Hallo Frieda, du bist Teil des Bildungskollektivs kairos, das Kritik am Bildungssystem übt und es umgestalten möchte. Was läuft eurer Meinung nach schief im deutschen Schulsystem?
Eine der großen Triebkräfte für unsere Idee war, dass die Bildungseinrichtungen nicht demokratisch gestaltet sind, sondern sehr hierarchisch sind und mit klaren Machtstrukturen. Dort sind nicht alle Beteiligten gleichberechtigt unterwegs: Ein*e Schulleiter*in hat eine andere Stellung als ein*e Lehrer*in und Schüler*innen sowieso. Wie kann das sein, wenn angeblich die Schüler*innen das Wichtige an einer Schule sind? In den Bildungsplänen klingt das auch immer sehr schön und es heißt, dass die Schüler*innen auch da abgeholt werden sollen, wo sie sind. Aber das lässt sich im Schulalltag in einer undemokratischen Struktur nicht gut umsetzen.
Das ist auch unser zweiter großer Ansatzpunkt: Diese Ungerechtigkeiten, die dadurch entstehen, dass bestimmte Kriterien dafür angesetzt werden, wann man als „gut“ und „erfolgreich“ in der Schule gilt. Wann schafft man das zu leisten, was erwartet wird? Für viele Kinder ist das von Anfang an unmöglich, weil sie ganz andere Voraussetzungen haben.
Das eine ist also dieser Mitbestimmungsaspekt, das andere dieser Gerechtigkeitsaspekt, der uns dazu gebracht hat, zu sagen: Es muss doch möglich sein, in diesem Schulsystem auch andere Ideen in die Tat umzusetzen.
Wie habt ihr euch gefunden?
Vor mehreren Jahren gab es eine Zusammenarbeit von einer Initiative, die sich Kreidestaub nennt, und der demokratischen Schule Kapriole in Freiburg-Waldsee. Da gab es eine gemeinsame Veranstaltung mit einer Diskussion im Anschluss und daraus hat sich ein Seminar an der Uni Freiburg entwickelt. Dieses Seminar nennt sich „Bildung von unten“ und bietet einen Raum für Lehramtsstudierende, um genau solche Fragen, bei denen sie das Gefühl haben, dass die in der Lehrer*innenausbildung gar nicht vor oder viel zu kurz kommen, miteinander zu besprechen. Es ging also vor allem darum, einen Raum für Austausch zu bieten.
Aus diesem Seminar heraus ist dann unsere Initiative kairos entstanden. Wir sind vor allem Lehramtsstudierende für alle Schularten, aber auch schon fertig ausgebildete Lehrer*innen, die schon lange an Schulen arbeiten.
Wie genau sieht die Weiterbildung aus, die ihr jetzt anbietet?
Diese Weiterbildung haben wir innerhalb von drei Jahren entwickelt und jetzt startet sie zum ersten Mal. Sie soll an insgesamt acht Wochenenden stattfinden. Es wird ein Einführungs- und ein Abschlusswochenende geben und dazwischen sechs Wochenenden, an denen verschiedene Themenmodule behandelt werden: Demokratie und Partizipation, Lernen und Leistung und Diskriminierung und Inklusion. Während dieser Wochenenden wird es Referent*innen von außerhalb geben, die für Themen, in denen wir uns nicht als Expert*innen fühlen, einen theoretischen Input geben. Es wird aber auch viel Raum für eigene Themen geben, die von den Teilnehmenden eingebracht werden können. Dann wird miteinander entschieden, welche Themen vertieft werden. Außerdem sollen sich Bezugsgruppen bilden, mit denen versucht wird, schon ein kleines Projekt in der Schule umzusetzen. Und dann wird reflektiert, wie das geklappt hat. Es ist also eine Mischung aus der ganzen Gruppe, aber auch den kleinen Bezugsgruppen und jede*m Einzelne*n.
Dabei orientieren wir uns auch an drei Dimensionen. Erstens sollen die Erfahrungen aus der eigenen Bildungsbiographie – gute und schlechte – eingebracht und reflektiert werden. Es ist ja oft so, dass Lehrer*innen das, was sie selbst in der Schule erlebt haben, einfach reproduzieren, zum Teil auch unbewusst und Dinge, die sie selbst eigentlich nicht so gut fanden.
Die zweite Dimension ist, die strukturellen Gegebenheiten anzugucken und zu hinterfragen. Die dritte ist zu fragen: Was geht denn doch? Was lässt sich in die Tat umsetzen?
Woher kommt der Name kairos?
Das ist griechisch und beschreibt eine günstige Gelegenheit, um Veränderung anzustoßen. Und wir sagen, dass dieser Moment jetzt ist. Das ist der Moment, in dem wir mit dem Anstoß kommen und auch die Hoffnung haben, dass sich das auch ein bisschen ausbreiten kann. Dass wir klein beginnen, aber das dann doch grundlegendere Veränderungen mit sich bringen kann.