Glück kann man lernen
Immer mehr Schulen führen ein neues Unterrichtsfach ein: Glück. Kinder sollen darin den Grundstein für eine resiliente Zukunft legen und lernen, besser mit Herausforderungen und Krisen umzugehen. Angesichts steigender Fälle von psychischen Erkrankungen eine sinnvolle Idee, findet Johannes von uniCROSS. Eine großflächige Einführung des Fachs ist jedoch mit Hürden verbunden.
Immer mehr Menschen leiden an psychischen Erkrankungen. Das belegt der vergangenes Jahr vorgelegte „World Mental Health Report“ der World Health Organization (WHO). Allein im ersten Jahr der Corona-Pandemie sind demnach die Fälle von Depressionen und Angststörungen weltweit um etwa 25 Prozent gestiegen. Laut Bericht leben aktuell fast eine Milliarde Menschen weltweit mit einer Form von psychischer Krankheit.
Und nicht nur Erwachsene sind betroffen. Nach Angaben der WHO haben weltweit etwa 20 Prozent der Kinder und Jugendlichen eine psychische Erkrankung. Suizid ist laut Bericht die vierthäufigste Todesursache bei Menschen zwischen 15 und 29 Jahren. Die WHO betont, dass psychische und physische Gesundheit eng miteinander verknüpft sind, Menschen mit schweren psychischen Störungen sterben im Schnitt 10 bis 20 Jahre früher.
Schulfach Glück will Bildungssystem verändern
Neben elterlicher Erziehung ist die Schulbildung wohl die wichtigste Instanz in der psychischen und sozial-emotionalen Entwicklung von Kindern. Besonders Grundschulen tragen hier Verantwortung. Ihr Unterricht ist allerdings wissens- und leistungsorientiert und hilft jungen Menschen nur begrenzt beim Aufbau einer starken Persönlichkeit.
Einen Ansatz, dieses Bildungssystem zu verändern, bietet das Schulfach Glück. Der Unterricht wurde vom Pädagogen Ernst Fritz Schubert entwickelt und erstmals 2007 in einer Heidelberger Schule eingeführt. Zwei Jahre später folgte die Gründung des Fritz-Schubert-Instituts für Persönlichkeitsentwicklung, das sich der Etablierung des Fachs verschrieben hat und Untersuchungen zur Wirksamkeit anstellt.
Monja Neuser, Psychologische Referentin am Fritz-Schubert-Institut, erklärt den wissenschaftlichen Hintergrund des Schulfachs.
Heute wird Glück an mehr als 200 Schulen in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Italien unterrichtet. Für einen großflächigen Effekt ist das jedoch nicht genug – mehr Schulen sollten das Fach in den Stundenplan aufnehmen. Schließlich sind Mobbing und Schikane laut WHO-Bericht unmittelbare Gründe für psychische Probleme in Erwachsenenalter.
Laut dem Fritz-Schubert-Institut kann Glücksunterricht die Klassengemeinschaft durch gegenseitiges Kennenlernen verbessern. Die Kinder bekommen Raum, ihre Gefühle und Gedanken mit der Gruppe zu teilen und lernen dadurch, ihre Gefühlswelt zu reflektieren und zu formulieren. Dadurch könnten unterrichtete Kinder offener und empathischer werden. Zudem findet der Unterricht notenfrei statt, so können Schüler*innen ihre Stärken und Schwächen einfacher reflektieren.
Die moderne Welt konfrontiert den Menschen zunehmend mit emotionalen Herausforderungen wie Kriegen, Klimawandel oder Inflation. Auch dem könnte das Schulfach Glück bereits früh entgegenwirken, indem es die Grundlage für eine resiliente (lat. resilire = zurückspringen, abprallen) Zukunft schafft. Glücksunterricht soll die psychische Widerstandskraft und die Fähigkeit stärken, schwierige Lebenssituationen zu bewältigen.
Wie wirksam das Schulfach in dieser Hinsicht ist, muss die Forschung allerdings noch zeigen. Bereits jetzt lernen unterrichtete Kinder, den Begriff „Glück“ differenziert zu betrachten: Das Leben ist demnach nicht nur glücklich, sondern auch herausfordernd. Und nicht jede Krise bedeutet eine Katastrophe.
Stundenplan und Finanzierung
Eine flächendeckende Einführung des Schulfachs Glück klingt also sinnvoll. Bisher kann Glücksunterricht allerdings nur individuell realisiert werden. Das zeigt das Beispiel Büchelberg. In den Klassen 3 und 4 wird „Glück“ dort seit dem Jahr 2021 unterrichtet. Möglich ist das, weil eine der wöchentlich drei Sportstunden dafür verwendet werden kann.
uniCROSS hat die Büchelberger Schule besucht und einen Blick in die Klassenzimmer geworfen.
Andere Schulen haben das Privileg der zur Verfügung stehenden Einzelstunde nicht. Glücksunterricht kann nur als unverbindliche AG angeboten werden. Und: Lehrkräfte können nicht ohne weiteres Glück unterrichten. Um das Fach anzuleiten, müssen Lehrkräfte ein Jahr an insgesamt zwölf Wochenenden eine Fortbildung am Fritz-Schubert-Institut besuchen. Kostenpunkt: Zwischen 2.200 Euro und 2.600 Euro. Die Summe muss in der Regel von den Teilnehmer*innen selbst gestemmt werden. Nur in seltenen Fällen finanzieren die Schulen die Fortbildung.
Mehr Aufmerksamkeit für das Fach
Glücksunterricht sollte in allen Bundesländern einfacher in den Stundenplan aufgenommen werden können. Die nötige Fortbildung könnte vom Staat finanziert oder zumindest subventioniert werden. Weil Bildung in Deutschland jedoch Ländersache ist, dürfte es dauern, das Fach bundesweit zu etablieren.
Dabei müsste auch längst der Staat ein Interesse an geistig gesunden Arbeitnehmer*innen zeigen: Laut dem „Psychreport 2022“ der Deutschen Angestellten-Krankenkasse (DAK) stieg die Zahl der Fehltage aufgrund psychischer Erkrankungen in Deutschland zwischen 2011 und 2021 um knapp 41 Prozent. Es gibt also gute Gründe, Glücksunterricht zu fördern.
Eine Gemeinschaftsproduktion von Thomas Merkle, Marius Schwarzenberg und Johannes Gierth im Rahmen des Seminars „Einführung in den crossmedialen Journalismus“ für Studierende der Medienkulturwissenschaft. Seminarleitung, Redaktion: Ada Rhode, Andreas Nagel, Philip Thomas.