Lesen gegen den Hass
Bücher sind mehr als Unterhaltung: Sie haben die Macht, Gedanken- und Verhaltensmuster ihrer Leser*innen zu verändern. Passend zum Semesterthema “Gegen den Hass” stellen uniCROSS-Redaktionsmitglieder Geschichten vor, die Zeichen gegen Ausgrenzung, Diskriminierung und Gewalt setzen – und dabei toll zu lesen sind.
Exit Racism – Tupoka Ogette
Im Zuge von #BlackLivesMatter wurde dem Thema Rassismus sein Platz im gesellschaftlichen Diskurs, aber auch in den heimischen Bücherregalen erkämpft. Und doch scheint die Auseinandersetzung mit Rassismus oft im Theoretischen zu verharren. Man interessiert sich zwar für seine Geschichte und Wirkungsweise – darüber, wie rassistische Muster das eigene Denken und Handeln prägen, wird aber wenig gesprochen. Wer möchte schon gerne Rassist*in sein, oder (noch schlimmer!) als solche*r bezeichnet werden?
Genau hier knüpft Tupoka Ogette an: „Sprechen lernen über Rassismus ist wie ein Muskel, den wir als Gesellschaft trainieren müssen“, betont die Anti-Rassismus-Trainerin und liefert den perfekten Trainingseinstieg gleich mit. „Exit Racism“ hat mir nicht nur dabei geholfen, die Entstehung, Strukturen und Wirkungsweisen von Rassismus in Deutschland besser zu verstehen. Es hat mich bei der Reflektion darüber begleitet, wie mich Rassismen – bis dahin unentdeckt, weil unterbewusst – beeinflussen.
Besonders spannend finde ich die interaktive Gestaltung des Buches: Durch Übungen, QR-Codes, die auf weiterführende Artikel, Videos oder Internetseiten verweisen und Tagebucheinträge von Workshop-Teilnehmer*innen werden Leser*innen Teil des Buches, anstatt sich passiv berieseln zu lassen. Wer „Exit Racism“ liest, lernt damit nicht nur Fakten über Kolonialisierung und Rassismus oder bekommt deren negative Auswirkungen mit erhobenem Zeigefinger vorgeführt. Leser*innen sollen selbstständig ein (rassismus-)kritisches Bewusstsein entwickeln – weil nur #LesenGegenDenHass eben nicht reicht!
Von Marie-Noelle Asal
Vielen Dank für das Leben – Sybille Berg
Der Roman „Vielen Dank für das Leben“ führt Leser*innen durch ein gesamtes Leben. Toto – ohne eindeutiges biologisches Geschlecht zur Welt gekommen – bekommt nach der Geburt das männliche Geschlecht zugewiesen und hat es von Beginn an nicht einfach. Toto ist anders als die anderen Kinder im Waisenhaus und stets auf sich allein gestellt. Ob im Sozialismus der DDR oder im Kapitalismus des vereinigten Deutschlands: Toto findet sich stets in einer Gesellschaft wieder, die ihn verstößt. Trotz des Hasses, den die Menschen Toto entgegenbringen, weigert sich Toto, die Welt als schlechten Ort wahrzunehmen. Ohne Erwartungen an die Welt versucht Toto durchwegs, sie zu einem schöneren Ort zu machen und Freundschaft, Geborgenheit und Liebe zu finden.
Sybille Berg erschafft mit Toto eine wundervolle Figur, so liebenswert und unschuldig, dass wir sie von der ersten Seite an vor der Welt beschützen möchten. Dieser Roman ist keine Anleitung, wie gegen den Hass vorgegangen werden kann. Er ist vielmehr ein Spiegelbild unserer bestehenden Gesellschaft und eine Ahnung, in welche düstere Richtung sie sich entwickeln könnte.
Der Roman geht auf eigene Art gegen den Hass vor: Sybille Berg erzählt die Geschichten der Hassenden als einsame und unglückliche Wesen, zu denen Leser*innen zum Ende des Buches Mitleid empfinden. Toto jedoch behält den träumerischen Blick auf eine gute Welt bei und führt uns damit die Sinnlosigkeit des Hasses vor Augen. Durch Toto erleben wir das Ausmaß von Hass, ohne die Hoffnung zu verlieren, dass diese Welt nicht doch eine andere sein könnte.
Von Paula Steinbrenner
Sommer unter schwarzen Flügeln – Peer Martin
Die Geschichte klingt unfassbar kitschig, ist aber so viel mehr: Aus der Begegnung eines Neonazis und einer Geflüchteten aus Syrien entsteht eine Liebe, die jedoch alles andere als unkompliziert ist. Calvin trifft Nuri durch einen Zufall und wird wider Willen durch die Macht ihrer Erzählungen über ihre Kindheit im blühenden Damaskus in ihren Bann gezogen. Als er sie näher kennenlernt, beginnt er seinen Hass auf Ausländer*innen zum ersten Mal zu hinterfragen. Doch als Calvin aus der rechten Szene aussteigen will, wird es für die beiden gefährlich. Calvins Clique plant, das Geflüchtetenheim in Brand zu setzen und ist alles andere als begeistert, als sie merkt, dass Calvin sich mit Nuri trifft und Arabisch lernt. Calvin wird krankenhausreif geprügelt und bleibt dennoch bei seinem Entschluss, für Nuri alle Brücken zu seiner Vergangenheit hinter sich abzubrennen.
Die Geschichte von Calvin und Nuri zeigt, wie stark auf Menschengruppen bezogener Hass sein kann, der in Familie und Peergroup gelernt wurde – und wie dieser durch Begegnungen besiegt werden kann. Der Kontakt zu Menschen außerhalb seiner rechten Blase, insbesondere der zur Holocaust-Überlebenden Frau Silbermann und Nuris Familie, bewegt Calvin dazu, die Dinge anders zu sehen. Liebe ist stärker als Hass – das ist die simple, aber hoffnungsvolle Botschaft des Buches.
Von Josephine Haq Khan
“Women Don’t Owe You Pretty” – Florence Given
In ihrem Buch “Women Don’t Owe You Pretty” erkundet Florence Given Thematiken wie weibliche Selbstbestimmung, emotionalen Missbrauch, Diskriminierung, toxische Beziehungen, LGBTQ+ Erfahrungen und die Dekonstruktion von sozialen Normen und bricht diese auf 21 konstruktive „lessons learnt“ herunter. Dadurch bietet sie den Leser*innen neue Einblicke in eine Welt, in der Feminismus die Regel und nicht die Ausnahme ist. Das Buch ist ein Appell für die Selbstbestimmung aller Menschen, die sich als weiblich identifizieren. Wer sich einen Einstieg in feministische Literatur wünscht, dem kann ich das Buch nur wärmstens empfehlen.
Ich habe dieses Buch als Lektüre für das Motto „Gegen den Hass“ ausgewählt, da sich Given aktiv für das Empowerment von Frauen und ihre Befreiung von auferlegten Geschlechterrollen, sowie gegen Sexismus, internalisierte Misogynie, und Selbsthass ausspricht.
Von Anabel Rabe
Menschenwerk – Han Kang
Hass mündet oft in einer Form von Gewalt. Auf dieser Beobachtung basiert meine Empfehlung, den Roman „Menschenwerk“ von Han Kang zu lesen. Darin geht es um die Zerschlagung der Demokratiebewegung in der südkoreanischen Stadt Gwangju im Jahre 1980. Die Autorin belichtet den historischen Moment anhand der Perspektiven unterschiedlichster Menschen aus der Zeit. Dabei bedient sie sich nicht nur der Eindrücke und Empfindungen der Lebenden, sondern auch der Toten.
Der Roman Menschenwerk stellt gewaltvolle Taten in einer sachlichen und zugleich sehr bildlichen Sprache dar, die emotional zutiefst berührt und zum Nachdenken anregt. Dabei spielt die Autorin mit der Leser*in ein beeindruckendes Spiel aus Perspektivwechseln, welche im Laufe der Geschichte zunehmend zu einem großen Ganzen verschmelzen.
Hass tritt in vielen Formen auf: Dieser Roman befasst sich sowohl mit den physischen als auch psychischen Formen der Gewalt. Mit dem Werk der Autorin werden Leser*innen nicht nur die schrecklichen Folgen von Gewalthandlungen vor Augen geführt, sie erhalten auch Einblicke in die Gefühlswelt der durch Gewalt leidenden Menschen. Besonders in einem Zeitalter, in dem Menschen mit Hassnachrichten überschüttet werden, ist dieser Roman eine mahnende Erinnerung – daran, dass Wörter nur eine Vorstufe der grauenhaften Handlungen sind, welche andere bereits am eigenen Leib erfahren haben.
Von Sven Weßbecher
Born a Crime – Trevor Noah
Der Comedian Trevor Noah wird in den 80ern in einem Südafrika geboren, das sexuelle Handlungen zwischen schwarzen und weißen Menschen verbietet. Mit einem Vater aus der Schweiz und einer Mutter, die dem Volk der Xhosa angehört, basiert seine Existenz laut dem damaligen Apartheid-Regime auf einem kriminellen Akt – darüber hat er ein Buch geschrieben. Heute ist Trevor Noah in den USA Host der „Daily Show“, einer erfolgreichen politischen Comedy-Sendung.
„Born a Crime“ handelt von den Kindheitserfahrungen Noahs: Von seiner strengreligiösen Familie, unerwiderten Schwärmereien für Schulkameradinnen, seinem untreuen Hund Fufi und dem früh ausgeprägten Drang, durch Witze und teils waghalsige „Pranks“ anerkannt zu werden. Doch die Unbeschwertheit ist zerbrechlich: Immer wieder sind auch Gewalterfahrungen Teil seines Alltags, sie reichen von Beleidigungen auf dem Schulhof bis hin zu häuslicher Gewalt und einem bewaffneten Überfall. Geprägt werden die lustig bis todernst erzählten Anekdoten stets durch Noahs damaligen Status als „colored“ – nicht richtig schwarz, aber auch nicht richtig weiß.
Es geht um Identität und Zugehörigkeit, die selbst in einem ethnisch diversen Land schwer zu finden scheint. Es geht um die in sämtlichen Köpfen verankerte „Logik“ der Apartheid, die schon Kindern das Leben erschwert. Es geht um einen Jungen, der zwar kein Heilmittel gegen den Hass hat, aber ein Mittel, um daran nicht zu zerbrechen: seinen unerschütterlichen Humor.
Von Henrike Üffing