„Würden wir am Ende eines Jahres eine Schweigeminute für jede in Deutschland von ihrem (Ex-) Partner ermordete Frau* halten, schwiegen wir über zwei Stunden.“

Gleich der erste Satz in Gegen Frauenhass trifft. Bedeutet er doch, dass in Deutschland jeden dritten Tag eine Frau durch ihren (Ex-)Partner stirbt. Auch wenn es im öffentlichen Raum für Frauen gefährlich sein kann – der gefährlichste Ort für eine Frau ist ihr eigenes Zuhause. Ein Zustand, der noch längst nicht im Bewusstsein aller angekommen ist, und über den es deswegen dringend aufzuklären gilt.

Christina Clemm möchte mit ihrem Buch genau das: aufklären und aufrütteln. Die Autorin ist Rechtsanwältin für Familien- und Strafrecht und vertritt seit mehr als 25 Jahren Menschen, die von geschlechtsspezifischer, sexualisierter, rassistischer, lgbtiq*-feindlicher und rechtsextrem motivierter Gewalt betroffen sind. Im Buch lassen sich aus diesem Grund immer wieder Fallbeispiele und Aussagen ihrer eigenen Mandant*innen wiederfinden, die das Geschriebene mit ihren Worten und persönlichen Erfahrungen untermauern und so den Lesenden kleine Einblicke in einen sehr sensiblen Teil ihres Lebens gewähren. Zu ihrem eigenen Schutz und dem Wahren der Schweigepflicht, wurden Biografien und Namen dabei verändert.

Es ist ebenfalls ein Fallbeispiel, das dem Buch seinen groben Rahmen gibt. Hier geht es um die Geschichte von Lisa M., deren Beziehung zunächst harmlos beginnt – bis ihr Freund und späterer Ehemann Mirko immer mehr Kontrolle über sie ausübt, sie zunehmend von Freund*innen isoliert und sowohl verbal als auch körperlich misshandelt. Sie gelangt in eine eskalierende Gewaltspirale, aus der sie trotz mehrerer Versuche nicht mehr herauskommt, bis sie von ihrem Mann getötet wird.

Das Leben von Lisa M. ist fiktional, ihr Schicksal ist es allerdings nicht. Das Fallbeispiel wurde von Christina Clemm in Anlehnung an die durchschnittlich 135 jährlichen Frauenmorde in Deutschland entwickelt und zeigt exemplarisch die Mechanismen und Muster patriarchaler Gewalt und die Strukturen, die sie begünstigen, auf.

Der Gewalt zugrunde liege, so schreibt die Autorin, der Hass auf Frauen. Dabei gehe es weniger um eine unerwartete oder plötzlich auftretende Emotion, sondern vielmehr um eine emotionale Gewohnheit, die auf anerzogenen patriarchalen Strukturen beruhe. In der Vorstellung eines klassisch binären Geschlechtermodells sei es immer noch so, dass in der Regel die stereotyp männliche Person die überlegenere Rolle innehat. Das habe mit einem bestimmten Rollenverständnis zu tun, das vor allem in den Gender Studies thematisiert und hinterfragt werde. Dadurch entstehen Machtasymmetrien, die durch den in unserer Gesellschaft verankerten Sexismus oder eben auch durch das Ausüben von Gewalt aufrechterhalten werden.

Christina Clemm fokussiert sich in ihrem Buch besonders auf die häusliche Gewalt, wie sie auch im Fall von Lisa M. eine Rolle spielt. Dieser endet in einem Femizid, einer extremen Form von geschlechtsbezogener Gewalt. Auch hier geht es häufig um Macht. „Man(n) tötet nicht aus Liebe, Mann tötet aus Herrschaftsanspruch“, macht die Autorin deutlich.

Neben dem in uns verankerten Rollenverständnis und den daraus entstehenden Verhaltensnormen finden sich auch in der Rechtsprechung Strukturen, die patriarchale Gewalt begünstigen. So ist ein Femizid beispielsweise kein eigener Straftatbestand. Auch wird Frauenhass, genauso wie Rassismus oder Antisemitismus, nicht als ein niederer Beweggrund und damit nicht als Mordmerkmal angesehen. Diese Umstände machen es schwierig, überhaupt angemessene Strafen für solche Taten zu verhängen und ein Bewusstsein dafür zu schaffen.

Innerhalb ihres Buches zeigt Christina Clemm außerdem auf, dass Feminismus immer auch als intersektional aufgefasst werden muss – es also häufig ein Zusammenspiel von mehreren Kategorien mit Diskriminierungspotential gibt. Abgesehen vom Geschlecht, spielen hier auch Ausgrenzungskategorien wie Alter, Religion oder Klasse eine Rolle.

Auch wenn Christina Clemm klar die Missstände in unserem System herausstellt, endet sie dort nicht, sondern bietet den Lesenden ihren sogenannten „Maßnahmen-Katalog“ an, der ganz konkrete Forderungen und Handlungsansätze für jede*n Einzelne*n beinhaltet. Dort befindet sich zum Beispiel die Aufforderung nach Solidarität mit Betroffenen, dem Sichtbarmachen von geschlechtsbezogener Gewalt in der Öffentlichkeit oder dem Unterstützen von Organisationen, die daran arbeiten, eben diese Gewalt zu bekämpfen. Es brauche diese Forderungen und Maßnahmen und vor allem den Willen jeder einzelnen Person, für eine Gesellschaft zu kämpfen, in der für Frauenhass und Gewalt kein Platz ist.

Gegen Frauenhass ist ein informatives und gleichzeitig eindrückliches Buch, dessen Lektüre zum Nachdenken und Hinterfragen gesellschaftlicher und besonders patriarchaler Zustände anregt. Ein Buch, in dem man am liebsten jeden Satz mit neonfarbenem Textmarker anstreichen würde, weil er so wichtig ist.

 

* Unter der Bezeichnung „Frauen“ sind von der Autorin alle weiblich gelesenen Personen miteingeschlossen.