Eine Investmentbänkerin, eine Lehrerin, eine Putzfrau und neun weitere Frauen*: In ihrer Unterschiedlichkeit sind Evaristos Charaktere durch Verwandtschaft, Freund*innenschaft oder eine Arbeitsbeziehung miteinander verwoben. Was sie eint, ist die Erfahrung des Schwarzseins in London und die Hürden, die sie deshalb in den Weg gestellt bekommen. Doch sie haben alle ihre eigene Art damit umzugehen, andere Ideale, Ziele und Träume.
Da ist die Schauspielerin und Regisseurin Amma, die sich von der weiß dominierten Theaterwelt nicht unterkriegen lassen will und sich als lesbische Frau mit einem schwulen Freund den Wunsch nach einer Tochter erfüllt hat. Ebendiese Tochter Yazz, die sich mit ihrer außergewöhnlichen Familienkonstellation zurechtgefunden hat und nun mit ihren Freundinnen an der Uni besorgt den schwierigen Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt entgegenblickt. Ammas beste Freundin Dominique, die lange in einer toxischen Beziehung mit einer anderen Schwarzen Frau gefangen war und in einer feministischen Kommune in den Staaten, bis sie es schließlich schafft, der Freundin zu entkommen und nach London zurückkehrt.
Da ist Carole, die hart kämpft und arbeitet, um sich erst in Oxford und dann der Finanzwelt als Schwarze Frau aus einem armen Viertel zu behaupten. Ihre verwitwete Mutter Bummi, die sich und ihre Tochter mit Putzen durchbringt, für ihre Tochter zwar ein besseres Leben will und dann alles andere als begeistert ist, als ihre Tochter zwar erfolgreich, aber dabei auch immer englischer wird. Und Caroles Klassenkameradin LaTisha, die davon traumatisiert wurde, dass ihr Vater die Familie für eine andere Frau verließ und sich nun, Anfang 20, mit ihrem Leben als alleinerziehende Mutter von Kindern verschiedener Väter angefreundet hat und dabei motiviert ihre Karriereziele verfolgt.
Nicht nur die Geschichten selbst machen das Buch zu einer Lesefreude. Auch die Art, wie sie erzählt werden, ist besonders. Einen Punkt am Satzende sucht man*frau vergebens. So lesen sich die Geschichten in einem Rutsch, die Leser*in springt von einer Zeile in die nächste. Mal erzeugt das eine Atemlosigkeit, da die Geschehnisse sich zu überschlagen scheinen, um dann wieder ruhig und bedächtig zu werden. Die Lesegeschwindigkeit passt sich so ganz intuitiv an die Handlung an.
Mit Mädchen, Frau etc. gewann Evaristo 2019 als erste Schwarze Frau den Booker Prize und verhalf Evaristo auch in Deutschland endgültig zum Durchbruch. Die Profesorin für Kreatives Schreiben verfasste bereits mehrere Romane, zuletzt das autobiographische Buch „Manifesto. Warum ich niemals aufgebe“, das 2021 auch auf Deutsch erschien.
Im letzten Kapitel von Mädchen, Frau etc. kommen alle Charaktere zusammen, um die Premiere von Ammas neuestem Theaterstück zu sehen und sie zu feiern. Für jede Person bedeutet dieses Stück etwas anderes, aber sie alle sehen etwas darin, was sie berührt. Das Buch endet nicht nur mit einem Fest, es ist eines. Es feiert weibliche, queere und schwarze Emanzipation in all ihren Facetten. Absolute Leseempfehlung.
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