Vermieter*innen in Freiburg bieten Wohnungen gegen Sex an.
Zahlreiche Studierende können sich eine Bleibe in Freiburg kaum leisten: Laut Statistischem Bundesamt verdienten Ein-Personen-Haushalte 2018 durchschnittlich 1040 Euro netto. Gleichzeitig kosten kalte 30 Quadratmeter hierzulande im Mittel 435 Euro. In Freiburg – einer der teuersten Städte in Deutschland – zahlen gerade Hinzugezogene oftmals mehr. 650 Euro für ein Zimmer sind im Breisgau keine Seltenheit.
Einige Freiburger Vermieter*innen unterbreiten Wohnungssuchenden deswegen anrüchige Angebote: Wer die hohen Mieten nicht zahlen kann, bekommt auf verschiedenen Online-Portalen „Gegenleistungen“ zur Mietsenkung angeboten. uniCROSS erhält auf ein Wohnungsgesuch innerhalb weniger Tage Angebote von 13 Nutzer*innen aus dem Raum Freiburg. Kein*e Einzige*r bietet bloß WG-Zimmer an.
Einige Inserierende wollen auch nach Vertragsabschluss weiterhin in den vermieteten Räumen wohnen. Für einen 44-jährigen Vater spielt Geld daher „erst einmal keine Rolle“. Bei einem Paar kann eine „offene“ Mieterin mietfrei wohnen. Ein Nutzer sucht eine Person, die im Haushalt aushilft, Medikamente verabreicht und ihn „mit Schmerzöl einreibt“. Weitere User*innen vermieten nicht einmal: Sie nutzen die Immobilienplattformen als Dating-Portal und suchen Kontakt – auch gegen Bezahlung.
Ein 39-Jähriger bietet per Chat einen „monatlichen Zuschuss von 150 bis 800 Euro oder auch mehr“ – im Austausch gegen „ein kleines Abenteuer“. Der Mann schlägt vor: anfänglich ein gemeinsames Abendessen oder ein Kinobesuch. Wenn man „sich besser kennt“, seien auch Treffen eine Option, die „noch etwas weitergehen könnten als reine Begleitung“. Ein weiterer Nutzer bietet an, einen Teil der Miete zu zahlen – im Austausch gegen regelmäßige Treffen. Seine Vorstellung: „Na, zum Beispiel ins Kino, lecker essen gehen und danach etwas verwöhnen“. Später spezifiziert er: Er will Oralsex. Und zwar „aktiv und passiv“.
Selbstversuch Wohnungssuche
uniCROSS hat getestet, ob mehr weiblich oder männlich gelesene Personen sexuelle Angebote auf Wohnungsportalen bekommen und gefragt, was Studierende der Uni Freiburg von solchen Angeboten halten.
Die Freiburger Polizei hat solche Angebote nicht auf dem Radar. Laut Sprecher Michael Schorr sind Mietvereinbarungen, die auf sexuellen Dienstleistungen basieren, „kein präsentes Problem in Freiburg, sonst würde viel mehr darüber geredet werden“. Weil freiwillige Mietvereinbarungen dieser Art keine Straftat darstellen, gebe es auch keine Anzeigeerstatter und damit keine entsprechende Statistik.
Für Simone Heneka von der Fachberatungsstelle für Sexarbeitende P.I.N.K ist Miete gegen Sex derweil kein neues Phänomen. Besonders betroffen seien Frauen „in Städten mit großer Wohnungsnot“. Bei Personen, die „keine Chance haben, an bezahlbaren Wohnraum zu gelangen, steigt auch die Bereitschaft, gewisse Leistungen zu unternehmen, um an Wohnmöglichkeiten zu gelangen“, so Heneka. Entsprechende Mietvereinbarungen resultierten meist daraus, dass Vermieter Notlagen und damit ein „extremes Machtgefälle“ ausnutzten.
Luisa (Name von der Redaktion geändert) hat Erfahrung mit sexualisierten Angeboten bei der Wohnungssuche gemacht. Zu Beginn ihres Studiums im Jahr 2013 suchte sie ein WG-Zimmer in München. Ein Nutzer bot ihr auf dem Portal wg-gesucht.de an, die Kaltmiete zu übernehmen. Im Austausch sollte sie ihm dabei helfen, seine sexuellen Vorlieben zu befriedigen: Er wollte angepinkelt werden. Das Angebot war „total beschämend“, erinnert sich Luisa. Auch wenn sie „kein Grund für Schuld oder Scham“ traf.
Patrick Stöhrer da Costa, Rechtsanwalt des Mietervereins Freiburg, erläutert die rechtliche Komponente des Tabu-Themas: Mietvereinbarungen, die auf sexuellen Dienstleistungen basieren, lassen sich vertraglich nicht vereinbaren, da diese unter „Sittenwidrigkeit“ fallen. Das beinhaltet, „was dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden widerspricht.“
Der Anwalt sieht ebenfalls kaum Möglichkeiten, gegen sexualisierte Anfragen bei der Wohnungssuche vorzugehen: Bei sexueller Nötigung ist es möglich, Strafanzeige bei der Polizei zu erstatten. Laut Stöhrer da Costa bewege man sich bei zweideutig formulierten Angeboten aber in einem juristischen Grenzbereich. Die Staatsanwaltschaft werde „bei so einer Grauzone vermutlich nicht unbedingt gleich tätig werden“.
Wann sind Mietvereinbarungen sittenwidrig und wie kann ich mich schützen?
Im Interview mit Kasimir von uniCROSS erklärt Anwalt Patrick Stöhrer da Costa die rechtlichen Dimensionen von sexuellen Mietvereinbarungen ausführlich.
Das Phänomen Miete gegen Sex könnte bald mehr Sichtbarkeit bekommen. Denn Linderung auf dem Freiburger Wohnungsmarkt ist nicht in Sicht: Bereits im Jahr 2014 prognostizierte das Freiburger Amt für Bürgerservice und Informationsverarbeitung einen Bevölkerungszuwachs um rund zwölf Prozent bis zum Jahr 2030. Insgesamt 245.062 Menschen sollen demnach in Freiburg wohnen.
Gleichzeitig erhöhte sich die durchschnittliche Monatskaltmiete in Freiburg zwischen den Jahren 2017 und 2021 um fast ein Fünftel (18,7 Prozent). Der Freiburger Mietspiegel (aktuell 9,79 Euro pro Quadratmeter) könnte bei der nächsten Erhebung die Zehn-Euro-Marke knacken. Mit wachsender Bevölkerung und kletternden Mieten steigt auch die Not von jungen Wohnungssuchenden – und damit möglicherweise auch die Bereitschaft, sich auf sexualisierte Mietvereinbarungen einzulassen.
Text: Mia Trautmann
Eine Gemeinschaftsproduktion von Mia Trautmann, Giuliana Di Patre, Patrick Melcher und Kasimir Herbst im Rahmen des Seminars „Einführung in den crossmedialen Journalismus“ für Studierende der Medienkulturwissenschaft. Seminarleitung, Redaktion: Ada Rhode, Karsten Kurowski, Philip Thomas.