Online Dating wird immer populärer. Vor allem bei 18 bis 30-Jährigen erfreuen sich Apps wie Tinder großer Beliebtheit. Ob auf der Suche nach einer festen Beziehung, einer lockeren Bekanntschaft, Gleichgesinnten oder neuen Freund*innen: die Gründe sind so vielfältig, wie ihre Nutzer*innen selbst.
So funktionierts
Was ihr sicherlich noch nicht über Tinder wusstet und wie ihr selbst ein Profil einrichtet, erfahrt ihr hier.
Licht ins Dunkle – was steckt dahinter?
Wie zieht mein Profil alle Augen auf sich und wie bleibe ich im Kopf? Wie finde ich den richtigen Partner, die richtige Partnerin? Welche Rolle spielen dabei Düfte? Und wie verändert sich mit den neuen Dating-Plattformen die Sexualität? Die Freiburger Psycholog*innen Oliver Heil, Mathieu Pinger und Anne Voormann geben Antworten.
Frau Voormann, Sie forschen am Institut für Psychologie zum Thema Erinnerung und Gedächtnis, beschäftigen sich aber auch mit der Aufmerksamkeit, Wahrnehmung und Kognition. Anhand welcher Merkmale wird entschieden, ob wir ein Online-Profil in Erinnerung behalten?
Anne Voormann: Was wir uns im Alltag merken, hängt von verschiedenen Mechanismen ab: wie oft wir diese Dinge sehen, wie lange wir sie betrachten und wie sehr sie uns ins Auge springen.
Das heißt, wenn mir jetzt eine Person besonders auffällt, weil sie sympathisch ist, dann würde ich mich an diese Person auch eher erinnern. Es kann natürlich auch etwas sehr Herausragendes sein, das sich stark von der Masse abhebt. So bekommen überraschende Hobbys beispielsweise automatisch mehr Aufmerksamkeit und Wiedererkennungswert. Hier hängen Aufmerksamkeit und Gedächtnis stark zusammen.
Dazu kommen noch ein paar ungewollte Effekte. Bei einer Liste aus Wörtern werden die ersten und letzten Wörter am besten erinnert. Das nennt man den Primacy-Recency Effekt. Das kann natürlich auch bei Tinder eine Rolle spielen. Man erinnert sich bei kurzfristigen als auch bei späteren Tests und Gegenüberstellungen besser an die Personen, die an einem Tag als erstes oder letztes gesehen wurden. Der Wiedererkennungswert ist viel wahrscheinlicher als bei Gesichtern, die in der Mitte vorkamen.
Bei der Vielzahl an Profilen siebt man meist automatisch aus. Kann dabei die Aufmerksamkeit bewusst gesteuert werden?
Es gibt zwei verschiedene Mechanismen, die man generell unterscheiden kann. Das sind die exogene und endogene Aufmerksamkeitsverschiebung.
Bei der exogenen Aufmerksamkeitsverschiebung sind bestimmte Stimuli besonders salient, also herausstechend. Ein Alltagsbeispiel wäre die Warnweste im Straßenverkehr. Das Gelb hebt sich sehr gut von den anderen Farben ab. Somit wird dort die Aufmerksamkeit automatisch hingeführt. Wenn man dies auf Tinder beziehen will, muss das nicht einen direkten Einfluss haben. Trotzdem kann es natürlich sein, dass bestimmte Merkmale auf Bildern stark auffallen, zum Beispiel besonders große Augen oder ein freundlicher Mund.
Die endogene Aufmerksamkeitsverschiebung hingegen wirkt von innen heraus. Hier lenkt die Person willentlich die Aufmerksamkeit auf bestimmte Merkmale. In psychologischen Experimenten wird beispielsweise ein Pfeil angelegt. Dieser gibt an, ob der nächste Stimulus auf der rechten oder linken Seite erscheinen wird. Dadurch kann die Person verstärkt ihre Aufmerksamkeit auf die angezeigte Seite lenken und dadurch schneller und möglichst fehlerfrei reagieren.
Das kann man natürlich auch auf den Alltag übertragen. Wenn mir bestimmte Merkmale bei Gesichtern besonders wichtig sind, kann ich auf diese besonders achten. Das führt bei Entscheidungsprozessen wie auf Tinder dazu, dass ich nur bestimmte Teilaspekte berücksichtige und nicht unbedingt das ganze Gesicht wahrnehme. Manchen Gesichtern werden zusätzliche Attributionen zugeschrieben. Beispielsweise nehmen wir manche als besonders dominant oder vertrauenserweckend wahr. Das geht mit einer bestimmten Gesichtsform oder Stellung zwischen Augen-Nase-Mund einher. Das sind natürlich auch Bewertungsdimensionen, die ich mit einfließen lassen und auf die ich die Aufmerksamkeit lenken kann.
So springt dein Profil ins Auge!
Der erste Eindruck ist auf Tinder entscheidend. Innerhalb weniger Sekunden werden potenzielle Partner*innen bewertet und herausgefiltert. Deshalb ist ein ansprechendes Profil umso wichtiger. Zeit in die Gestaltung zu investieren, lohnt sich in jedem Fall. Auf was die Freiburger Studierenden beim „tindern“ Wert legen, verraten sie im Video.
Die Suchtgefahr hinter Tinder
Ertappt! Schon längst ist Schlafenszeit, doch stattdessen zieht dich Tinder wieder einmal in seinen Bann. Vielleicht ist ja dieses Mal ein passendes Match dabei. Abhängigkeiten können auf verschiedene Weisen entstehen. Eine Erklärung bieten Spielautomaten und unser angeborenes Bedürfnis nach Anerkennung.
Herr Pinger, Sie haben letztes Jahr Ihr Psychologie Studium an der Uni Freiburg abgeschlossen und sind jetzt im Zentralinstitut für seelische Gesundheit in Mannheim tätig. Sie sind auf die biologische Psychologie spezialisiert und arbeiten in der Abteilung für Klinische Psychologie.
Tinder und soziale Medien haben definitiv einen Suchtcharakter, was daran lässt uns denn süchtig werden?
Mathieu Pinger: Ein grober Mechanismus ist im Großen und Ganzen bei allen Netzwerken zu erkennen, die mit Likes arbeiten. Es ist derselbe Effekt, der auch bei Spielautomaten auftritt. Wenn ich eine Belohnung nicht konstant, sondern unkontrollierbar und mit Lücken erhalte, steigt meine Motivation weiterzumachen. Es ist nämlich nie vorhersehbar, wann die nächste Belohnung eintritt. Bei Tinder weißt du auch nie, wann es wieder ein Match gibt oder mit wem. Ähnlich ist es bei Handybenachrichtigung: Man weiß nie, ob es ein bestärkendes Like oder doch nur eine Nachricht von Mutti ist.
Herr Heil, sie arbeiten als selbstständiger Psychologe und Sexualtherapeut in Ihrer “Praxis für Liebe und Beziehungen” in Freiburg. Heutzutage kann bequem und vermeintlich einfach die große Liebe im Netz gefunden werden. Die Beliebtheit der App Tinder steigt und steigt. Liegt das an ihrem Suchtcharakter oder was genau schätzen viele an der App?
Oliver Heil: Eine Sucht kann sich tatsächlich entwickeln. Die Frage ist jedoch, ob man nach Beziehungen oder der Plattform selbst süchtig ist. Wir alle haben das Bedürfnis, Anerkennung zu bekommen und gemocht zu werden. Das beginnt bei der Geburt mit einem sozialen Lächeln und reicht bis zu sozial erwünschtem Verhalten.
Da steigert es natürlich das Selbstwertgefühl, viele Matches zu erhalten. Laut allgemeiner Meinung tendiert unsere Kultur ebenfalls dazu, immer narzisstischer zu werden. Diese Art der Selbstbeweihräucherung wird natürlich durch Plattformen wie Tinder, Facebook und andere soziale Medien gefördert. Im echten Leben erfahren wir diese Art der Anerkennung nicht so häufig wie bei Tinder. Die Realität wird also ein Stück weit verzerrt.
Die Realität vor Augen, den Geruch in der Nase
Online bestimmt maßgeblich das Aussehen, ob man jemanden kennenlernen möchte oder nicht. Im echten Leben spielen auch andere Aspekte wie Gestik, Mimik, Stimme und Gerüche eine große Rolle. Beim ersten Kennenlernen auf einer Online- Dating Plattform fallen diese Informationen weg. Wie wichtig der Geruch eines Menschen ist und wofür der sogenannte odor type steht, weiß Mathieu Pinger.
Inwiefern ist der Geruch des Gegenübers denn entscheidend, gerade in Bezug auf die Partnerwahl? Die Redewendung “Jemanden nicht gut riechen können” nutzt man ja um Antipathie auszudrücken.
Mathieu Pinger: Es gibt ein zentrales Argument, warum man annehmen sollte, dass Gerüche für die Partnerwahl relevant sind. Ab der Pubertät bilden wir eine spezielle Art von Drüsen aus, das sind die Aprokindrüsen. Durch diese Drüsen werden bestimmte Moleküle, zum Beispiel Fettsäuren und Schwefelstammteile, erzeugt und an bestimmten Körperstellen freigesetzt. Sie kommen in den Achselhöhlen vor, in der Schambehaarung, auf den Brustwarzen von Frauen oder im Gesicht.
An diesen Drüsen sitzen bestimmte Hautbakterien, die die freigesetzten Moleküle zersetzen. Die Bakterien sind evolutionär sehr spezifisch auf diese Art von Ernährung eingestellt und besitzen Enzyme, um die Moleküle zu zerlegen. Dadurch entsteht ein Duft. Der Duft, der von diesem Mechanismus erzeugt wird, ist wie ein Fingerabdruck für den Menschen. Jeder Mensch hat einen eigenen, individuellen Geruch.
Das nennt man auch odor type.
Es ist bekannt, dass Menschen ihre Familienmitglieder anhand des Duftes erkennen können. Bis heute wissen wir aber nicht, welche Bedeutung der odor type hat. Es gibt die Idee, dass der Körpergeruch eng mit dem Immunsystem verbunden ist. Dass Menschen quasi das Immunsystem von anderen erschnüffeln können. So könnte man erfahren, ob der andere Mensch für uns genetisch gut als Fortpflanzungspartner geeignet ist. Das klingt alles sehr plausibel und ziemlich sexy. Tatsächlich gab es aber erst letztes Jahr eine große zusammenfassende Studie und ein paar Meinungsartikel dazu. Fazit: Eigentlich wurde dazu noch kein Beweis beim Menschen gefunden.
Ein Argument gegen die Bedeutsamkeit des Geruchs ist eine Mutation, die den Menschen beziehungsweise den Achselschweiß geruchlos werden lässt. Vor allem in Asien hat sie sich in den letzten tausend Jahren sehr schnell und weit verbreitet. Die Schnelligkeit lässt außerdem darauf schließen, dass es zur sexuellen Selektion gekommen ist und somit geruchlose Menschen als Fortpflanzungspartner bevorzugt wurden. Da fragen wir uns natürlich, wie wichtig kann Geruch überhaupt sein, wenn sich innerhalb kürzester Zeit eine Mutation verbreitet, die verhindert, dass wir riechen.
Viele Studien haben versucht, eine Beziehung zwischen Partnerwahl und Geruch herauszufinden. Momentan sieht es so aus, als wäre da nicht sehr viel vorhanden. Wenn Effekte vorhanden sind, sind sie sehr klein.
Man kann also nicht erwarten, dass man auf ein Date geht, die Person riecht und dann ist schon alles geklärt, okay Geruch passt, weiter geht’s. So läuft es wahrscheinlich nicht.
Spielen Gerüche dann überhaupt eine Rolle bei der menschlichen Interaktion?
Kommunikation über Düfte findet statt. Ein gutes Beispiel ist die Verbreitung von Stress über Düfte. Das kennt man von Tieren, wenn sie in Panik geraten. Dann riechen sie danach. Das nehmen andere Tiere wahr und merken: Es ist Gefahr im Verzug. Düfte sind sehr praktisch, sie sind unabhängig und können sich über große Strecken verbreiten.
Es gibt einige, gerade größer werdende Studien, die zeigen, dass es bei Menschen ähnlich ist. Der Duft von gestressten Menschen kann Einfluss auf Stress oder Bewertungsprozesse anderer haben. Wichtig ist dabei, dass der Einfluss von Düften immer kontextabhängig ist.
Rieche ich beispielsweise den Duft eines gestressten Menschen, schaue aber gerade selber entspannt einen Film, dann hat dieser Duft vielleicht gar keinen Einfluss auf mich oder ich bemerke ihn nicht. Bin ich jedoch in einem Raum, in dem eine Prüfung geschrieben wird, dann rieche ich den Duft der gestressten Menschen. Das beeinflusst vielleicht, dass ich auch oder noch mehr gestresst werde. Also bemerke ich bestimmte Hinweise nur, wenn ich darauf vorbereitet bin, sie zu suchen.
Auch Schweißgeruch wird im Allgemeinen eher als unangenehm betrachtet, beispielsweise bei einem schicken Essen. Im Restaurant möchte ich nicht den Schweißgeruch meiner Partnerin riechen. In sexuellen Situationen oder beim Geschlechtsverkehr dagegen, finden viele Menschen dieses Animalische attraktiv. Hier haben wir auch ein typisches Beispiel, das abhängig vom Kontext Geruch einen ganz anderen Effekt hat. Riechen ist also immer sehr kompliziert und kontextabhängig, das macht auch die Forschung so schwierig.
Flirten in Zeiten von Corona
Herr Heil, in Zeiten der Pandemie und den daraus resultierenden Kontakt-Beschränkungen sind Dates ziemlich schwierig geworden. Wie reagiert die Psyche auf fehlende Flirts und Romanzen?
Global gesehen, können wir in Deutschland relativ gut mit Einsamkeit oder wenigen sozialen Kontakten umgehen. Immerhin leben 40 Prozent der Deutschen in Singlehaushalten. Wenn man zwei bis drei Monate etwas deprimiert ist, was die sozialen Kontakte betrifft, ist dies überbrückbar. Insbesondere oder gerade Dank der Sozialen Medien, auf denen wir über die unterschiedlichsten Kanäle Kontakt herstellen oder halten können.
Gerade während der Pandemie sind die Nutzerzahlen von Online Dating Plattformen enorm gestiegen. Das gilt auch für Tinder, dabei eilt der App häufig der Ruf voraus überwiegend für ungezwungene Sexdates genutzt zu werden. Dennoch haben Studien zu Folge junge Menschen immer weniger Sex, wie ist dies zu erklären?
Dafür gibt es mehrere plausible Erklärungen. Meine persönliche Theorie dazu ist, dass wir uns zu Menschen entwickeln, die primär an ihren Handys oder am PC kleben und uns relativ wenig bewegen. Im internationalen Vergleich hat Deutschland angeblich die dicksten Kinder. Gleichzeitig werden pro Tag und pro Kopf etwa 350 Minuten ferngesehen.
Viele Stunden vor einem Computerspiel zu verbringen, ist dann zwar keine körperlich schwere Arbeit, dafür aber nervlich eine umso anstrengendere Sache. Dabei werden viele Stresshormone, wie Adrenalin, ausgeschüttet. Das in Verbindung mit zu wenig Bewegung ist wie eine Art Blutvergiftung. Diese Stresshormone haben natürlich auch Einfluss auf unsere Sexualität und bewirken, dass der Wunsch nach Sexualität nachlässt.
Evolutionsbiologisch gesehen sind wir bereits genug Menschen auf der Welt, brauchen also nicht mehr so viel Nachwuchs und damit auch weniger Sex.
Eine andere Idee wäre, dass Sex einfach nicht mehr so spannend ist, wie es früher einmal war. Damals durften laut dem Sitten-Paragraphen alle Paare, die unter 21 Jahre alt waren, nicht gemeinsam in einem Hotel oder auf einem Campingplatz übernachten. Das ging ganz und gar nicht. Schließlich gab es noch die Sittenpolizei, die solche Verstöße verfolgt hat.
Heute hingegen ist so ziemlich alles erlaubt, außer Pädophilie. Da ja nur weniges wirklich verboten ist, ist Sex vielleicht auch nicht mehr so interessant. Jeder muss sich mehr damit beschäftigen: Was will ich eigentlich und was ist mein bevorzugter Zutritt zu Sexualität?
Generation Tinder = Generation Beziehungsunfähig?
Ist unsere Generation beziehungsunfähig? Wie hat sich die Liebe gewandelt und gibt es den passenden “Deckel” für jeden “Topf”? Darüber spricht der häufig zitierte Paartherapeut, Dating- und Beziehungscoach Eric Hegmann im Podcast. Außerdem verrät er Tipps und Tricks für eine erfolgreiche Partnersuche.
Infos: Eric Hegmann
Eine Gemeinschaftsproduktion von Jette van Waegeningh, Jule Altenberger, Patrick Kordes und Arlette Weiland (Fotos Teaser & Text) im Rahmen des Seminars „Einführung in den crossmedialen Journalismus“ für Studierende der Medienkulturwissenschaft.
Seminarleitung, Redaktion: Silvia Cavallucci, Ada Rhode und Karsten Kurowski