Zwischen Matsch und Rosen: das nicht ganz so verflixte 13. Maifeld Derby
Das Maifeld Derby findet seit 2011 am und im Reitstadion auf dem Maimarktgelände Mannheim statt. Der Sommer war noch nicht ganz auf dem Maifeld angekommen, was sich durch anhaltenden Sprühregen und Matsch bemerkbar machte, dem Festival jedoch keinen Abbruch tat.
Als „Best Small Festival 2023“ Europas hat das Festivalteam trotz begrenzter finanzieller Mittel einen besonderen Aufwand betrieben, um die Qualität der vergangenen Jahre aufrecht zu erhalten. Mit 66 Acts hat der Veranstalter Timo Kumpf, selbst Musiker bei „Get Well Soon“, ein diverses und volles Programm für das dreitägige Independent Festival kuratiert.
Das vielfältige Lineup war auf vier Bühnen verteilt: Edwin Rosen im Palastzelt, Altin Gün auf der Open Air Bühne, Oracle Sisters auf dem Parcours D’Amour oder Mannequin Pussy in der Arena 2. Die Musikredakteurinnen Loredana und Alina von uniCROSS waren das ganze Festival dabei und haben vier Bands zum Interview getroffen und zwölf Konzertberichte mitgebracht.
TAG 1
Róisín Murphy
Die irische Sängerin und Produzentin veröffentlichte 2023 nach 17 Jahren Pause ihr drittes und erfolgreichstes Studioalbum Hit Parade. Damit läutete sie auch eine ausgedehnte Tour ein. Die 50-Jährige hielt das Palastzelt-Publikum mit ihrer stimmlichen Stärke und mit gefühlt minütlichen Outfitwechseln à la Lady Gaga in Atem. Dazu kamen eindrucksvolle Bühnenrequisiten sowie eine Live-Kameraübertragung, in der sie voyeuristisch das Publikum filmte und somit den Spieß umdrehte.
Edwin Rosen
Einer der Headliner des Freitagabends war wohl einer der bekanntesten Vertreter der Neuen Neuen Deutschen Welle: Edwin Rosen. Mit seinem ersten veröffentlichten Song leichter//kälter Anfang 2020 trifft er – am Erfolg gemessen – genau ins Schwarze. Die Soundwelt zwischen New- und Dark-Wave, Post-Punk und Synth-Pop entsteht in Eigenproduktion. Als er die 5-Track EP mitleerenhänden 2021 veröffentlicht, ist klar: Edwins Musik und seine unverkennbare Stimme werden die NNDW erstmal prägen. Trotz einer handvoll Songs füllt er die Konzerthallen – oder in diesem Fall – das Palastzelt, in dem die meisten Konzertbesucher*innen auch textsicher waren. Die beiden neuen noch unveröffentlichten Songs können auf eine kommende EP oder ein Album hoffen lassen. Eins ist klar: Edwin nimmt sich in der schnelllebigen Musikindustrie Zeit für seine Sounds und authentischen Lyrics.
Royel Otis
Trotz bedeckten Himmels haben Royel Otis es geschafft, mit Indie-Rock mit Punk, Pop und Synth-Einflüssen die australische Sonne nach Mannheim zu bringen. Der Bandname ist so simpel und authentisch wie ihre Musik: Gitarrist Royel Maddell und Sänger Otis Pavlovic haben sich 2019 kennengelernt und schnell bemerkt, dass sie sich musikalisch auf einer Wellenlänge befinden. Nach ihrer ersten EP Campus (2021) folgte ein Jahr später der große Durchbruch mit dem Song Oysters in my Pocket. Vielen könnten die beiden also schon vor dem viral gegangenen Murder On The Dance Floor-Cover von Sophie Ellis-Baxtor aufgefallen sein. Während die Studioaufnahmen ein bisschen klingen, wie in Watte eingepackt, kam der synthige Gitarrensound live richtig gut an und brachte die Crowd ausnahmslos zum tanzen.
Orbit
Marcel Heym alias Orbit floh aus der vereinnahmenden Hauptstadt und ging zurück in seine Heimat nahe Bremen, um dort an seinem elektronischen Künstlerprojekt als Producer und Songwriter zu arbeiten. Seine Debüt-EP Perspectives erschien 2020, erst letztes Frühjahr erschien die dritte EP Sunday By The River. Passend zum letzten Slot des Festivalauftakts bringt er den Sternenhimmel ins Palastzelt. Orbit schafft mit seinen Indietronica-Songs ein immersives Erlebnis. Über ein Dutzend Glasfaserlampen leuchteten während des Sets in den unterschiedlichsten Farben auf, während die rauen, akustischen Klänge mit atmosphärischen Synthies ertönten.
Babe Rainbow
Die Surferboys aus Australien machten auf ihrer Europatour einen extra Stopp in Mannheim. Ihre Soundwelten sind von Diversität geprägt: 1960er Psychedelic Rock, Disco-Surf-Funk und auch ein paar lateinamerikanische Einflüssen, die der venezolanische Bassspieler beigesteuert hat, lassen die eher Downbeat-artigen und soften Tracks nicht langweilig werden. So brachten sie am eher lethargischen, grauen Freitagnachmittag die Crowd zum harmonischen, verträumten Tanzen.
TAG 2
Roosevelt
Der Kölner Multiinstrumentalist Roosevelt ist mittlerweile schon seit zehn Jahren mit seiner immer wechselnden Band unterwegs. Vorher spielte er als Drummer, wurde DJ und tourte schließlich mit Band. Dabei wurde er ziemlich Big in Japan und spielt mittlerweile so viele Touren außerhalb Europas, besonders in den USA, dass man ihn in Deutschland nur selten zu Gesicht bekommt. Die Nähe zu den USA macht sich auch in der Bandbesetzung bemerkbar: Er tourt u.a. mit Drummer Rex DeTiger, dem Bruder der in 2020 viral gegangenen Bassspielerin Blu DeTiger. Roosevelt legte ohne große Worte eine einwandfreie Performance hin und verzauberte das Publikum im lila erleuchteten Sprühregen mit Songs aus seinem letzten Album Embrace, aber auch mit Roosevelt-Klassikern aus 2016.
Arc de Soleil
Zum Maifeld Derby ist der schwedische Multiinstrumentalist Daniel Kadawatha zum ersten Mal in Deutschland. Erst zum zweiten Mal tritt der Künstler gemeinsam mit Band auf. Schon nach dem ersten Song wird klar: Die Gitarren sind hier die treibende Kraft und verschmelzen mit psychedelischem Funk zu einem instrumentalen Erlebnis, das fast ohne Gesang auskommt und das Publikum überwältigt.
Arc de Soleil im Interview (english version)
Oracle Sisters
Nachdem Lewis, Christopher und Julia über ein halbes Jahr nicht mehr aufgetreten sind, kamen die Oracle Sisters direkt aus Paris nach Mannheim und stiegen würdevoll zurück ins Tourleben ein. Mit ihrer Mischung aus Dream-Pop, Rock ‘n’ Roll und Psychedelic überzeugten sie schnell auch diejenigen, die noch keine eingefleischten Fans waren. Die in den letzten Monaten aufgestaute Energie der Tourpause machte sich bemerkbar: Der bestuhlte Parcours d’Amour hinderte die Zuschauer*innen nicht daran, bei den letzten Nummern aufzustehen und gelöst vor der Bühne zu tanzen. Spätestens bei ihrem letzten Song RBH gab es kollektive Standing-Ovations.
Lewis und Christopher von Oracle Sisters im Interview (english version)
TAG 3
ΣTELLA
Mit der Künstlerin ΣTELLA kommt zum ersten Mal ein Act aus Griechenland auf das Festival. Dafür bringt ΣTELLA nicht nur ein paar Sonnenstrahlen am letzten Festivaltag mit, sondern auch ihren aus den 50er und 60er Jahren inspirierten griechischen Folk-Pop, der mit New Wave und Psych-Pop Einflüssen zur idealen tanzbaren Musik wird.
ΣTELLA im Interview (english version)
Altin Gün
Wer Weltmusik schätzt, kennt sie schon lange: Die Amsterdamer Psych-Folk Band leitete als Headliner zum Abschluss des Festivals auf der Open Air Bühne am Sonntagabend ein. Altin Gün kleidet traditionelle Volkslieder in zeitgenössischen Psy-Rock. Für langjährige Fans dürfte während der Show auch ein Funken Melancholie mitgeschwungen sein: Altin Gün traten zum ersten Mal ohne die langjährige Sängerin Merve Dasdemir auf, die schon im Februar angekündigt hatte, sich ab Juni auf andere Projekte zu fokussieren. Das tat der Show jedoch keinen Abriss: Die Abendsonne erleuchtete das mit goldenen Tüchern geschmückte Bühnenbild und Sänger und Baglamaspieler Erdinç Ecevit Yıldız gab die Songs getreu der Studioversionen zum Besten. Die gedrückte Stimmung der Band wegen des Ausstiegs von Merve und einem familiären Trauerfall machte sich bemerkbar: Ohne Zugabe und viele Worte zogen sie sich zurück, ernteten dennoch tosenden Applaus.
Nusantara Beat
Die Amsterdamer*innen Nusantara Beat beleben neben Altin Gün die Psych-Folk-Szene, indem sie traditionelle indonesische Musik des 20ten Jahrhunderts mit modernen Sounds paaren. Als Newcomer*innen begeisterten sie als Opener am Sonntagmittag auch diejenigen, denen Nusantara Beat noch gar kein Begriff war.
Mehr über die sechs jungen Musiker*innen mit indonesischen Wurzeln könnt ihr im Interview erfahren, das wir spontan am Sonntagnachmittag mit ihnen geführt haben.
Nusantara Beat im Interview (english version)
Slowdive
Nach 2017 tritt Slowdive schon zum zweiten Mal auf dem Maifeld Derby auf. Mit ihrem neuen Album Everything Is Alive, was hierzulande in die Top 10 eingestiegen ist, war es eines der größten und unerwartetsten Comebacks des Jahres. Die dazugehörige Tour war natürlich ausverkauft und das machte sich auch an der hohen Besucher*innenzahl am Sonntag bemerkbar: Das gesamte Palastzelt füllte sich trotz zwei parallel spielender Bands schlagartig und ließ alle Shoegaze-Herzen höher schlagen.