„Ich glaube, ich sterbe jetzt“
Angst ist eine starke Emotion, die das Leben von zahlreichen Menschen in vielerlei Hinsicht beeinflussen kann: Laut der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde leben zwölf Millionen Menschen in Deutschland mit einer Angststörung oder Depression. Bei uniCROSS berichtet ein Student von einem einschneidenden Erlebnis, ein Experte klärt auf.
Angst ist ein universelles Gefühl. uniCROSS ist auf Stimmenfang gegangen und hat über Spinnen, Alleinsein und die Angst vor der Zukunft gesprochen.
Christoph Breuninger ist Psychologe an der Universität Freiburg. Im uniCROSS-Interview erklärt er, was bei Angst im Gehirn passiert und wie Angstreaktionen bewältigt werden können.
Herr Breuninger, was ist Angst überhaupt?
Angst ist eine sehr wichtige Emotion beziehungsweise Gefühlsreaktion auf Dinge, die in unserer Welt passieren. Sie ist dazu da, unseren Organismus darauf einzustellen, mit Bedrohungen fokussiert und erfolgreich umzugehen. Das geschieht auf verschiedenen Ebenen: der Wahrnehmung, der Aufmerksamkeit und der Energiebereitstellung im Körper.
Was unterscheidet Angst von Furcht?
Im deutschen Sprachgebrauch wird wenig zwischen „Furcht“ und „Angst“ unterschieden. Im Englischen ist die Unterscheidung zwischen „Fear“ und „Anxiety“ verbreiteter. „Fear“ hat einen klaren Auslöser und Gegenstandsbezug, etwa bei der Begegnung mit einem gefährlichen Tier. „Anxiety“ ist diffuser und beschreibt das Gefühl von Unbehagen ohne eine klare Bedrohung, wie zum Beispiel in einer dunklen Seitengasse.
Sind Ängste immer schlecht?
Ängste insgesamt finde ich sehr wichtig. Auch therapeutisch sollte man nicht nur negativ darauf gucken, obwohl wir sie im Alltag häufig als unangenehm wahrnehmen. Ängste sind eigentlich enorm wichtig und hilfreich, um gut leben zu können. Es gibt eine spannende Fallgeschichte mit Menschen, bei denen die Amygdala im Gehirn beschädigt ist. Das ist ein Teil des Gehirns, der eine zentrale Rolle bei emotionalen Reaktionen spielt. Diese Menschen ohne Angst geraten viel häufiger in Schwierigkeiten im Leben.
Was passiert bei Angst im Menschen?
Ängste zeigen, wie eng Gehirn und Körperreaktionen im Alltag zusammenhängen. Ein Gedanke wie, „Morgen muss ich das Referat halten”, reicht aus, um körperliche Reaktionen auszulösen. Die Angstreaktion zeichnet sich durch Energiebereitstellung aus. Bei intensiver Angst kommt es zur Stressreaktion, „Fight or Flight“: Das Herz schlägt schneller, Schweiß kühlt den Körper, und Muskelspannung führt zu Zittern. In sozialen Situationen schwitzen, erröten oder zittern wir. Dies kann sekundäre Ängste erzeugen, da wir fürchten, dass andere unsere Reaktionen bemerken.
Wie verhält es sich mit Phobien, etwa vor Spinnen?
Eine Phobie ist eine Angststörung – eine psychische Erkrankung, gekennzeichnet durch eine übertriebene und unangemessene Angstreaktion. Von einer Krankheit spricht man, wenn diese Ängste die Alltagsbewältigung einschränken:
So kann man in einer Stadt gut mit einer Spinnenangst leben, da sie selten Probleme verursacht. Auf einem abgelegenen Bauernhof kann die gleiche Angst jedoch erheblichen Leidensdruck verursachen, wenn man sich nirgendwo mehr hintraut. Für die Diagnose und Behandlung einer Phobie ist der Aspekt des Leidensdrucks entscheidend, weil er den Alltag erheblich einschränkt.
Welche Therapiemethoden sind bei Ängsten und Phobien am effektivsten?
In unserem Versorgungssystem gibt es einige Therapieverfahren und Therapieschulen. Natürlich ist bei der Auswahl des Therapieverfahrens immer der individuelle Kontext des Patienten zu beachten. Es gibt zum Beispiel die kognitive Verhaltenstherapie, psychodynamische, psychoanalytische Verfahren oder systemische Psychotherapie. Die Studienlage zu Ängsten ist für die kognitive Verhaltenstherapie sehr gut. In vielen Fällen ist sie die erste Empfehlung.
Wie hilft Verhaltenstherapie Patienten mit Angststörungen, ihre Angstreaktionen im Körper zu bewältigen?
Bei Patienten mit einer Angststörung entstehen oft Denkmuster, die Situationen überbewerten und überdramatisieren, was intensive und automatische Körperreaktionen auslöst. Hier setzt die Kernbehandlung der Verhaltenstherapie an. Man nähert sich schrittweise den Angstsituationen, indem man sie nachstellt, um den Umgang damit zu üben. Besonders wichtig ist das Training im Umgang mit der Angstreaktion im Körper. Viele Betroffene befürchten, dass diese eskaliert und unerträglich wird. Das Ziel der Therapie ist es, zu erfahren, dass diese Befürchtungen unbegründet sind: Die Angstreaktion tritt zwar auf, lässt aber nach einer Weile nach, und die Situation wird erfolgreich gemeistert.
Nanis Angst vor Wasser
Zwei Jahre ist es her, dass Nani fast bei einem Badeunfall ertrunken ist. Im uniCROSS-Podcast erzählt der 18-Jährige, wie ihn dieses Erlebnis verändert hat.
Haben junge Menschen heute mehr Angst als ältere Generationen?
Aus meiner Erfahrung und wissenschaftlichen Erkenntnissen heraus haben die Belastungen der Coronazeit die psychischen Beschwerden bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen erhöht. Es gab mehr Depressionen, Essstörungen und Angststörungen in diesen Altersgruppen.
Warum leiden immer mehr Menschen unter sozialen Ängsten?
In der modernen Welt spielen soziale Ängste eine große Rolle, da bedrohliche Objekte wie Spinnen, Schlangen, Tiger und Wölfe seltener sind. Diese Ängste helfen uns im Alltag, sei es beim Halten eines Vortrags, beim Ansprechen anderer oder beim Zurechtfinden in Gruppen. Solange sie nicht krankhaft sind, motivieren uns diese Ängste, uns angemessen zu bemühen, vorzubereiten und von unserer besten Seite zu zeigen. Wie in der Stammesgeschichte sind wir auch heute darauf angewiesen, dass das Zusammenleben mit anderen gut funktioniert.
Hat sich der Umgang mit Ängsten in den vergangenen 30 Jahren verändert?
Insgesamt nehme ich wahr, dass heutzutage eine größere Offenheit bezüglich mentaler Gesundheit besteht. Wenn man eine Schwierigkeit hat, ist die Bereitschaft größer, sich Hilfe dafür bei Beratungsstellen zum Beispiel vom Studierendenwerk oder Psychotherapien zu suchen. Die Behandlungsperspektive ist gerade bei Ängsten sehr gut, vor allem wenn man früh eine Behandlung aufsucht.
Welche Alltagsstrategien helfen, Ängste – etwa bei Prüfungen – zu lindern?
Um etwas Aufregung, Nervosität oder Schlaflosigkeit vor Angstsituationen zu reduzieren, hilft oft Selbstreflexion. Es hilft zu hinterfragen, wie man selbst die Situation bewertet und ob man vielleicht eine zu hohe Erwartung an sich selbst hat. Auch kann es helfen, eine Haltung zu entwickeln, in der man sich bewusst macht, dass Fehler passieren oder dass andere merken dürfen, dass man aufgeregt ist, das gehört nun mal dazu. Das zeigt den Prüfenden, dass man sich bemüht und die Prüfung ernst nimmt. Außerdem sollte man nicht gegen seine Körperreaktionen ankämpfen. Je mehr man akzeptiert, dass es diese Reaktionen geben wird, desto ruhiger kann man letztendlich bleiben.
Gibt es Übungen, die körperliche Symptome mildern können?
Es hilft, sich auf die Atmung, besonders das Ausatmen, zu konzentrieren. In der Vorbereitungsphase kann ruhiges Ein- und Ausatmen oder längeres Ausatmen nützlich sein. In Angstsituationen wird viel Energie bereitgestellt, was durch körperliche Aktivität wie Spaziergänge ausgeglichen werden kann. Das Durchwandern der Sinneskanäle hilft, sich weniger ausgeliefert zu fühlen. Das geht zum Beispiel mit Mini-Achtsamkeitsübungen, bei denen man sich im Raum auf je drei Dinge konzentriert, die man sehen, hören oder fühlen kann.
Vielen Dank für das Gespräch.
Eine Gemeinschaftsproduktion von Alicia Remmler, Miriam Barry, Lea Smigoc und Katharina Gouverneur im Rahmen des Seminars „Einführung in den crossmedialen Journalismus“ für Studierende der Medienkulturwissenschaft. Seminarleitung, Redaktion: Ada Rhode, Andreas Nagel, Philip Thomas.