Hallo Frau Heyberger, hallo Frau Carboni. 100 Jahre SWFR: Wie kam es zur Gründung des „Freiburger Studentenhilfe e. V.“ im Jahr 1921?
Vanessa Carboni: Die Not des Ersten Weltkrieges ist die Geburtsstunde der Freiburger Studentenhilfe. Viele Studierende litten an Hunger oder Kälte. Durch gewisse Verbindungen oder Gönner konnte man gefördert werden, aber eine Unterstützung war bisher noch nicht institutionell für alle Studentinnen und Studenten geregelt.
Die Gründung der Freiburger Studentenhilfe ging auf die Initialzündung des Universitätsrektors Oskar de la Camp zurück. Es war das Ziel, den vielen in Not geratenen Studierenden zu helfen. Verschiedene Ämter wurden gegründet, die für Verschiedenes zuständig waren. So konnte man schon von Anfang an auf die unterschiedlichen Probleme der Studierenden eingehen.
Welche Aufgaben hatten die Ämter der Studentenhilfe?
Carboni: Es gab beispielsweise das Werbeamt. Dieses hat sich vor allem bemüht, Spenden zu akquirieren. Im Gegensatz zu heute standen damals keine Bundes- und Landesmittel oder Eigenkapital zur Verfügung. Das Werbeamt hat sich auch um Sachspenden bemüht. Um den Studierenden zu helfen, wurden Spenden auf der ganzen Welt gesammelt: Im Jahr 1923 kamen zum Beispiel zwei Kisten Mehl, Zucker, Reis, Schmalz und Milchpulver als Weihnachtsgeschenk aus Mexiko.
Es gab auch das Wirtschaftsamt, das für verbilligte Lebensmittel für den alltäglichen Bedarf sorgte. Es gab auch eine Holzabgabestelle, in der sich viele Studentinnen und Studenten Feuerholz abholen konnten, damit sie im Winter nicht frieren mussten. Aus heutiger Sicht waren es also Grundbedürfnisse, die da befriedigt wurden.
In welchem Verhältnis standen die Universität und die Studentenhilfe zueinander?
Renate Heyberger: Da der Rektor Initiator war und dann in späteren Zeiten auch Räumlichkeiten der Uni zur Verfügung gestellt wurden, wie zum Beispiel die Mensa, war schon von Anfang an eine Kooperation da. Bevor es in Deutschland Studierendenwerke gab, mussten Studierende sich eher allein um Unterkunft, Finanzen und Organisation sorgen. Manche lebten daher in einer Verbindung, die sie unterstützte und förderte.
Wollte die Studentenhilfe eine Alternative zu den Angeboten der Verbindungen bieten?
Carboni: Es boten nicht nur Verbindungen Unterstützungsmöglichkeiten, aber vor der Gründung der Freiburger Studentenhilfe gab es nicht für alle Studierenden, unabhängig von deren Hintergrund, eine Unterstützung in dieser Breite.
Die Studentenhilfe hat das Wohnungsamt gegründet und mit Anzeigen versucht, die Stadtbevölkerung zu sensibilisieren, so in etwa: „Das sind gute Menschen, die eigentlich nur ein Dach über dem Kopf wollen.“ Diese Parallele zieht sich noch bis in die Gegenwart. Das SWFR kooperiert dabei beispielsweise mit dem Oberbürgermeister Martin Horn …
Heyberger: … und mit der Universitätsrektorin oder der Ministerin. Wir bitten in unseren Kampagnen ja immer noch darum, dass die Bürgerinnen und Bürger, Zimmer zur Verfügung stellen. Die werden dringend benötigt, neben unseren Wohnheimen. Es gab übrigens schon seit dem Mittelalter Wohnheime, wenn auch in geringem Umfang, die „Bursen“. Das heißt, dass es „Wohnheime“ gibt, seit es die Uni gibt. Zum Beispiel die Albertusburse, die Pfauenburse und andere, die überall in der Stadt verstreut waren. Das waren Einrichtungen, die eine Leitung hatten, in der Regel einen Professor.
Dann gab es noch die Verbindungen. Sie waren insofern privilegiert, als dass sie schöne Räume zur Verfügung hatten. Wenn man dort einziehen wollte, musste man sich bestimmten Regeln und Riten unterwerfen. Das neue Wohnungsamt hingegen wollte für die Studierenden ohne ideologische oder sonstige Einbindung Wohnraum zur Verfügung stellen.
Carboni: Die Freiburger Studentenhilfe wollte schon von Anfang an ein Wohnheim bauen, aber das scheiterte einfach am Geld und kam erst später zustande. Auf dem Platz der alten Synagoge brannten die Nationalsozialisten die Synagoge ab. Die Stadt hat dann dieses Grundstück billig gekauft und man hatte schon konkrete Pläne, dort ein Wohnheim zu bauen. Allerdings scheiterte das am Ende wieder am Geld. Im Nachhinein betrachtet bin ich froh, dass es nicht zustande kam, weil es sonst keine Erinnerungskultur gäbe, kein Begegnungsort für die jüdische Gemeinde hier in Freiburg und auch kein Gedenkort an die Gräueltaten der Nationalsozialisten geschaffen worden wäre.
Das erste studierendenwerkseigene Studentenwohnheim war das Ulrich-Zasius Haus, das 1959 errichtet wurde.
Carboni: Ja, fünf Jahre nach der Wiedergründung des SWFR ging das erste Wohnheim an den Start. Das finde ich sehr schnell, wenn man bedenkt, dass die Nachkriegszeit nicht nur für die universitäre Welt eine Zeit des Wiederaufbaus war, sondern für ganz Deutschland. Dementsprechend sind fünf Jahre sehr sportlich, nachdem man ein Wohnheim eigentlich schon viel länger wollte.
Heute gibt es in Freiburg vier Mensen des Studierendenwerks, die größte in der Rempartstraße gibt es seit 1961. Gab es davor schon eine andere Mensa?
Carboni: Ja, im Keller des Kollegiengebäudes I. Im Durchgang zum KG III gibt es Treppen, die durch eine Glastür versperrt sind. Da unten war früher die „mensa academica“, in der am Anfang Nonnen gekocht haben. Die Mensa war noch nicht in der Hand der Freiburger Studentenhilfe.
Heyberger: Im Nationalsozialismus hat man die Nonnen ‚entfernt‘.
Carboni: Man dachte, die Mensa im Keller sei nur ein Provisorium, aber es hielt dann wirklich sehr lange.
Sorgte sich die „Freiburger Studentenhilfe“ neben der Verpflegung auch um kulturelle und soziale Interessen der Studierenden, wie es heute der Fall ist?
Carboni: Schon ganz am Anfang vor 100 Jahren waren Freizeit und Kultur ein wichtiges Thema. Es gab zum Beispiel einen eigenen Skiverleih und Freizeitroutenkarten. Diese Aktivitäten wurden ständig ausgeweitet und professionalisiert. Mittlerweile organisiert das SWFR Veranstaltungen von der Studitour nach Florenz bis hin zur dreistöckigen Mensaparty.
Heyberger: In der Coronapandemie hat das SWFR auch viele Angebote entwickelt, die online laufen. Das ist im Grunde der vorläufige Endpunkt der Entwicklung, die 1921 angestoßen wurde.
Was war das sogenannte Tagesheim, welches in den 1930er-Jahren in Freiburg eingerichtet wurde?
Carboni: Im Gegensatz zu Verbindungsstudierenden standen den ‚freien Studis‘ keine Räume zur Verfügung, wo sie sich treffen, sich frei über die Uni unterhalten, mal Kartenspielen, mal Zeitunglesen oder mal einfach nur im Warmen Zeit verbringen konnten. 1931 eröffnete die Freiburger Studentenhilfe dann das Tagesheim, was der Beginn eines Treffpunktes für Studierende war.
Heyberger: Nach dem Krieg befand sich das Tagesheim dann in der Alten Universität.
Carboni: Wo jetzt das Literaturhaus ist, war ein großer Festsaal.
Heyberger: Im Erdgeschoss befanden sich Seminarräume, die man buchen konnte. Nicht für Veranstaltungen, sondern auch für Gruppen, die sich treffen wollten.
Die Freiburger Studentenhilfe bot auch Näh- und Schreibstuben an. Was kann man sich darunter vorstellen?
Heyberger: Über die Spenden wurden in den Nähstuben viele Kleidungsstücke abgegeben, die man noch ändern oder flicken musste. Dort konnten Studierende arbeiten, wie auch in den Schreibstuben, wo man Texte abtippte.
Carboni: Es war eine Win-win-Situation. Einerseits bekam man den Job an der Schreibmaschine und andererseits konnte man sich auch etwas tippen lassen. Die Jobvermittlung zieht sich bis heute: Studierende können sich in Jobbörsen des SWFR eintragen und von Tagesjob über Praktika bis hin zu längeren Anstellungen alles finden.
Was hat sich an der Arbeit des SWFR in den vergangenen 100 Jahren verändert und was ist gleichgeblieben?
Carboni: Die Freitische, also kostenlose Mahlzeiten in der Mensa, für Studierende sind bis heute unverändert. Man bekommt immer noch kostenlose Mensaessen, wenn man nachweisen kann, dass man sich sonst anders nicht ernähren könnte.
Heyberger: Die Bedürfnisse sind im Grunde die Gleichen geblieben: Studierende müssen essen, sie müssen wohnen, sie müssen etwas zum Anziehen haben, sie wollen Kultur und müssen schauen, wo sie jobben können.
Was heute anders ist und nicht die aktuelle Situation der Studierenden direkt betrifft, sondern die Einbettung ins große Ganze, ist der Umgang der Studierendenwerke mit dem Thema Nachhaltigkeit. Das ist die große Aufgabe, die jetzt für die nächsten Jahre ansteht.
Carboni: Bis zum Jahr 2028 strebt das SWFR an, komplett aus eigener Kraft klimaneutral zu sein.
Heyberger: Ziel der Studierendenwerke ist es, durch die Angebote und Leistungen zur Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit beizutragen. Das zieht sich als roter Faden durch die Geschichte. Zum Beispiel mit dem BAföG, das im Prinzip allen offen steht, die bedürftig sind, durch den verstärkten Wohnheimbau, durch das vergünstigte Essen und die soziale Dienste versucht das SWFR, dass möglichst viele Studierende aus unterschiedlichster Herkunft an die Hochschulen kommen können. Dadurch soll dazu beigetragen werden, dass es zumindest finanziell keine Hürden gibt.
In den letzten dreißig Jahren hat das SWFR seine sozialen Angebote massiv ausgebaut. Wir haben als erstes Studierendenwerk in Deutschland eine psychotherapeutische Beratungsstelle eingerichtet. Außerdem hatten wir auch sehr früh Kitas für Kinder unter drei Jahren.
Es gibt jetzt neben dem BAföG auch eine Finanzberatung, die individuelle Fälle berücksichtigt sowie eine Sozialberatung für Studierende mit Kind und ausländische Studierende. Vor allem die Betreuung ausländischer Studierender hat sehr zugenommen. Diese nicht allein zu lassen ist ein wichtiges Ziel der Hochschulen, das wir mit unseren Mitteln unterstützen. Nicht zuletzt durch unsere kulturellen Angebote, die immer von dem Gedanken geleitet werden, Studierende aus aller Welt zusammen zu bringen.