Sextoys und Feminismus. Das soll es im ersten queer-feministischen Sexshop in Freiburg geben. Das „Erogene Zone“-Kollektiv plant den Sexshop mit Wohlfühl-Effekt. Was der Shop anders machen will, berichten Lisa und Kati vom Kollektiv im Interview.
„Das macht man doch nicht“: Wie ich Fremden meine Vulva zeigte
Mit Workshops und Vorträgen kämpft das queer-feministische Kollektiv „Aufbegehren“ gegen Normen, Tabus sowie Lust- und Körperfeindlichkeit. uniCROSS-Autorin Michelle hat einen Kurs des Kollektivs besucht und dabei viel über ihre Scham und sich selbst erfahren.
Anspannung liegt in der Luft. Im Seminarraum des Feministischen Zentrums an der Freiburger Faulerstraße hat sich eine Handvoll Teilnehmer*innen versammelt. Sie wollen am Workshop des Aufbegehren-Kollektivs teilnehmen. Das Motto: „Feminismus funktioniert nicht nur über den Kopf, sondern auch über den Körper.“
Seit 2018 bietet Seminarleiterin Lynn Heßbrüggen die Kurse deutschlandweit an. Unterstützt wird sie von Ell Rutkat. Gemeinsam wollen die beiden Schamgefühle transformieren und die Teilnehmer*innen selbstermächtigen. „Mit unseren Workshops wollen wir Menschen helfen, sich wohler in ihrem Körper zu fühlen“, erklärt Heßbrüggen gegenüber uniCROSS.
Der Workshop beginnt sie mit einer einfachen Frage: Wann schämt sich der Mensch – und warum? Die ersten Antworten aus der Gruppe kommen zögerlich, die meisten Teilnehmer*innen assoziieren ihre Sexualität und den eigenen Körper mit Scham. Laut Aufbegehren sind solche Schamgefühle eng mit gesellschaftlichen Strukturen verbunden.
„Oft schämen wir uns für unseren Körper und distanzieren uns von ihm. Wenn wir diesen Kontakt wiederherstellen, können Menschen leichter für ihre eigenen Grenzen und Bedürfnisse einstehen“, so Heßbrüggen. Das gesellschaftliche Miteinander könne gestärkt werden. „Dadurch könnte es auch zu weniger Übergriffen kommen“, betont die Workshopleiterin.
Um Scham zu überwinden, gelte es, den Schambereich zu enttabuisieren. Das falle vielen Menschen aufgrund gesellschaftlicher Konventionen schwer. Selbst die Workshopleiterin gibt zu: „Als ich das erste Mal von ‚Vulva Watching‘-Workshops hörte, war mein Bauchgefühl: Das macht man doch nicht.“ Gemeinsam seine Genitalien zu zeigen und anzuschauen, ist ein fester Bestandteil der Kurse. „Es ist wichtig, etwas zu zeigen, was in der Norm-Gesellschaft beschämt wird“, erklärt Heßbrüggen. Die Idee dahinter: „Wenn wir als Gruppe gemeinsam diese soziale Norm brechen und uns so zeigen, können wir eine neue Norm schaffen.“
Auch beim heutigen Workshop steht ein Sessel im Raum, direkt davor ein Spiegel. „Wenn ihr wollt, könnt ihr auch die anderen Teilnehmer*innen einladen, euch zu zuschauen“, sagt die Leiterin. Alles nach der Maxime: „Alles kann – nichts muss“. Ich werde in dieser Situation plötzlich sehr nervös, schließlich überwiegt jedoch meine Neugier. Kurzerhand ziehe ich mich aus und betrachte meinen Körper im Spiegel, vor allem meinen sogenannten „Schambereich“. Die anderen Teilnehmer*innen versammeln sich um den Spiegel, schauen mir zu und stellen intime Fragen zu meinem Körper und meiner Beziehung zu ihm. Eine Situation, die ich nicht alle Tage erlebe.
Ich weiß, wie meine Vulva aussieht, aber sie in einem großen Spiegel und aus dieser Perspektive zu sehen, ist für mich neu. Äußerlich mag in diesem Moment nicht viel passieren: Ich sitze nackt auf einem Sessel und schaue mich an. Was soll schon dabei sein? In mir passiert tatsächlich eine ganze Menge: Körper erzählen schließlich Geschichten. Erinnerungen kommen hoch. Gute und schlechte.
Verschiedene Themen kommen zur Sprache. Von Achselhaaren und Nippeln zu Intimrasuren oder Masturbation – bis hin zu sehr bedrückenden Themen wie sexualisierte Gewalt. Zwischen uns entwickelt sich eine intime Stimmung. Es wird viel gelacht, aber auch viel geweint.
„Wenn wir unseren Schambereich zeigen und merken: ‚Hey, das ist gar nicht so schlimm‘, kann das auch zu der Transformation von Schamgefühlen in anderen Bereichen führen“, sagt Heßbrüggen. Und so erlebe ich es auch. Ich zeige dieser fremden Gruppe Menschen meinen nackten Körper – und das ist gar nicht so schlimm. Ich habe das Gefühl, dass ich nicht allein bin mit meinen Schamgefühlen und viele Teilnehmer*innen ähnliche Unsicherheiten und Ängste teilen. Dadurch entsteht ein sicherer Raum, in dem ich mich fallen lassen kann.
Nicht jeder Person gelingt das. „Vereinzelt brechen Menschen den Workshop ab, weil die Themen, mit denen wir uns beschäftigen, Traumata triggern können“, berichtet Lynn. Trotzdem seien die meisten Rückmeldungen positiv: „Einige sagen, dass sie durch den Workshop einen ganz anderen Zugang zu ihrem Körper und ihrer Sexualität gefunden haben. Sie können besser zu ihren Bedürfnissen stehen.“
Auch ich bin mir vieler Schamgefühle bewusst geworden. Am liebsten würde ich sie gern überwinden. Laut Heßbrüggen geht es darum jedoch gar nicht: „Schamgefühle können wir nicht komplett loswerden. Durch die Arbeit im Kollektiv und in den Workshops habe ich aber einen besseren Umgang damit gefunden.“ Das erhoffe ich auch für mich.
Dildos, Peitschen und mehr
Die „Erogene Zone“ plant die Eröffnung eines queer-feministischen Sexshop im Sommer 2023 beim Freiburger Grethergelände. Im Video gibt Mareike vom Kollektiv einen Vorgeschmack.
Eine Gemeinschaftsproduktion von Michelle Thielsch, Sophia Arnold, Andrea Rosas und Carlotta Feil im Rahmen des Seminars „Einführung in den crossmedialen Journalismus“ für Studierende der Medienkulturwissenschaft. Seminarleitung, Redaktion: Ada Rhode, Karsten Kurowski, Philip Thomas.