#ichbinhanna
Befristete Arbeitsverträge, Publikationsdruck und berufliche Unsicherheit: Unter #IchbinHanna haben zahlreiche junge Wissenschaftler*innen mit persönlichen Erfahrungsberichten auf prekäre Arbeitsbedingungen im Wissenschaftsbetrieb aufmerksam gemacht. Was dahinter steckt und was verbessert werden soll, hat Verena herausgefunden.
Was eigentlich als kurzes Erklärvideo gedacht war, schlug kurz darauf in allen möglichen sozialen Netzwerken hohe Wellen. Im Juni 2021 veröffentlichte das Bundesamt für Bildung und Forschung einen kurzen Clip, der über die Arbeits- und Vertragsbedingungen für Wissenschaftler*innen aufklären sollte. Anhand der fiktiven Protagonistin Hanna wurden die Vorteile der Befristungspraxis im Wissenschaftsbetrieb dargelegt. Diese sei laut dem Video notwendig, um möglichst vielen nachrückenden Wissenschaftler*innen ebenso eine Chance auf eine Qualifizierung zu geben und somit Fluktuation und Innovation zu ermöglichen.
Dass die Realität aber doch etwas anders aussieht, zeigten die unzähligen Reaktionen von Wissenschaftler*innen, die ihrem Ärger über das Video unter #IchbinHanna Luft machten. Mit persönlichen Einblicken zeigten sie die vielfältigen Konsequenzen auf, die diese Befristungspraxis auf ihr Arbeitsleben im Wissenschaftsbetrieb hat.
Das WissZeitVG regelt die Anstellungszeit
Die Anstellungszeit von Wissenschaftler*innen ist durch das Wissenschaftszeitvertragsgesetz, kurz WissZeitVG, geregelt. Bevor Wissenschaftler*innen eine permanente Stelle, meist eine Professur, antreten, ist ihre Anstellungszeit durch das WissZeitVG auf bis zu sechs Jahre befristet. Dies sollte ursprünglich dazu dienen, dauerhafte Befristungen von Arbeitsverträgen im Wissenschaftsbetrieb zu vermeiden, erklärt Andreas, Doktorand und zum Zeitpunkt des Interviews Sprecher des Gemeinsamen Arbeitsausschusses der Doktorandinnen- und Doktorandenkonvente der Uni Freiburg. Stattdessen führe diese Praxis dazu, dass viele Leute auch nach mehreren Jahren in der Wissenschaft nicht wissen, ob sie eine permanente Stelle bekommen und dann vor der Frage stünden, wie es für sie weitergehen soll, sobald die Befristung ausläuft.
Das Problem dieser befristeten Verträge sieht Andreas vor allem in der mangelnden beruflichen Sicherheit. „Man merkt, dass sich viele aus dem System verabschieden, die zwar gerne weiterhin Wissenschaft betreiben wollen und auch gut darin sind, die Rahmenbedingungen es aber einfach nicht möglich machen.“ Da es nur begrenzt permanente Stellen und kaum Tätigkeiten im akademischen Mittelbau gebe, nehmen junge Wissenschaftler*innen große Unsicherheiten in Kauf, um in der Wissenschaft tätig zu sein.
Publikationsdruck und hohe Arbeitsbelastung
Ein grundsätzliches Anliegen im Wissenschaftsbetrieb sei es, das System transparenter und fairer zu machen. Um eine Vergleichbarkeit zwischen Wissenschaftler*innen zu gewährleisten, brauche es Zahlen, die der Objektivität dienen sollen, so die weit verbreitete Einstellung, sagt Andreas. Das sei aber ein Trugschluss, denn somit werde lediglich Gremien, die die Entscheidung über die Besetzung von Stellen treffen, Verantwortung abgenommen, da diese sich einfach auf die Anzahl der Veröffentlichung konzentrieren könnten.
Das sei wenig förderlich sondern eher wissenschaftsfeindlich, denn „nur nach Zahlen auszuwählen führt nicht dazu, die besten Wissenschaftler*innen auszuwählen. Eher entscheidet man sich dann für die Leute, die schneller Paper veröffentlichen oder mehrere Kooperationen gleichzeitig anfangen, aber nicht überall mitarbeiten“.
Dieses System übe zum einen enormen Druck auf Forschende aus, da sie das Gefühl bekämen, immer mehr leisten zu müssen, um langfristig in der Wissenschaft arbeiten zu können. Zum anderen habe es auch gesellschaftliche Konsequenzen, denn als Wissensgesellschaft “sollte es eigentlich unser Anliegen sein, gute Forschung zu fördern”, meint Andreas. Wenn Forschende aber permanent unter Zeitdruck stehen, werde nicht zwangsläufig dazu ermutigt, Forschungsfragen nachzugehen, von denen man sich spannende Erkenntnisse erhofft, sondern es ginge darum, schneller veröffentlichen zu können.
Drittmittelprojekte und das Anliegen einer freien Wissenschaft
Eine Rolle hierbei spielten auch Drittmittelanträge, die gestellt werden müssen, um projektgebundenes Forschungsgeld bewilligt zu bekommen. Diese Anträge seien sehr aufwendig und zeitintensiv und wirkten sich somit auch auf die Zeit aus, die in eigentliche Forschung investiert werden könnte. Meistens müsse in diesen Anträgen bereits im Vorhinein beschrieben werden, welche Ergebnisse man sich von der Forschung erhoffe. Dies führe aber dazu, dass die Forschung insgesamt unfreier werde. „Ich glaube, da ist sich die Wissenschaftscommunity einig, dass wir nicht nur gute Forschung bekommen, wenn wir an Projekten arbeiten, die sich leicht quantifizieren lassen, sondern dass es auch kreative Projekte braucht, bei denen wir nicht von Anfang an wissen, was dabei rauskommt, aber daran glauben, dass es zu interessanten Ergebnissen kommen kann“, sagt Andreas.
Im Veränderungsprozess?
Eine häufige Aussage, die im Zusammenhang mit #IchbinHanna getroffen werde – und auch die bisher genannten Punkte sprächen dafür – sei, dass das ganze System kranke und es demnach Veränderungen auf der Systemebene brauche. #IchbinHanna habe dazu geführt, dass Doktorand*innen stärker als eigene Statusgruppe wahrgenommen werden, erklärt Andreas. Diese sei aber nach wie vor schwer zu greifen, da Promovierende einerseits noch ausgebildet werden, andererseits aber auch einen großen Beitrag in der Lehre leisten und einige administrative Aufgaben übernehmen. In dieser Statusgruppe seien Doktorand*innen auch unterschiedlich stark betroffen von #IchbinHanna, beispielsweise seien die Bedingungen in den Geisteswissenschaften häufig noch problematischer als in den Naturwissenschaften. Auch die persönlichen Erfahrungsberichte verdeutlichten, wie facettenreich die Auswirkungen der prekären Arbeitsbedingungen sein können. Das mache es schwerer, eine konkrete Veränderung im System zu bewegen.
Nach Andreas Einschätzung werde aber dennoch in vielen verschiedenen Bereichen, die von der Universitäts- bis zur Bundesebene reichen, nach Lösungen gesucht. Ein zentrales Anliegen dabei sei es, die Doktorand*innenposition in verschiedensten Bereichen zu stärken. Fragen, die hierbei diskutiert werden, sind zum Beispiel: Könnte es zu einer Verbesserung führen, wenn automatisch Dreijahres- statt Einjahresverträge zu Beginn der Promotion abgeschlossen werden? Bräuchte es vielleicht eine Mehrfachbetreuung von Doktorand*innen, um toxische Betreuungsstrukturen zu vermeiden? Viele Doktorand*innen würden beides begrüßen.
An der Universität Freiburg wurde auf Verwaltungsebene eine eigene Abteilung Gleichstellung, Diversität und akademische Personalentwicklung gegründet, die sich unter anderem diesen Fragen widmet. Die Pressestelle der Universität Freiburg betont, dass die Hochschulleitung der strukturellen und kulturellen Verbesserung der Karrierewege und Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft seit Beginn ihrer Arbeit große Bedeutung zumesse. In diesem Zusammenhang wurden im Sommersemester 2021 Veranstaltungen initiiert, um mit Promovierenden und Postdocs sowie Expert*innen aus der zentralen Verwaltung in den Dialog zu treten.
Positiver Ausblick
Auch wenn es weiterhin viel Veränderungspotential gebe, ist es Andreas dennoch wichtig zu verdeutlichen, dass durchaus schon Veränderungen erfolgt sind. Historisch gesehen habe sich die Loslösung aus Abhängigkeitsverhältnissen deutlich zum Positiven entwickelt. Ebenso werde die wissenschaftliche Beteiligung von Doktorand*innen stärker honoriert als früher, beispielsweise wenn sie in Veröffentlichungen die Erstautor*innenschaft bekommen und nicht die Professor*innen zuerst genannt werden.
In #WirsindHanna wurde häufig scharf kommuniziert, sagt Andreas. Dabei sei es wichtig, nicht das Positive aus dem Blick zu verlieren: „Es wird viel von Verantwortung und nicht wahrgenommener Verantwortung gesprochen. Ich erlebe die Universitäten aber schon so, dass wir an vielen Stellen verantwortungsbewusste Menschen haben, nur dass der Rahmen oft sehr schwierig ist. Die große Mehrheit der Leute ist wirklich sehr engagiert und Professor*innen setzen sich häufig über die Maßen für Doktorand*innen ein.“
Diesen Eindruck bekräftigt auch die Pressestelle der Universität Freiburg: „Es wurde bereits eine Vielzahl an Maßnahmen diskutiert, beispielsweise die Einführung von Mitarbeitenden- und Karrieregesprächen im wissenschaftlichen Bereich, die Entwicklung von Führungslinien oder ein Preis für gute Betreuung.“ heißt es von dort. Diese Maßnahmen seien gerade im Entwicklungs- und Umsetzungsprozess. Der Universität sei es außerdem ein großes Anliegen, ein Rahmenkonzept auszuarbeiten, welches die Vergabe von entfristeten Stellen im akademischen Mittelbau planbarer und transparenter machen soll.
Info
Hier findet ihr die Website der Initiator*innen von #IchbinHanna und die Website zu #IchbinHanna an der Universität Freiburg.