Mein zweites Herz
Obdachlose und ihre Hunde haben eine enge Beziehung. Sie sind Zuhörer, Beschützer und Freund. Jakob von uniCROSS hat mit drei Menschen von der Straße über ihre Tiere gesprochen.
Obwohl Pascal Lechner kein Zuhause hat, ist er leicht zu finden. Freiburger Fußgängerzone, direkt vor Karstadt, tagein, tagaus. Mit seinem Zeichenblock vertreibt sich Lechner die Zeit. Bringt etwas Farbe in den grauen Alltag. Währenddessen huschen geschäftige Fußgänger an ihm vorbei. Instinktiv umkurven sie den Mann auf der blauen Isomatte. Doch Pascal Lechner lässt sich davon nicht beirren. Denn er hat einen Partner, der nicht von seiner Seite weicht und jederzeit sein Leben für ihn geben würde: Schäferhund Sydney.
Zwar gibt es keine genauen Zahlen, doch es ist offenkundig, dass Obdachlose häufig auch Hundehalter sind. Es ist ein sonniger Tag in der Freiburger Innenstadt. Björn Gondesen hat seine Decke in der Nähe des Bertoldsbrunnen ausgebreitet. Im Gespräch wird klar, dass sein Hund, wie für viele andere Obdachlose, nicht bloß ein Haus- oder Nutztier ist. Während er seiner Hündin Nala durchs Fell streicht, hat er ein Lächeln auf den Lippen. „Sie ist mein zweites Herz“ sagt er. Von ihren alten Besitzern sei die Hündin misshandelt worden. Da habe er sie einfach mitgenommen. Seitdem sind die beiden unzertrennlich.
Einige Straßen weiter am Theater sitzt Ursula Schlagiter und verkauft die Obdachlosenzeitung „Freie Bürger“. Ihren Hund Rex fand sie in einem Gleisbett in Italien. Die Mutter hatte den Welpen verstoßen, woraufhin Schlagiter ihn kurzerhand an sich nahm. Die heute 50-Jährige wurde als Kind selbst von ihrer Mutter verlassen, richtig um sie gekümmert hat sich keiner. Umso bemerkenswerter ist es, wie ernst sie die Verantwortung ihrem Hund gegenüber nimmt. Ähnliche Geschichten erzählen auch viele andere obdachlose Hundeliebhaber.
Diese Verantwortung kann zu einer schweren Last werden. Futter und Tierärzte sind teuer für Menschen ohne festes Einkommen, fast unbezahlbar. Unterernährt seien die Tiere dennoch so gut wie nie, erzählt eine Mitarbeiterin der Kleintierklinik Frank. Sie arbeitet häufig mit dem Verein “Abseits e.V.” zusammen, der wohnungslose Hundebesitzer unterstützt.
Letztendlich seien aber die Besitzer selbst für die gute Verfassung ihrer Tiere verantwortlich. Beispielhaft dafür ist Pascal Lechner. Jeden Tag bekommt sein Sydney zwei Kilo Futter zubereitet, im Sommer trägt Lechner stets das Vierfache an Wasser mit sich und im Winter teilt er sich Isomatte und Decke mit dem Vierbeiner. In gewisser Weise sei der Hund Segen und Fluch, so Lechner. Das Sozialamt hatte dem 39-Jährigen eine Wohnung gestellt. Hunde waren dort aber nicht erlaubt. Lechner würde aber niemals seinen Sydney gegen eine Wohnung tauschen. Selbst bei minus 17 Grad schläft er lieber auf der Straße, als seinen Hund auch nur für eine Nacht ins Tierheim zu geben.
All das nimmt Lechner gerne auf sich. Sydney ist nicht bloß ein Hund, sondern Familie. Davon berichtet auch Schlagiter. Als Jugendliche war sie aus ihrem schwierigen Elternhaus nach Italien geflüchtet. In ihrem Schäferhund Rex fand sie nicht nur einen Beschützer, sondern auch eine seelische Stütze. „Wie eine Ehe“, sei ihre Beziehung gewesen. Leider verstarb Rex im Januar. Seitdem sammelt Schlagiter Spenden, um Urne und Überführungskosten des Leichnams zu bezahlen. Ihrem Rex zu Ehren möchte sie einen kleinen Schrein errichten.
Trotz solcher Geschichten werden wohnungslose Hundebesitzer oft vorverurteilt. Die Hunde würden zum Betteln missbraucht werden oder unter dem Straßenleben leiden. Fälle wie diese gibt es laut Schlagiter schon, doch die meisten Obdachlosen hätten ihre Hunde der Gesellschaft wegen. So würde auch sie alles für ihren Hund tun, erst recht, wenn er krank wird. Dann heißt es eben Klinken putzen, bis sich ein Weg findet, die Behandlung zu bezahlen.
Pascal Lechner meint, dass sein Hund aus ihm sogar einen besseren Menschen gemacht habe. Wegen mehrfacher Körperverletzung saß er fünf Jahre im Gefängnis. „Ich habe nie Probleme damit gehabt, anderen Leuten weh zu tun“, erzählt er. Seit er mit Sydney unterwegs ist, habe sich das Blatt peu à peu gewendet.
Lechner hatte mit Depressionen zu kämpfen, als er in die Wohnungslosigkeit abdriftete. Zu dieser Zeit war der große Schäferhund enorm wichtig für ihn: „Wenn du die Augen morgens aufmachst und jemand da ist, hast du einen Grund weiterzumachen.“
Die Erziehung des Hundes nahm eine immer größere Rolle in seinem Leben ein. Schlägereien waren fortan tabu. Schließlich wollte er dem Hund ein gutes Vorbild sein und ihn keiner unnötigen Gefahr aussetzen. Zudem habe er von Sydney gelernt, auf seinen Instinkt zu hören. Früher suchte er die Konfrontation, heute umkurvt er sie gekonnt.