Wer kennt nicht den plötzlichen Anflug von Panik: Ein stechender Schmerz in der Brust, ein Schwindelgefühl oder zuvor noch nie aufgetretene klopfende Kopfschmerzen. Stimmt was nicht mit mir? Herzinfarkt, Hirntumor. Die schlimmsten Szenarien setzen sich im Kopf fest. Wenige Stunden später bei einem Glas Wein mit Freunden oder einer kleinen Radtour ist der zuvor selbstdiagnostizierte Hirntumor plötzlich wieder unwichtig und vergessen. Doch es gibt Menschen, deren Lebensinhalt darin besteht, sich ununterbrochen krank zu fühlen.
Sie leiden an einer Hypochondrie, einer übersteigerten, krankhaften Sorge um die eigene Gesundheit. Handelt es sich hier tatsächlich um eine Krankheit, bei der das Kranksein selbst zur Krankheit wird?
Hypochondrie ist eine “psychosomatische Störung“
Da keine organische Ursache vorliegt, reden die Ärzte von einer “psychosomatischen Störung“ mit unerklärlichen Symptomen ohne klinische Befunde: Die Urinprobe und das Blutbild sind völlig normal. Der Blutdruck ist im Normbereich und selbst das Röntgenbild zeigt keine Auffälligkeiten. Es handelt sich um eine Erkrankung seelischer Natur. Doch gerade das macht die Diagnose schwierig.
Immer noch gibt es keine Parameter, keine Messungen, keine Laborwerte, die das seelische Innenleben eines Menschen offenlegen könnten. Ärzte können bisher nur mithilfe von Gesprächen und Fragebögen eine Diagnose stellen.
Hinzu kommen auch noch die ziemlich unzuverlässigen Daten über die Anzahl der Erkrankungsfälle. Aber denkt man, es handle sich um ein seltenes Phänomen, liegt man falsch. In Studien wurde geschätzt, dass etwa zehn Prozent der Patienten in Allgemeinmedizinerpraxen an einer „psychosomatischen Störung“ leiden.
Ursachen weitgehend unbekannt
Ebenfalls ungeklärt ist die Frage wie es zu einer Hypochondrie kommen kann. Mehrere Ursachen machen Experten für diese Erkrankung verantwortlich: Sie diskutieren biologische Faktoren, wie eine herabgesetzte Wahrnehmungs- und Reizschwelle und auch Stress und psychische Belastungen anderer Art. Oft reagieren diese Menschen auf vorübergehende körperliche Veränderungen sensibler als andere, wie zum Beispiel auf einen plötzlich steigenden Puls bei sportlichen Tätigkeiten, der als unnormal empfunden wird.
Doch kann alleine schon die ständige Konfrontation mit Krankheiten, die Informationsflut durch Bücher und Vorlesungen „krankhafte“ Ängste auslösen?
Wer Medizin studiert ist Krankheiten ständig ausgesetzt. Auch im späteren Berufsleben beschäftigt sich der Arzt hauptsächlich nur mit kranken Menschen. Das „Gesundsein“ wird zu Rarität. Dann scheint es kein Wunder zu sein, dass die Besorgnis an einer schweren Krankheit zu leiden oder in Zukunft zu leiden unter den Studierenden der Medizin stärker ausgeprägt zu sein scheint. Das ist zumindest auch Thema einiger wissenschaftlicher Studien, die teilweise sogar von einer „Medizinstudentenkrankheit“ sprechen.
Studie untersucht Ängste von Medizinstudierenden
Sind Medizinstudierende anfälliger für emotionalen Stress, besorgter um ihre Gesundheit, gehen sie häufiger zum Arzt und nehmen sie mehr Medikamente? Ist dies auch noch abhängig von den Studienjahren?
Damit beschäftigt sich eine Studie aus Israel, die an der Universität Tel Aviv Medizinstudierende anonym befragen ließ. Zum Beispiel wurde gefragt: “Wenn du etwas über eine bestimmte Krankheit gelernt hast, empfindest du dann Symptome, die dieser Krankheit ähnlich sind?“ oder „Wenn du über eine bestimmte Krankheit etwas liest, hast du dann Angst, selbst an dieser Krankheit leiden zu können?“.
Zusammenfassend zeigt diese Studie, dass in den ersten Studienjahren vermehrt Ängste und emotionaler Stress bei den Studierenden entstehen können, diese jedoch später im klinischen Teil des Studiums wieder abnehmen.
In der Studie wurden Studierende aus Israel befragt. Wie aber sieht die Situation unter Freiburger Medizinstudierenden aus?
… wie ist es bei Freiburger Studierenden?
„Jedes Mal, wenn ich etwas gelernt habe, klopfe ich mich ab und frage mich: Tut`s da weh?”
sagt Susanne, Medizinstudentin im 10. Semester. Für Susanne ist das aber nicht problematisch. Gerade durch das Wissen über die Krankheiten sei sie sich ihrer eigenen Gesundheit bewusst.
Die Beschäftigung mit der Krankheit anderer kann auch zu den Symptomen von Hypochondrie führen: Wie bei Kathrin, die erst vor kurzem die Symptome eines Patienten bei sich selbst feststellte: „Ich habe mir die Krankheit ernsthaft eingebildet. Ich habe mir auch ständig die Hände desinfiziert und hatte irgendwie Angst, dass ich mir was hole.“
Ob Studierende während ihres Medizinstudiums ängstlicher werden, eine schwere Krankheit zu bekommen, scheint wohl auch eine „Typfrage“ zu sein. „Es gibt schon ein paar Krankheiten, bei denen ich wirklich Angst habe, dass ich sie mal bekommen könnte. Aber das ist nicht erst seit dem Studium so“, sagt Lena, die ebenfalls Medizin studiert.
Susanne, Kathrin und Lena sind sich einig, dass sie im Laufe des Studiums sensibler wurden für Krankheiten. Zum Beispiel, wenn sie in der Vorlesung davon hören, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, eine Krankheit zu bekommen.
„Dann steht der Professor vorne und sagt, jede dritte Frau bekommt in ihrem Leben ein Mammakarzinom, also 1-2-3 sie bekommen es 4-5-6 sie bekommen es auch, dann weiß ich eben, dass solche Erkrankungen gar nicht so selten sind“
sagt Kathrin.
Was tun?
Aber was hilft, falls es sich nicht nur um eine kurzweilige Besorgnis um seine Gesundheit handelt, sondern tatsächlich eine Hypochondrie vorliegt?
Leider ist die Medizin oft machtlos, wenn tatsächlich eine Hypochondrie diagnostiziert wird. Die Remissionsrate, also das Nachlassen von Krankheitssymptomen, ist gering. Die Erkrankung wird meist chronisch, verbunden mit jahrelangen Arztbesuchen. Die Krankheit bestimmt den Alltag: Andauernde Angstzustände, Rückzug aus dem sozialen Umfeld, Abgeschlagenheit und Depressionen können weitere Folgen einer Hypochondrie sein.
Doch auch wenn die Ursachen nicht bekannt sind, ist die Diagnose nicht hoffnungslos: Zum Beispiel konnte in einer Studie des US -amerikanischen Ärzteblattes gezeigt werden, dass eine kognitive Verhaltenstherapie, deren Hauptziel die Erkennung und Beeinflussung von negativen Gedanken ist, durchaus positiven Einfluss auf die Genesung eines Hypochonders haben kann. Aber auch Medikamente können helfen, wie ein Report des Journal of Clinical Psychopharmacology zeigte. Hier wird über einen positiven Einfluss von Medikamenten, die zur Behandlung von Depressionen eingesetzt werden, berichtet.
Falls der Verdacht einer Hypochondrie besteht, sollten Betroffene jedoch auf jeden Fall einen Psychologen oder Arzt aufsuchen.
Ob das Medizinstudium zur Hypochondrie führen kann, bleibt wohl, wie so vieles andere dieser Erkrankung, noch Gegenstand jetziger Forschung. Aber eines scheint eindeutig: Man braucht wohl keine Angst vor dem Medizinstudium zu haben.