Intergeneratives Wohnen in der Altstadt
Fünf Student*innen der Uni-Freiburg leben zusammen im intergenerativen Wohnen. Das Konzept: Wohnen für Hilfe. Wie sieht ihr Alltag aus und was bringt das Leben in der Wohnform mit sich? Nicolai von uniCROSS war für ein Interview zu Besuch in der WG.
Lucas, Carlotta, Luciana, Laura und Hannes studieren an der Uni Freiburg und wohnen zusammen in einer WG. Ihre Wohnung liegt mitten in der Stadt. Die fünf Studierenden wohnen in einem Haus des evangelischen Stifts Freiburg in einem intergenerativen Wohnprojekt. Seit Oktober 2010 bietet das Freiburger Stift Studierenden und Auszubildenden die Möglichkeit zum Wohnen für Hilfe im intergenerativen Wohnen. Neben der WG leben im Stift in der Herrenstraße rund 100 Senior*innen. Nicolai hat die WG besucht und wollte wissen: Wie passen Studierenden- und Senior*innenalltag zusammen?
Hallo Zusammen, Ihr kommt gerade von einem Balkonkonzert, das Ihr für die Bewohner*innen gegeben habt, zurück, bei dem die Senior*innen mitgesungen und mitgeklatscht haben.
Lucas: Wir versuchen Lieder zu spielen, die die Senior*innen kennen. Das sind dann also meist ältere Lieder. Heute haben wir zum Beispiel ‚Der Mond ist aufgegangen‘ und ‚Guten Abend, gute Nacht‘ gesungen. Es ist schon bemerkenswert, wie textsicher viele sind.
Ihr wohnt jetzt alle schon über ein Jahr hier. Warum habt ihr euch für diese Wohnform entschieden?
Laura: Ich kannte die Menschen die hier vorher wohnten und ich fand diese Konstellation aus jungen Studis und Menschen die hier bis ins hohe Alter leben unglaublich interessant, auch weil ich vorher nicht so viel Berührung mit Menschen in hohem Alter hatte, mal abgesehen von meinen Großeltern.
Carlotta: Für mich war auch noch der Aspekt ausschlaggebend, dass wir als Wohngemeinschaft ganz eng zusammenarbeiten können. Das ist ein Faktor der auch irgendwie wichtig für mich war, also, dass man viel zusammen macht und dadurch zusammen wächst.
Ihr bezahlt 240 Euro Warmmiete und arbeitet dafür im Stift mit. Wie sieht die Mitarbeit genau aus?
Laura: Also das Konzept hier basiert auf ungefähr fünf Stunden Arbeit in der Woche. Darin eingeschlossen sind die Planung und eben alles Organisatorische drumherum. Unter der Woche finden verschiedene Veranstaltungen statt, die von uns organisiert werden. Lotti, Luciana und ich bieten jeden Dienstag eine Stunde Abendtee an, zu dem Senior*innen kommen, die einfach quatschen und Tee trinken wollen. Ansonsten geben wir auch immer wieder mal Konzerte, so wie heute. Wir übernehmen keine pflegerischen Tätigkeiten. Jetzt während Corona, haben wir auch ab und zu mal Einkaufsdienste gemacht.
Hannes: Lucas und ich bieten gerade wöchentlich eine Enkelsprechstunde an, zu der Senior*innen mit technischen Problemen kommen. Die kommen dann mit ihrem Handy, Computer oder sowas.
Kamen da denn schon Leute zu der Enkelsprechstunde?
Lucas: Jaa, die ist immer ausgebucht!
„Das ist jetzt nicht, dass man sich da einen abbricht, sondern, das macht Spaß.“
Steht für euch eure Mitarbeit in einem angemessenen Verhältnis zum Mietpreis?
Lucas: Ich hab es mir ehrlich gesagt noch nicht ausgerechnet, wie viel fünf Stunden auf Mindestlohn im Monat sind und man das mit der Miete verrechnet, um dann zu gucken, wie teuer es theoretisch wäre. Ich habe aber auch bisher nicht gedacht, dass das Ehrenamt eine Belastung für mich wäre, die ich nicht tragen könnte. Ich sehe das so: Ich könnte mir eine Wohnung in Freiburg fast gar nicht leisten, wenn ich nicht hier wohnen würde. Allein dafür lohnt sich die Arbeit.
Hannes: Vor allem ist das ja auch Arbeit, die wir gerne machen. Also die Enkelsprechstunde beispielsweise, das ist jetzt nicht, dass man sich da einen abbricht, sondern, das macht Spaß!
Luciana: Es geht auch nicht nur darum, dass nur wir was geben. Am Ende bekommen wir auch viel zurück.
Das kann ich mir gut vorstellen! Ihr macht Musik, unterstützt die Senior*innen bei der Technik… Was sind denn so die schönsten Erlebnisse die ihr mit den Bewohner*innen hattet?
Carlotta: Ich finde immer wieder die Konzerte super schön, weil man da mal wirklich was mitbekommt von den Menschen im Stift. Auch wenn nicht alle Bewohner*innen auf die Balkone rauskommen, wenn wir spielen, ist es trotzdem schön zu sehen, dass es Leute wieder zusammenbringt.
Was ich auch immer schön finde ist, dass wir viel Rückmeldung bekommen. Neulich haben wir mit Kreide im Stiftspark auf dem Boden Bilder gemalt. Danach haben uns zwei Bewohner*innen zwei nette Karten geschrieben. Es ist einfach schön, dass man sieht, dass es den Leuten viel bedeutet – gerade in der Zeit, in der man coronabedingt nicht so in direktem Kontakt steht.
Luciana: Ich habe eine schöne Anekdote. An Weihnachten haben wir Musik gemacht und ich fühlte mich so ein bisschen wie so ein Promi, weil alle Senior*innen am Fenster waren und Bilder von uns gemacht haben. Sie haben uns Pralinen und Süßigkeiten zugeworfen. Das fand ich lustig.
Lucas: Was bei mir bleibenden Eindruck hinterlässt, ist auch die Tatsache das wir einen Einblick in das Alltägliche von den Menschen bekommen, die hier im Stift wohnen. Wir erfahren eben auch, was es bedeutet, alt zu sein und welche Schwierigkeiten damit verbunden sind. Das bringt mich dann oft auch zum Nachdenken über das Alt werden. Man beschäftigt sich schon auch mehr mit sich selbst und mit Sachen, die man sonst schonmal für selbstverständlich hält. Da bekommt man nochmal eine ganz andere Perspektive auf das Leben.
Hannes: Zur Enkelsprechstunde kommen auch Leute, die beispielsweise 1932 geboren sind. Sie sitzen dann da und erzählen dir irgendwas von iCloud. Das flasht mich, weil ich dann denke, in was für Lebensrealitäten die so geboren wurden und aufgewachsen sind. Und jetzt heute sind sie noch so fit, dass sie mit dem technischen Wandel einigermaßen mitgehen können.
„Ich denke der Kontakt zwischen uns und den Senior*innen kann einer gesellschaftlichen Spaltung zwischen junger und alter Generation entgegenwirken“
Und wie sieht es mit den klassischen Studierenden-WG-Partys aus?
Laura: Ich hab einmal beim Abendtee unsere Nachbarin von gegenüber gefragt, wie viel sie von uns so mitbekommt. Sie wohnt so drei bis fünf Meter Luftlinie von uns entfernt. Das Fazit daraus war, dass wir viel mehr von ihrem Fernseher mitkriegen als sie von uns. Also von daher haben wir da bisher keine Probleme gehabt. Aber wir haben jetzt auch bisher keine großen Partys geschmissen, was ja auch wegen Corona gerade nicht sein muss.
Welche Chance seht ihr denn generell in der intergenerativen Wohnform?
Carlotta: Wir waren beispielsweise dabei, als hier ein mobiles Impfteam vor Ort war. Da haben wir das Team unterstützt, damit alles reibungslos ablaufen konnte. Jetzt gerade läuft auch ein Projekt zur Verschönerung des Stiftsgartens, bei dem wir beim Unkraut jäten geholfen haben. Das waren beispielsweise Situationen, in denen wir als WG ganz konkrete Hilfe leisten konnten.
Lucas: Der Kontakt zwischen uns und den Senior*innen kann einer gesellschaftlichen Spaltung zwischen junger und alter Generation entgegenwirken. Das finde ich positiv. Mit der älteren Generation komme ich sonst nur über meine Großeltern in Kontakt. Deswegen ist das intergenerative Wohnen auch ein enormer Gewinn, auch um das eigene Leben zu reflektieren.
Laura: Einmal haben wir auf dem Hof Spikeball gespielt und sind dabei fast umgefallen vor Lachen. Das haben natürlich alle gehört. Wir hatten dann ein bisschen Sorge, dass es zu laut war. Doch dann ist tatsächlich eine ganz positive Rückmeldung gekommen. Eine Bewohnerin meinte, dass es witzig war, zuzuschauen und unser Lachen zu hören. Ich denke gerade an solchen kleinen Begegnungen erfreuen sich viele der Senior*innen besonders. Das sind dann Situationen, die ohne uns hier nicht so in der Form passieren würden.
Würdet ihr die Wohnform denn anderen weiterempfehlen und wenn ja, wem?
Luciana: Ja, natürlich kann ich die Wohnform weiterempfehlen! Aber jetzt wohnen wir ja erstmal hier… (lacht)
Carlotta: Also ich glaube es sollten keine Menschen sein, die grundsätzlich Berührungsängste haben. Wir sind alle eher kommunikative Menschen, das erleichtert es schon ungemein. Ansonsten kann ich allen nur Raten es ruhig mal auszuprobieren.