„Möchte man richtig Geld verdienen, muss man eigentlich Handwerker werden“
Immer mehr Schüler*innen zieht es nach dem Abschluss an die Uni, viele Lehrstellen bleiben hingegen unbesetzt. Ein Experte der Industrie- und Handelskammer sieht darin eine Abwertung von Hochschulabschlüssen und berichtet von Nobelkarossen auf der Handwerksmeister-Feier.
Im Jahr 1992 begannen noch 600.000 Auszubildende eine berufliche Ausbildung in Deutschland. Im Jahr 2020 waren es, dem Bevölkerungswachstum der Bundesrepublik zum Trotz, nur noch 466.000 Azubis, so das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB). Die Universitäten in Deutschland verzeichnen derweil einen Anstieg von Studienanfänger*innen: Im Jahr 1992 schrieben sich etwa 300.000 Personen an einer Hochschule ein. Im Jahr 2020 waren es laut BiB insgesamt 490.000.
„Zuletzt ist die Zahl der Studienanfänger durch den Einfluss der Corona-Pandemie etwas gesunken“, sagt Simon Kaiser, Geschäftsführer Aus- und Weiterbildung der Industrie- und Handelskammer (IHK) Südlicher Oberrhein. Die Akademisierung bleibe dennoch spürbar. Diese Entwicklung habe laut Kaiser auch mit dem Selbstverständnis von Gymnasien zu tun. Ursprünglich war die Schulform gedacht, um Abiturient*innen auf ein Hochschulstudium vorzubereiten – im Schnitt 15 bis 20 Prozent der Absolvent*innen. „Inzwischen haben wir in Freiburg Übergangsquoten von Grundschulen auf Gymnasien zwischen 60 und 70 Prozent“, sagt Kaiser.
Diese Entwicklung sei problematisch. „Das passt nicht zur Nachfrage am Arbeitsmarkt“, erklärt der Experte. Laut Kaiser hat der Abiturient*innen-Anteil bei Azubis, in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen: Etwa jeder fünfte Azubi bei der IHK im Bereich Südlicher Oberrhein habe die allgemeine Hochschulreife.
Laut der Bundesagentur für Arbeit gab es im Juni noch etwa 256.000 unbesetzte Ausbildungsplätze. Die steigende Anzahl von Studierenden führe laut Kaiser zu „einer Abwertung von Studienabschlüssen“. Das wirke sich auch auf das Gehaltsgefüge aus. „Früher hatten wir immer den klaren Unterschied: Jemand mit Hochschulabschluss hat per se besser verdient als jemand, der über eine Berufsausbildung kam. Das ist pauschal nicht mehr so“, betont Kaiser.
Die Abwertung von Studienabschlüssen habe Auswirkungen auf zahlreiche Branchen: „Auch in der Gastronomie oder auch in Berufen, in denen typischerweise nicht so gut verdient wurde, steigen die Gehälter in der Tendenz“. Der starke Mangel an Fachkräften bedeute gute Chancen für Berufseinsteiger.
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Die Akademisierung hat bereits zu einer Transformation von Ausbildungsberufen geführt: Unternehmen bieten oft duale Studienplätze an, um Ausbildungsplätze attraktiver zu gestalten. „Das sind im Grunde dieselben Stellen, die dahinterstecken. Aber man nimmt jetzt eben andere Qualifizierungsmaßnahmen“, erklärt Kaiser. Das Prädikat „Studium“ sei ein starker Anreiz für junge Leute: „Es ist per se attraktiver, wenn Studium draufsteht.“
Timo hat eine mutige Entscheidung getroffen
Er hat sein Studium abgebrochen und absolviert nun eine Ausbildung zum Fachinformatiker. Im Interview berichtet er von dem Prozess.
Lohn hängt auch vom jeweiligen Studienfach sowie Ausbildungsberuf ab. Kaiser findet: „Möchte man richtig Geld verdienen, muss man heute eigentlich Handwerker werden. Die Leute sind auf das Handwerk angewiesen und dann wird es auch bezahlt.“ Er berichtet von der Meisterfeier der Handwerkskammer: „Das beste Image-Video, das man drehen kann, wäre mit der Kamera über den Parkplatz zu laufen. Da stehen eigentlich nur Nobelkarossen und große SUV, die dicksten Autos.“
Eine Gemeinschaftsproduktion von Johanna Stortz, Lilian Towae und Maja Sagan im Rahmen des Seminars „Einführung in den crossmedialen Journalismus“ für Studierende der Medienkulturwissenschaft. Seminarleitung, Redaktion: Ada Rhode, Andreas Nagel, Philip Thomas.
Infos
Die Zentrale Studienberatung (ZSB) der Uni Freiburg berät Studierende bei allen Problemen und Fragen rund ums Studium. Auf der Veranstaltungsseite des Service Center Studium findest du Workshop-Angebote, unter auch zum Thema “Weiter geht´s?! Vom Studienzweifel zu einer guten Entscheidung”.