Große weite Welt?
Ein Erasmus-Aufenthalt ist für viele der Inbegriff von Abenteuer, Freiheit und neuen Erfahrungen. Aber was, wenn die Corona-Krise den Traum von der großen Freiheit zunichte macht? Nina war auf La Réunion und Franzi in Schweden. Auf uniCROSS berichten sie von der Situation im Gastland, ihrer Entscheidung zurückzukehren und wie es nun für sie weitergeht.
Nina, Lehramt Sport und Biologie, 10. Semester war auf La Réunion, Frankreich
Im Januar bin ich für ein Erasmus-Semester auf die Insel La Réunion gereist. Dort wollte ich von Januar bis Mai studieren und anschließend die verbleibende Zeit bis zum Wintersemester zum Reisen nutzen.
Auf La Réunion spürte man lange nichts von der Corona-Krise und die Menschen wogen sich auf ihrer kleinen Insel im Indischen Ozean in Sicherheit. Doch bereits eine Woche nach der Meldung über den ersten Infizierten auf La Réunion kam am 17. März 2020 die Ausgangssperre für ganz Frankreich, wozu auch La Réunion gehört. Es folgte eine ganze Reihe an Bestimmungen. Das Haus durften wir nur noch mit einer Ausgehbescheinigung verlassen, die den Grund angab, weshalb wir uns draußen aufhielten.
Spätestens zu diesem Zeitpunkt wurde mir klar, dass meine Semester- und Reisepläne ganz schön durcheinandergeworfen werden würden. Den geplanten Urlaub meiner Familie, auf den wir uns schon seit Wochen gefreut hatten, sagten wir ab und auch sonst bekam ich viele besorgte Nachrichten von Familie und Freunden. Die meisten waren überrascht, wenn ich von der Ausgangssperre erzählte, weil bei La Réunion natürlich niemand sofort an Frankreich dachte.
Die Uni wurde bereits einen Tag vor der allgemein geltenden Ausgangssperre geschlossen. Schon vorher hatten viele Studierende vermutet, dass die Uni bald schließen würde. Genauere Informationen gab es aber lange nicht. Über Facebook – was für La Réunion typisch ist – erhielten wir dann aber schließlich doch die Nachricht, dass die Uni bis auf Weiteres geschlossen sei.
Anfangs war ich mir sicher, dass ich erst einmal ausharren wollte, um abzuwarten wie sich die Lage entwickeln würde. Doch im Verlauf der nächsten Woche spitzte sich die Lage immer weiter zu. Die Beschränkungen der Ausgangssperre und auch die Ein- beziehungsweise Ausreisebestimmungen wurden verschärft. Täglich schaute ich, ob es noch möglich sei, einen Rückflug zu buchen, was ganz schön an den Nerven zerrte.
Sowohl das International Office vor Ort als auch das EU-Büro in Freiburg sicherten uns Erasmusstudierenden ihre Unterstützung zu und hielten uns per Mail auf dem Laufenden. Es tat wirklich gut zu wissen, dass man sich jeder Zeit an sie wenden konnte, auch wenn sie mir natürlich nicht die Entscheidung abnehmen konnten, mein Auslandssemester fortzusetzen oder zu beenden.
Als dann nur noch eine Airline die Strecke St. Denis – Paris flog und die Flugbuchung nur noch mit einigen ausgewählten Gründen möglich war, entschied ich mich die Heimreise anzutreten. Ein entscheidender Faktor war sicherlich die Angst irgendwann nicht mehr selbst entscheiden zu können nach Hause zu reisen und auf der Insel festzusitzen. Der Flug an sich war dann relativ unkompliziert und ich bin über Paris nach Frankfurt geflogen und jetzt wieder in Deutschland.
Einige Dozenten stellen uns jetzt online Materialien zu den Vorlesungen zur Verfügung, um das Semester fortzuführen. Allerdings habe ich an der Uni auf La Réunion ausschließlich das Fach Sport studiert und eine Vielzahl meiner Kurse sind somit Praxiskurse. Wie es mit diesen Kursen weitergeht und wie allgemein die Prüfungen stattfinden, steht bisher noch nicht fest.
Daher habe ich mich entschieden das Semester nicht mit Online-Kursen weiterzuverfolgen, sondern in das Sommersemester in Freiburg einzusteigen. Hier ist es natürlich ebenso fraglich, ob und wie die praktischen Kurse stattfinden, aber zumindest kann ich auch Veranstaltungen in Biologie und Bildungswissenschaften belegen.
Franzi, Soziale Arbeit, 8. Semester war in Umeå, Schweden
Als die Corona-Welle Anfang März Europa überrollt hat, war ich schon fast zwei Monate in Umeå in Schweden, da das Semester dort schon viel früher beginnt als in Deutschland. Über schwedische Medien oder auch über die Uni habe ich kaum etwas über den Virus mitbekommen, nur ein paar Merkblätter waren in der Uni aufgehängt worden. Alles über die Verbreitung und die Auswirkungen des Virus und der beginnenden Krise erfuhr ich über deutsche Medien.
Nicht nur, weil wir als ausländische Studierende eher weniger Bezug und Zugang zu den Medien vor Ort hatten, sondern vor allem weil der Virus in Schweden lange Zeit noch kein Thema war beziehungsweise nicht zum Thema gemacht wurde. Denn Schwedens Maßnahmen gegen das Coronavirus rufen ja noch bis zum jetzigen Zeitpunkt Erstaunen und Fassungslosigkeit im restlichen Europa hervor, denn im Vergleich zu den deutschen, italienischen oder spanischen aber auch zu den Maßnahmen im restlichen Skandinavien, existieren diese praktisch nicht.
Um den 13. März 2020 herum bekam ich zunächst mehrere Mails von einzelnen Kursen der Uni, dass diese für ein bis zwei Wochen nur online stattfinden würden. Am folgenden Tag wurde die Uni dann aber doch geschlossen, doch nicht wie deutsche Unis nur vorläufig bis Ostern, sondern gleich für das ganze Semester. Das, so dachte ich, wäre erst der Anfang eines großen Shutdown und möglicherweise einer Ausgangssperre. Doch dem war nicht so.
Bis heute haben alle Geschäfte, Restaurants und Fitnessstudios noch offen. Lediglich die Öffnungszeiten sind verkürzt. Auch Kitas, Kindergärten und die Schulen laufen weiter. Museen sind zwar geschlossen, aber Bars und Pub haben noch geöffnet. Abends auszugehen ist immer noch möglich, denn nicht alle Clubs haben geschlossen.
Die Einschränkungen sind sehr gering. Der Dancefloor in der Bar bei mir um die Ecke wurde einfach mit Klebeband in Quadrate unterteilt, in welchem dann pro Quadrat nur ein Mensch tanzen darf. Ob das wirklich zur Eindämmung des Virus beiträgt ist wohl mehr als fraglich. Doch sonst kann man bisher in Umeå seinen Alltag ganz normal weiterführen. Einkaufen, Essen gehen und Sport machen, wie gewohnt.
Nichtsdestotrotz habe ich die Situation als einen tiefen Einschnitt in meinem Auslandssemester erlebt. Denn auch alle Veranstaltungen und Ausflüge unseres Buddy-Programms sind eingestellt worden und natürlich hatte ich viel Zeit an der Uni verbracht und mich dort mit Leuten getroffen. Die Theatergruppe, in der ich mitgemacht hatte, hat die Aufführungen und Proben ebenfalls abgesagt.
Außerdem musste ich geplante Reisen innerhalb von Schweden absagen, denn davon wird abgeraten – auch in Schweden. Flüge von Freunden und Familie, die mich aus Deutschland besuchen wollten, waren ebenfalls nicht mehr möglich. Und so haben sich alle Erwartungen an mein Auslandssemester, nämlich viele Leute aus unterschiedlichen Ländern, das dortige Uni-System und das Land kennenzulernen, recht schnell in Luft aufgelöst. Das hat mich sehr traurig gemacht.
In der Gruppe von ausländischen Studierenden, die ich gut kannte, machte sich auch mehr und mehr eine Unsicherheit gegenüber den Freiheiten in Schweden breit. Manche schauten skeptisch auf die geringe Zahl an Testungen im Land. Viele, mich eingeschlossen, verglichen die Situation und die Maßnahmen in Schweden mit denen ihrer Heimatländer und wir fragten uns: Wann bricht die Welle auch über Schweden herein? Wann beginnt hier die richtige Krise? Jedes Treffen, jede gemeinsame Unternehmung in Restaurant, Geschäften, Bars, Fitnessstudios oder privat brachte fast schon ein schlechtes Gewissen mit sich. Denn wir hatten das Gefühl es eigentlich besser zu wissen.
Ich bekam jedoch weder von meiner Heimat-Uni, noch von der schwedischen und auch nicht vom Erasmus-Programm eine Empfehlung auszureisen. Der DAAD appelliert, die Situation und Rückreisemöglichkeiten im Auge zu behalten und zu überdenken. Letztendlich muss das jede*r mit sich selbst ausmachen. Die Entscheidung nach Hause zu gehen, war eine schwere und sehr abrupte. Innerhalb einer Woche fasste ich den Entschluss und trat meine Rückreise an.
Ich war sehr traurig, dass sich meine weiteren Erwartungen für das Auslandsemester nicht erfüllen würden und darüber, das Land und liebe Menschen, die ich kennengelernt hatte, zu verlassen. Doch ich konnte mir auch nicht vorstellen allein in meinem Zimmer zu bleiben, wenn die Ausgangssperre womöglich kommen oder ich erkranken würde und genauso wenig wollte ich durch Reiseeinschränkungen festzusitzen, wenn jemand von meiner Familie krank werden würde.
Der eigentliche Anstoß zum Entschluss war die Tatsache, dass beinahe mein ganzes soziales Umfeld sich in der Woche zuvor entschieden hatte abzureisen oder schon abgereist war. Ich hatte das Gefühl allein zurückzubleiben.
Ich reiste gemeinsam mit einer Freundin zurück nach Deutschland. Aufgrund der eingeschränkten Reisemöglichkeiten buchten wir einen Flug für bereits fünf Tage später, denn die Flüge mancher Bekannter in weiter entfernter Zukunft waren schon gecancelt worden. Dementsprechend teuer war der Flug auch. Aufgrund von einer Annullierung des Fluges von Umeå nach Stockholm, mussten wir kurzfristig dann auch auf einen Zug umbuchen. Ansonsten verlief die Rückreise ohne große Probleme.
Ich saß jedoch noch nie an einem so leeren Flughafen und in einem so leeren Flugzeug. Glücklicherweise kann ich meine Kurse jetzt online auch von zuhause weiterführen. Ich bekomme deshalb nach der force majeure-Regelung auch weiterhin noch die Förderungsgelder von Erasmus. Darüber bin ich sehr erleichtert, denn ich bekomme die im Voraus gezahlte Miete für mein Zimmer in Umeå leider nicht erstattet.