen? Außerdem verrät er sein Traumfeature.