Naturoasen in der Stadt
Wie Kräuter zwischen Pflastersteinen verstecken sich Naturparzellen zwischen Betonwäldern deutscher Städte. Klein- oder Schrebergärten sind Orte der Erholung. Das Kleingartenwesen gehört zur deutschen Kultur: Fast eine Million Gärten gibt es in Deutschland. Auch in Freiburg spielen solche erholsamen Naturoasen eine wichtige Rolle.
Wochenende, Sonne und Tatendrang: Alle Bedingungen sind erfüllt, um sich im Schrebergarten an die Arbeit zu machen. Auf dem Gelände der Gartenfreunde Freiburg-West ist schon viel los. Es liegt zwischen Dreisam, Bissierstraße, Berliner Allee und den Bahnschienen. Aus den Gärten wächst die Vegetation bis in die Wege. Die angrenzenden grauen Häuser aus Beton sind kaum zu sehen. Einige Pächter grillen, arbeiten oder ruhen sich in der Sonne aus. Ab und zu rauscht eine Straßenbahn vorbei.
Die Sonnenstrahlen brennen auf die Haut von Christian, 33, und Caro, 38. Schwitzend gräbt das junge Paar an einem Loch und entfernt Unkraut. Laute Rap-Musik gibt den Rhythmus vor. Der rosafarbene Lautsprecher hängt an einem Betonpfosten. Was zieht sie hierhin? „Einfach so ein bisschen auspowern. Ein bisschen an die frische Luft kommen. Man kann zusammenkommen und mit der Familie grillen. Man kann sein eigenes Gemüse und Obst anpflanzen und weiß, wo es herkommt“, meint Christian. Die beiden arbeiten in der Verkehrstechnik und verbringen die ganze Woche im Büro. „Eigentlich hat es während der Corona-Pandemie angefangen, weil man mit den Kindern nirgendwo mehr hinkonnte. Und dann hatten wir Glück, dass wir das hier bekommen konnten“, ergänzt Caro. In ihren Schrebergarten kommen sie so oft wie möglich: „Wenn das Wetter gut ist, auf jeden Fall zwei-, dreimal die Woche oder sogar mehr“, lächelt Christian.
Einen Steinwurf weiter ist es zwar ruhiger, aber nicht weniger arbeitsam. Lisa ist eine junge Krankenpflegerin und kommt gerade aus der Frühschicht. Mit ihrer Mutter pflanzt sie Tomaten. Inwiefern haben die Schrebergärten ihren Blick verändert? „Meine Beziehung zu Gemüse und Lebensmitteln im Allgemeinen“, meint Lisa. „Wenn man einkauft, hat man immer diesen Überfluss an Gemüse und Obst“. Mit dem Gärtnern merke sie, „wie viel Arbeit das ist, Tomaten anzubauen und wie viel Wasser das braucht“.
Die Schrebergärten werden jünger
In den Gärten sieht man nicht nur Rentner*innen bei der Arbeit. „Im Moment erleben wir einen Generationswechsel“, meint Wolfgang Vögele, Vorsitzender des Vereins der Gartenfreunde Freiburg-West. „Im letzten Jahr haben verhältnismäßig viele Gärten ihre Besitzer gewechselt, weil die Leute älter geworden sind und ihren Garten nicht mehr bewirtschaften konnten“, erklärt der leidenschaftliche Gärtner. Mehr junge Pächter*innen hätten die Gärten jetzt angenommen.
Dieses Phänomen zeigt sich auch in Statistiken: Der Anteil derjenigen, die sich vorstellen können, einen Kleingarten zu betreuen, ist demnach bei den 18 bis 24-Jährigen mit Abstand am höchsten.
„Man lernt, viel mehr auf die Natur zu schauen“
Das steigende Interesse ist nicht nur dem billigen und gesunden Obst und Gemüse zu verdanken. Dahinter steckt auch der Wunsch, sich mehr mit der Natur zu verbinden. „Man lernt, viel, viel intensiver auf die Natur zu schauen“, versichert Wolfgang Vögele. „Was macht die Natur mit uns? Beziehungsweise wie verändert sich die Natur? Das merkt man daran, dass bestimmte Pflanzen nicht mehr wachsen“, betont er. Respekt gegenüber der Natur erfordert auch Maßnahmen. Der Verein hat beispielsweise beschlossen, LED-Teelichter zu verbieten. Das verursache Lichtverschmutzung, was die Paarung von Glühwürmchen verhindere. Und „Glühwürmchen sind die natürlichen Feinde der Schnecken“, die das Gemüse fressen.
Schrebergartenexperte Stefan Leppert sieht das ebenfalls so: Für ihn ist es wichtig, dass „die Kinder dann auch mal sehen, dass die Kartoffel in der Erde wächst und nicht an Bäumen hängt. Dass wir dann Kontakt zu dem pflegen, was man jetzt als Nahrung bezeichnen kann und mal sehen, wie das wächst, sie also eine Naturverbundenheit auch erleben“, betont der Gärtner aus Münster.
Die sozialen Funktionen von Schrebergärten
Entstanden sind die Schrebergärten in Leipzig, zur Zeit der Industrialisierung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Der Orthopäde Moritz Schreber legte die „erste öffentliche Spielwiese an, damit sie heraus kamen aus den immer enger werdenden Straßen und schmuddeligen Hinterhöfen, ins Grüne, an die frische Luft. Spielmöglichkeiten und frische Luft waren für die Kinder in den sich rasant industrialisierenden Städten eher Mangelware“, schreibt Stefan Leppert in seinem Buch Paradies mit Laube. Erst im Jahr 1864, „drei Jahre nach Schrebers Tod wurde der erste Schreberverein gegründet“. Solche Anlagen haben sich von da aus in anderen Städten entwickeln. Mit von nun an einem bestimmten Ziel: „dass sich die Arbeiter an der frischen Luft bewegen und ihr eigenes Gemüse anbauen können“, erklärt Stefan Leppert.
Auch wenn es heutzutage bei den Gärtnern immer weniger Arbeiter*innen gibt, hat sich diese soziale Funktion bis heute fortgesetzt. „Im Bundeskleingartengesetz ist auch der soziale Gedanke verankert, dass auch Familien mit geringem Einkommen sich einen Schrebergarten leisten können“, erklärt Wolfgang Vögele. Integration und Solidarität seien ebenfalls Schlüsselbegriffe bei den Kleingärtner*innen. Nicht nur ein Begegnungsraum für Mensch und Natur, sondern auch für Menschen.
Gezähmte Natur: Ameisen, Bienen, Wald und Schrebergärten
Beuten wir sie aus, pflegen wir sie, genießen wir sie? Was wollen wir Menschen von der Natur? Wie passen wir uns an und wie muss sich die Natur an uns anpassen? Unsere Beziehung zur Natur hat viele Gesichter. Wir haben uns verschiedene Beispiele in Freiburg angesehen.
Eine Crossmedia-Produktion von deutsch-französischen Journalistikstudierenden.