„Ich bin drei Tage nach meinem Abiball zur Bundeswehr“
Ruben ist mit 18 Jahren zur Bundeswehr gegangen. Drei Jahre lang wurde er zum Feldjäger ausgebildet. Seit über einem Jahr studiert er in Freiburg Politik und Geografie und ist nun Teil der Reserve der Streitkräfte. Warum Ruben sich neben dem Studium bei der Bundeswehr einsetzt und wieso ihn das seinem Berufswunsch näher bringt.
Ruben und ich treffen uns in der Universitätsbibliothek an einem sonnigen und warmen Samstagnachmittag. Er war schon seit dem Vormittag in der UB. „Jeder Tag an der Uni ist ein Tag sich weiterzubilden“, sagt er. Der 22-Jährige studiert Politikwissenschaften und Geografie. Was ihn von den meisten seiner Kommiliton*innen unterscheidet: Er ist Soldat. Ausgebildet wurde er zum Feldjäger bei der deutschen Bundeswehr. Derzeit ist Ruben ein beorderter Reservist. Einmal im Jahr in den Semesterferien vertritt er für vier bis sechs Wochen seinen Zugführer in einer Siegburger Kaserne und trägt dort die Verantwortung für 30 Soldaten.
Zwei Rucksäcke hat Ruben immer gepackt
Er nennt sie Alarmrucksäcke. In ihnen befindet sich je eine Wechseluniform, Regenschutzkleidung, Reflektorbänder, eine Powerbank, Essen und Wasser für zwei Tage sowie Hygieneartikel. Ein Rucksack steht bei seinen Eltern nahe Bonn und der andere in seiner Freiburger Wohnung. „Wenn Russland mit Atomwaffen auf die Ukraine schießen würde und sich die NATO deswegen im Konfliktfall mit Russland befände, würde ich zu meiner Kompanie fahren, ohne dass diese mir einen Zettel schicken muss“, sagt er. Es sei ihm egal, ob er dafür bezahlt werde. „Wir haben Personalmangel und ich habe da Bock drauf“, fügt er an.
Ruben ist ein großer und muskulöser Mann mit kurzen dunkelblonden Haaren. In seiner Freizeit betreibt er Kampfsport, geht klettern und wandern. Seine Stimme ist klar, während unserer langen Gespräche verhaspelt er sich fast nie. Er wirkt wie ein Pressesprecher der Bundeswehr, auch weil er sich bei dem, was er erzählt, immer vor die Truppe stellt.
Drei Jahre lang wurde Ruben in mehreren Kasernen ausgebildet. Er war in Dresden, Hannover und Siegburg stationiert. Geboren ist er in Bonn. Bereits in jungen Jahren ist er häufig umgezogen, hat unter anderem in Belgien die Grundschule besucht. Grund für die Umzüge war der Beruf seines Vaters, der Offizier bei der Bundeswehr ist. Im Alter von 17 Jahren hat Ruben sich bei der Bundeswehr beworben. Er wollte etwas „Handfestes“ machen. Eine Ausbildung, die gut bezahlt wird und bei der er Qualifikationen für seinen weiteren Werdegang sammeln konnte. Der wiederum sollte etwas mit Politik zu tun haben. Schon damals brannte er für die Sicherheits-, Außen- und Europapolitik.
Nicht jeder hat das Zeug zum Soldaten
Es war aber nicht das Elternhaus, sondern Freunde aus dem Sport und der Schule, die ihn auf die Ausbildung zum Reserveoffizier aufmerksam machten. Ein Exot ist er in seiner Familie damit nicht. Neben dem Vater ist auch die Cousine bei der Armee. Bei der Bundeswehr musste er einen dreitägigen Bewerbungsprozess überstehen. In diesem seien eine Menge der Mitbewerber gescheitert. „Die Bundeswehr filtert mehr als man denkt, gerade bei Personen der Leitungsebene“, erzählt Ruben. Für die Ausbildung zum Reserveoffizier verlangt die Bundeswehr mindestens die mittlere Reife. Außerdem musste Ruben einen Sporttest bestehen und eine psychologische Untersuchung sowie einen allgemeinen Hintergrundcheck auf seine Verfassungstreue über sich ergehen lassen.
Zu Beginn seiner Ausbildung teilte er sich eine Stube mit drei weiteren Kameraden. Das bedeutete: Etagenbetten und Gemeinschaftsbäder. Kein Raum, um sich zurückzuziehen. Ruben wohnte in dieser Zeit mit 30 weiteren Personen beieinander. Neben der Privatsphäre ist in der Kaserne auch die individuelle Freiheit eingeschränkt. Man kann sich nicht aussuchen, wie lang der Bart oder das Haar ist oder welchen Schmuck man tragen möchte. Ruben erklärt, dass die Haare anfangen könnten zu brennen und der Helm so besser säße.
Es gab bei Ruben Momente, in denen er sich dachte: „Jetzt habe ich keine Lust mehr.“ Er erzählt von einem Freitagnachmittag im Oktober, es regnete und er und seine Kameraden mussten im Schlamm robben. „Eine Zeit, in der andere ein Bierchen trinken würden.“ Neben Sport- und Schießtests gehörten Lehrgänge und Prüfungen in den Fächern menschliches Führen, Militärgeschichte sowie Sprachunterricht zu seiner Ausbildung. Seine Hausaufgaben bei der Bundeswehr waren Befehle. Wenn er sie nicht erledigte, musste er eine Krankmeldung vorweisen.
Die Kameradschaft und das einhundertprozentige gegenseitige Vertrauen haben bei der Bundeswehr eine extrem wichtige Stellung. Eine Liebesbeziehung innerhalb der Truppe sei erlaubt, kann aber die Kameradschaft belasten, sagt Ruben. Eine Affäre eines Soldaten mit der Ehefrau eines Kameraden dagegen stelle ein Dienstvergehen dar. Es wird hier vom „Einbruch in die Kameradenehe“ gesprochen. Mögliche Sanktion ist ein Beförderungsverbot für ein Jahr. Ruben selbst hatte Freundinnen in verschiedenen Städten, mit dem Wissen, den jeweiligen Ort bald wieder verlassen zu müssen.
Prägende Einsätze
Ruben war beim Hochwasser im Ahrtal im Sommer 2021 für den Katastrophenschutz im Einsatz. Seine Kaserne lag in der Nähe der betroffenen Gebiete. Als Soldat musste er befahrbare Wege erkunden. Seine Einheit hat daran gearbeitet, wie Bauunternehmen, Abfallwagen, Werkzeuge, Brücken und Treibstoffe trotz zerstörter Straßen und Brücken an die betroffenen Orte gelangen konnten. Auch Rubens Familie hatte damals Wasser im Keller und viele Freunde verloren durch die Überschwemmungen ihren halben Hausstand. In seiner Freizeit half er ihnen beim Ausräumen ihrer Häuser.
Zu lebensbedrohlichen Einsätzen und zur Verwendung seiner Waffe sei es bisher nicht gekommen. „Nichts Hollywoodreifes“, meint Ruben. Bei seinem ersten militärischen Einsatz sperrte und sicherte er ein Waldstück nahe Trier ab. Dort war ein amerikanischer Kampfjet abgestürzt. Ruben musste aufpassen, dass das der Geheimhaltung unterliegende Radargerät und die scharfen Waffen des Jets nicht in die falschen Hände gerieten.
Wird man als Soldat gemocht?
Seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine sei das Interesse an seinem Beruf gestiegen, meint Ruben. Er berichtet von vielen guten Erfahrungen, die er als Soldat in der Gesellschaft gemacht hat. Kinder, die ihn im Zug ansprachen und wissen wollten, welche Abzeichen er trage. Oder eine Familie, die ihn nachts im strömenden Regen von einem kleinen Bahnhof mit dem Auto zu seiner Kaserne fuhr.
Einmal war Ruben mit Kameraden feiern. „Wir kamen mit zehn Männern in den Club und waren gerne gesehen“, erzählt er. Denn Bundeswehrsoldaten fingen keinen Streit an. Ein Soldat sei um ein gutes Öffentlichkeitsbild bemüht. Aber auch Ruben wurde schon beleidigt und körperlich angegangen. In einem Dresdener Waschsalon trug er seinen Camouflagerucksack und wurde daraufhin angefeindet. Teilweise diskutiert er mit den Menschen, die ihn attackieren. Die Logik des besseren Arguments greife in solchen Diskussionen häufig nicht, erzählt er. Man sei für diese Menschen ein Mörder, obwohl man noch nie auf einen Menschen geschossen habe und das auch niemals möchte. In Freiburg habe er solche Erfahrungen bislang nicht gemacht.
Für immer der Bundeswehr treu?
Für das Studium der Politikwissenschaften an der Uni Freiburg entschied Ruben sich, weil er als Reserveoffizier in einem internationalen Bereich arbeite und von sicherheitspolitischen Entscheidungen direkt betroffen sei. An einer Bundeswehruniversität wollte er nicht studieren. Dort hätte er sich nach dem Studium für 13 bis 17 Jahre für den Militärdienst verpflichten müssen.
Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine beschäftigt auch die deutsche Armee. Zu glauben, ein Soldat habe keine Angst zu kämpfen, sei falsch, sagt Ruben. „Aber nur weil ich Angst habe, kann ich nicht behaupten, meinen Auftrag nicht zu garantieren.“ Ein Soldat werde ausgebildet, um die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland und die Verbündeten mit militärischen Mitteln zu schützen. Russland sei die größte militärische Bedrohung für Deutschland und alle Staaten, die die Werte Deutschlands und seiner Verbündeten teilten. Demokratie sei nicht selbstverständlich. Auch deshalb sei es sinnvoll, die Ukraine mit Waffen westlicher Bauart zu unterstützen. Söldner, die jetzt für die Ukraine kämpften, verteidigten gewissermaßen die Freiheit und die nationalstaatliche Souveränität, meint der 22-Jährige. Er betont: „Krieg ist nicht schön. Sterben ist nicht schön.“
Ruben möchte in der Zukunft nicht in Vollzeit als Soldat arbeiten, sondern weiterhin aktiv Reservedienst leisten. Er träume davon, Institutionen der Bundeswehr und des Bundesinnenministeriums zu beraten oder zur Sicherheits- und Außenpolitik zu forschen. Seine Entscheidungen von damals bereue er nicht. Er würde wieder ein Politik- und Geografiestudium in Freiburg anfangen und eine Ausbildung zum Feldjäger absolvieren. Aber er hätte gerne noch ein Jahr Pause gemacht. „Ich bin ein sehr reisefreudiger Mensch und der Reisepass hat noch erschreckend wenig Stempel“, erzählt er. Diese sollen nach dem Bachelorstudium hinzukommen.