“Man muss nicht immer aktiv und freudvoll sein”
Mit dem trüben Wetter kann bei manchen auch die gedrückte Stimmung wiederkommen, die sie schon von vergangenen Wintern kennen. Viele fragen sich: Ist das noch normal oder schon eine Winterdepression? Emma hat darüber mit dem Psychiater Prof. Dr. Claus Normann von der Uniklinik Freiburg gesprochen.
Die Tage werden kürzer und dunkler – vielen Menschen schlägt das aufs Gemüt. Man ist schneller müde, hat weniger Antrieb und fühlt sich vielleicht niedergeschlagen, auch wenn es scheinbar keinen besonderen Grund dafür gibt.
Wenn diese Stimmung länger anhält, beginnen sich einige zu fragen, ob sie vielleicht eine Winterdepression haben könnten. Prof. Dr. Claus Normann, Oberarzt für Psychiatrie und Psychotherapie in der Uniklinik Freiburg, erklärt:
“Von einer Winterdepression spricht man, wenn die Depression wirklich ausschließlich im Winter auftritt. Der Oberbegriff ist Seasonal Affective Disorder. Es kann auch eine Sommerdepression geben, was aber äußerst selten ist.“
Man gehe aber davon aus, dass nur jede zehnte Depression, die im Winter auftritt, eine wirkliche Winterdepression ist. Depressionen seien häufige Erkrankungen, die zu jeder Jahreszeit auftreten können. Der Hauptauslöser für Depressionen sei Stress, ob akut oder durch länger zurückliegende Traumatisierungen bedingt, und dieser sei jahreszeitenunabhängig.
Winterdepressionen sind selten
Die Annahme, im Winter träten Depressionen häufiger auf, hält Normann für einen Mythos: “Ich werde häufig bei Partyunterhaltungen gefragt, ob wir in dieser Jahreszeit Hochsaison haben.” Er habe allerdings nie registriert, dass im Herbst und Winter mehr depressive Menschen kämen.
Viel häufiger als die Winterdepression sei der Winterblues, bei dem die Betroffenen nicht die Kriterien einer Depression erfüllen: “Betroffene sind nach der psychiatrischen Klassifikation nicht schwer depressiv, aber zum Beispiel vermehrt müde, haben weniger Antrieb, Dinge zu tun, und fühlen sich insgesamt schlechter.“
Für diese Symptome gebe es eine biologische Erklärung. “Den Winterblues kann man dadurch erklären, dass es in der dunklen Jahreszeit weniger Licht gibt, wodurch mehr Melatonin produziert wird”, sagt Normann.
Melatonin ist das Hormon, das den Schlafrhythmus regelt und müde macht. Seine Ausschüttung wird durch die Lichteinstrahlung beeinflusst. “Wenn es, egal in welcher Jahreszeit, abends dunkel wird, steigt Melatonin an. Dadurch bekommt der Körper das Signal, sich hinzulegen und zu schlafen.“
Weil es im Winter länger dunkel ist, produziert der Körper mehr Melatonin, und man fühlt sich häufiger müde. “Das kann dazu führen, dass man einen verminderten Antrieb hat und sich schlechter fühlt, weil man sich darüber ärgert, dass man müde ist”, sagt Prof. Dr. Normann.
Das bedeute allerdings nicht, dass man eine psychische Erkrankung habe. “Dieser Winterblues ist etwas normales Physiologisches, was nicht alle, aber viele Menschen haben. Das muss man klar abgrenzen von der Winterdepression. Eine Depression ist eine schwere, behandlungsbedürftige Erkrankung.“
Kriterien der Depression
Bei der Diagnose einer Depression gibt es bestimmte Kriterien, die erfüllt werden müssen: Es gibt Haupt- und Nebensymptome, von denen jeweils mindestens zwei erfüllt sein müssen, und das über zwei Wochen hinweg oder länger.
Die drei Hauptsymptome, die die Deutsche Depressionshilfe anführt, sind der Verlust von Interesse und Freude, depressive Stimmung und verminderter Antrieb. Mögliche Zusatzsymptome können unter anderem verminderte Konzentration, geringeres Selbstwertgefühl, Schuldgefühle oder Suizidgedanken sein. Je nach Anzahl und Schwere der Symptome wird zwischen leichter, mittelgradiger und schwerer Depression unterschieden.
Normann sagt: “Ich finde es wichtig, aus einem eigentlich normalen physiologischen Zustand wie dem Winterblues keine schwere Erkrankung zu machen. Man muss nicht immer aktiv und freudvoll sein. Es ist normal, dass die Stimmung mal ein bisschen schwankt.”
Wenn dieser Zustand aber schlimmer werde und über eine längere Zeit andauere, könne es sein, dass man tatsächlich unter einer Winterdepression leide. Dabei gebe es, im Gegensatz zur “normalen” Depression, einige Besonderheiten: “Winterdepressionen sehen häufig anders aus als die üblichen Depressionen. Oft schlafen die Betroffenen mehr als üblich. Bei einer normalen Depression gibt es eher Schlafstörungen, also zum Beispiel frühes Erwachen und Schwierigkeiten beim Durchschlafen. Die Schlafdauer ist deutlich reduziert, während sie bei einer Winterdepression erhöht ist.“
Bei einer normalen Depression haben die Menschen außerdem oft eine Appetitstörung, während es bei einer Winterdepression häufig ein “Kohlenhydrate-Craving” gebe und die Betroffenen Essanfälle oder mehr Lust auf Süßigkeiten haben, sagt Prof. Norman.
Energielosigkeit bei Winterdepression
Ein weiteres für die Winterdepression spezielles Zusatzsymptom sei die “bleierne Schwere”: “Es fühlt sich an, als seien der Körper und die Extremitäten wie von Blei beschwert, man ist völlig energielos und hat gar nicht die Möglichkeit, aktiv zu werden. Bei einer unipolaren Depression ist das eher eine Kopfsache, dass man keinen Antrieb hat, während es sich bei der Winterdepression um ein körperliches Gefühl handelt.“
Diesen Zustand der Winterdepression, der sich von der normalen Depression unterscheide, nenne man atypische Depression. Prof. Norman weist darauf hin, dass sie auch anders zu behandeln sei. Im Gegensatz zur unipolaren Depression wirken bei einer Winterdepression Antidepressiva deutlich schlechter. Auch Psychotherapie, in der man auf dysfunktionale Denk- und Verhaltensmuster eingehe, verbessere laut Normann die Symptome einer Winterdepression schlechter.
Lichttherapie als Behandlung
Eine ursächliche Therapiemöglichkeit sei Licht. „Wenn von außen zu wenig Licht kommt, sollte man künstliches Licht zuführen, weshalb die Lichttherapie die entscheidende Therapieform ist.“
Für die Lichttherapie gebe es spezielle Tageslichtlampen, die meistens eine Lichtstärke von mindestens 10.000 Lux haben. In eine solche Lampe sollte man morgens mindestens eine halbe Stunde hineingucken, und das möglichst gleich nach dem Aufstehen.
Vorbeugung eines Winterblues
Was aber kann man tun, damit es gar nicht erst zu einem Winterblues oder einer Winterdepression kommt?
Auch gegen den Winterblues könne eine Tageslichtlampe helfen, sagt Prof. Normann. Weitere Empfehlungen sind zum Beispiel, einen morgendlichen Spaziergang zu machen, denn sogar an bedeckteren Wintertagen beträgt die Lichtstärke draußen 2.500 Lux, während sie in Innenräumen nur bei 500 bis 600 Lux liegt.
Zur Vorbeugung des Winterblues rät Normann, eine Tagesstruktur einzuhalten: “Sowohl der Winterblues als auch die Winterdepression ist eine Störung des biologischen Rhythmus. Es gibt verschiedene Taktgeber der biologischen Rhythmen, und die kann man durch eine äußere Struktur einigermaßen aufrechterhalten.“
Dazu können gehören, zur gleichen Uhrzeit aufzustehen und zu essen, aber auch regelmäßige Termine und Verabredungen. Auch wenn es manchmal schwerfällt: Wichtig ist es, auch im Winter Aktivitäten beizubehalten, die Spaß machen und guttun.
Hilfsangebote
Wenn du denkst, dass du eine Winterdepression oder eine Depression haben könntest, wende dich bitte an eine der folgenden Stellen:
Die erste Anlaufstelle ist in der Regel die Hausärzt*in, die Licht in das Dickicht der Hilfsangebote bringen kann.
Beratung gibt es beim Freiburger Bündnis gegen Depression e.V.: fbgd.org
In akuten Notfällen steht 24h/Tag die Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Freiburg zur Verfügung: Tel. 0761/270 65010.
Verwendete Quellen: