“Kann man im Sitzen Karriere starten?”
Zwei Jahre sind vergangen, seit das Album „Satt“ des Hamburger Indie-Duos Schnipo Schranke den bundesdeutschen Popdiskurs nachhaltig veränderte. Weniger Goethe, mehr Furzwitze. Was nach einem Alptraum für das Niveau des Deutschpop klingt, war nicht weniger als eine stilistische Revolution. Die beiden Hamburgerinnen Daniela Reis(r.) und Friederike Ernst kommen mit einem neuen Album im Gepäck zurück in den Festsaal Kreuzberg, an den Ort, an dem sie ihren ersten Auftritt als Schnipo Schranke hatten. Kein Ort wäre geeigneter, um mit den beiden zusammen einen Blick auf die vergangenen zwei Jahre zu werfen.
„Hast du den neuen Festsaal gesehen? Der sieht aus wie ein Abenteuerspielplatz!“ Auch wenn ich den Enthusiasmus von Daniela Reis, der Keyboarderin/Sängerin/Drummerin von Schnipo Schranke nur begrenzt teile, hat sie nicht unrecht. Nach einer grundlegenden Renovierung sieht der Festsaal Kreuzberg tatsächlich wesentlich besser aus als früher. Vieles ist vertraut, aber das Meiste hat sich verändert. Insofern ist bereits die Location ein Fingerzeig auf das bevorstehende Interview und das Konzert später am Abend. Daniela und Friederike kommen fünf Minuten nach Ende des eigentlichen Interviewtermins in das Restaurant des Festsaals geschlurft. Sie waren mit dem Sound nicht zufrieden und aus diesem Grund hatte der Soundcheck Priorität. Die beiden tragen Jogginghosen und ausgeleierte T-Shirts. Alles andere hätte allerdings auch verwundert, schließlich ist nonchalantes Slackerinnen-Image seit jeher Markenzeichen des Hamburger Duos. Die beiden wirken elektrisiert. Es ist nicht schwer, herauszuhören, dass der heutige Abend auch ein ganz besonderer für sie ist.
Einer der ersten Sätze eurer Debütplatte „Satt“ ist die Frage: „Kann man im sitzen Karriere starten?“ Habt ihr das hinbekommen oder musstet ihr seit eurem Debütalbum aufstehen um die Karriere voran zu treiben?
Friederike: Das war ja ein bisschen auch darauf bezogen, dass wir am Anfang auf der Bühne gesessen haben. Auch beim Klavierspielen zum Beispiel. Das haben wir dann irgendwann auch geändert.
Daniela: Ja, das hat einen sehr faulen Eindruck gemacht, wie wir da so rumgelümmelt haben. Man konnte die Leute nicht so richtig packen. (lacht)
Euer erster Auftritt war hier im Festsaal Kreuzberg vor einigen Jahren. Was hat sich seither verändert?
F: Es hat sich alles verändert. Da waren wir auch noch Vorband und als wir angefangen haben zu spielen, war noch gar niemand im Raum. Die kamen dann alle erst so allmählich rein. Es ist natürlich jetzt etwas total anderes, die Leute die heute Abend kommen kennen uns schon und kommen wegen uns und nicht wegen der Band, die nach uns spielt.
D: Ich meine, wir haben jetzt einen Plattenvertrag!
F: Das ist jetzt unser Beruf!
Es ist aus den Gesichtern der Beiden abzulesen, wie glücklich sie die Entwicklungen der vergangenen Jahre machen. Schließlich war der Erfolg des Duos keinesfalls ein Selbstläufer. Vor sechs Jahren waren die beiden noch Studentinnen an der Musikhochschule Frankfurt. Das Studium klassischer Instrumente machte sie zwar nicht glücklich, aber dafür ermöglichte es den beiden, sich ein musikalisches Grundwissen anzueignen, dass den schlicht gehaltenen Sound der Band bis heute prägt.
Ihr habt beide mit dem Thema klassische Musik ziemlich gebrochen. Gibt es dennoch Dinge, in musikalischer Hinsicht, die ihr aus diesem Studium mitnehmen konntet und eure Arbeit heute bereichert?
F: Ja! Wir merken das oft beim Proben mit Ente (ein Freund der Band, der live verschiedene Instrumente spielt, die Red.) zusammen, der keine musikalische Ausbildung hat und sich alles autodidaktisch beigebracht hat. Manchmal machen wir dann Vorschläge im Proberaum, dass wir das jetzt mal langsam und mit Metronom üben und er kann das gar nicht, weil er das nie so gemacht hat. Dann treffen wir uns eben mal alleine und üben heimlich mit Metronom. Wir wollen das schon alles weiterhin aus dem Bauch heraus machen. Aber manchmal wird mit Metronom geübt.
Die Konzentration auf klassische Musik hatte auch zur Folge, dass die Beiden große Teile der deutschsprachigen Popmusik lange gar nicht kannten. Dass sie im betrunkenen Zustand ausgerechnet der Hamburger Poplegende Rocko Schamoni nach einem seiner Auftritte eine ihrer Demos in die Hand drückten, war Glück. Dass dieser sie sich anhörte, war ein Wunder. Dass er begeistert war, war abzusehen. Und so wurde die Band der beiden Frauen aus Hamburg, die lange absolut nichts mit Pop zu tun hatten, plötzlich das Aushängeschild für moderne, feministische Popmusik mit Bezug zur Hamburger Schule.
Ihr betont in Interviews immer wieder, dass ihr zu all diesen Szenen lange keinen Zugang hattet. Dennoch geltet ihr heute als eine der Aushängeschilder der aktuellen Hamburger Musikszene und als eine der wenigen feministischen Bands im Deutschpop. Entspricht das eurer Selbsteinschätzung heute?
F: Das war eigentlich überhaupt nicht unsere Absicht. Ich kann das mittlerweile nachvollziehen, warum die Leute das sagen und es ist ja auch schön.
D: Ich glaube sowieso, dass man so etwas nicht planen kann, es ist passiert!
F: Wenn wir jetzt mit dem, was wir machen, was gutes tun für den Feminismus dann freut uns das natürlich. Aber vielleicht ist es auch besser, manchmal keine Absichten zu haben, vielleicht gelingt einem das dann eher.
Viele eurer Texte drehen sich um unglückliche Liebschaften, Alkohol oder Themen des alltäglichen Lebens. Dennoch werdet ihr als politische Band wahrgenommen. Inwiefern glaubt ihr, dass das an eurer Wortwahl liegt?
F: Das weiß ich ehrlich gesagt gar nicht, da wir die Wortwahl nicht so sehr im Vordergrund sehen, also zumindest nicht die Fäkalsprache. Die Songs sind ja in der Regel sehr persönlich. Wir reflektieren, wie wir in der gegebenen Gesellschaft zurechtkommen oder nicht. Und das hat natürlich immer auch etwas Politisches.
Neben dem charakteristischen Sound, der ein bisschen an Chanson mit Lo-Fi-Attitüde erinnert, sind natürlich die Texte das, was das Hamburger Duo so besonders macht. Zwar unterscheiden sich viele Themen nicht von denen anderer Deutschpop-Bands, diese werden aber sprachlich außergewöhnlich präsentiert. Schnipo Schranke sind so vulgär, wie es nur geht. Und das trägt viel zum Phänomen ihres Erfolges bei.
Der Stil von Schnipo Schranke ist ja auch deshalb so spannend, weil er so innovativ ist. Glaubt ihr, ihr seid Prototypen oder Exotinnen?
F: Also Zufall ist das, glaube ich, nicht. (Zu Daniela:“Ne, das kann man über sich selbst echt nicht sagen!“) Es ist wahnsinnig schwer auf diese Frage zu antworten, ohne arrogant zu klingen.
D: Das waren aber auch zwei Fragen in einer Frage!
F: Zunächst mal: Ich kann natürlich nicht sagen, ob wir damit irgendeinen neuen Stil erfunden haben, das will ich auch gar nicht beurteilen. Ich finde es auch sehr schwierig, einzuschätzen, was unser Stil eigentlich ist, weil wir gerade bei der Musik sehr intuitiv arbeiten. Wir haben uns ja nicht vorgenommen, einen bestimmten neuen Stil zu entwickeln. Das ist einfach so gewachsen
D: Ich fänds auch nicht so schön, wenn das alle jetzt nachmachen, weil ich uns selber nicht hören würde.
Wenn ihr auf den Stil eurer Texte angesprochen werdet, betont ihr immer wieder, dass dieses Vulgäre eben nicht aufgesetzt ist, sondern genau die Art wie ihr auch im täglichen Leben kommuniziert. Glaubt ihr, es wäre möglich gewesen, etwas anderes mit Schnipo Schranke zu machen als diese Musik mit diesen Texten?
D: Ne, ich glaube nicht, dass das möglich gewesen wäre. Wir haben auch vieles versucht, wir hatten ja schon Pläne, wer wir sein wollen. Zum Beispiel hatten wir uns am Anfang vorgenommen, in Interviews nur ironisch zu antworten und es immer wahnsinnig lustig zu gestalten. Und gleich im ersten Interview haben wir gemerkt, dass wir gar nicht anders können als ehrlich zu sein. Es fällt uns schwer, uns eine Maske anzulegen, weshalb wir manchmal sogar dann ins Indiskrete abrutschen. Weil wir es echt nicht anders können.
Was würdet ihr wohl heute machen, wenn das mit der Musik nicht geklappt hätte?
D: Ich hätte mich umgebracht, glaube ich. So blöd das jetzt klingt. Ich will damit auch gar nicht kokettieren. Aber ich hatte wirklich lange diesen Gedanken: Entweder ich schaff das jetzt oder ich nehme mir das Leben. Tatsächlich. Weil ich mir nichts anderes vorstellen konnte. Für mich gab es nur: entweder ich schaff es auf die Bühne und bin damit erfolgreich oder ich gehe gleich aus dem Leben.
Szenenwechsel: Zwei Stunden später platzt der Festsaal Kreuzberg aus allen Nähten. Das Konzert ist schon lange ausverkauft, mehr als tausend Menschen sind gekommen, um Schnipo Schranke zu sehen. Als die Band die Bühne betritt, bricht lauter Jubel aus. Es ist offensichtlich, dass sich das Publikum genau so sehr auf den Auftritt freut wie die Band. „Ich bin so nervös, dass es nach Kotze schmeckt wenn ich rülpse! Ist das gut?“. Mit diesem Satz begrüßt Daniela, die sich die Zähne silbern angemalt hat, das johlende Publikum. Die Jogginghosen sind geblieben, die ausgeleierten Shirts sind farblich abgestimmten Tops gewichen. In den nächsten zwei Stunden spielen die beiden fast jeden Song ihrer Diskographie, immer begleitet von einem erstaunlich textsicheren Publikum. Es wird eine schöne Symbiose sichtbar: Daniela und Friederike macht es offensichtlich glücklich, hier zu spielen und das motiviert das Publikum. Als die Band nach der dritten Zugabe zum endgültig letzten Mal die Bühne verlässt umarmen sich die beiden und hüpfen lachend im Kreis. Es ist die Quintessenz dessen, was Schnipo Schranke zu einer so besonderen Band macht: Manchmal mag das, was die beiden machen, unbeholfen, vulgär oder sinnlos scheinen, aber es ist das Authentischste, was die deutsche Popmusik aktuell zu bieten hat.
Das gesamt Interview mit Schnipo Schranke hört ihr am Dienstag, den 28. März, ab 19.00 Uhr im Motto Soundcheck