Julius, du bist Rettungsschwimmer und hast mehrere Jahre als Bademeister in Freibädern gearbeitet. Wie bist du dazu gekommen?
Früher habe ich mit meiner Familie neben einem Schwimmbad gewohnt. Deshalb waren wir fast jeden Tag im Schwimmbad. Als ich mit dem Abi fertig war, habe ich nach einer Möglichkeit gesucht, Geld zu verdienen. Ein paar Leute sind dann in die Gastro gegangen, mein Ding war das aber nicht. Ich habe mich bei der Stadt für einen Job im Schwimmbad beworben, weil es ein städtisches Schwimmbad ist. Seitdem mache ich das eigentlich jeden Sommer. Dieses Jahr ist aber die Corona-Situation dazwischen gekommen.
Wie wird man denn Bademeister*in?
Mein Job heißt eigentlich nicht „Bademeister*in“, sondern ich bin eine Aushilfskraft. Ausgebildete „Bademeister*innen“ heißen eigentlich „Fachangestellte*r für Bäderbetriebe“ und haben in ihrer Ausbildung auch Kurse zu Schwimmbadtechnik oder Chemie.
Um als Aushilfe zu arbeiten, muss man einen Erste-Hilfe-Kurs machen, mindestens 18 Jahre alt sein und ein DLRG-Rettungsschwimmer*innen-Abzeichen Silber haben. Das Rettungsschwimmer*innen-Abzeichen kann übrigens jede*r gebrauchen!
Im Moment bei über 30 Grad gehen viele Leute in Badeseen, Flüssen oder Schwimmbädern schwimmen. Was da oft unterschätzt wird, ist die Gefahr zu ertrinken. Letztes Jahr sind mehr als 400 Menschen in Deutschland ertrunken. Wie kommt es überhaupt dazu, dass Menschen ertrinken?
Die Zahlen der Toten durch Badeunfälle in Deutschland haben sich relativ stabil gehalten in den letzten Jahren. Das schwankt immer ungefähr zwischen 400 bis 500 Toten pro Jahr. Das sind 500 Personen zu viel, denn jeder Badeunfall ist vermeidbar.
Wie Badeunfälle passieren, ist unterschiedlich in verschiedenen Altersgruppen. Besonders gefährdet sind Kleinkinder. Die Nummer-1-Ursache für Badeunfälle bei Kleinkindern ist, dass ihre Eltern beziehungsweise die Betreuungspersonen unaufmerksam sind. Es ist wichtig, dass man Kinder nicht aus den Augen lässt, auch wenn sie schon ein bisschen schwimmen können. Besonders gefährlich sind da bewegte Gewässer, zum Beispiel das Meer oder Strömungsgewässer.
Eine weitere gefährdete Altersgruppe sind Jugendliche. Bei ihnen spielt oft die Gruppendynamik eine Rolle. Man will den weitesten Sprung machen und schlägt am Beckenrand auf. Das sind die Badeunfälle, die man am ehesten mitbekommt, weil es den anderen aus der Gruppe sofort auffällt.
Das führt uns dann zur letzten Gruppe, den älteren Badegästen. Ich habe zwei Mal mitbekommen, wie Senioren untergegangen sind. Man denkt, dass man das ja aus Filmen kennt: Jemand ertrinkt, die Person schreit und zappelt wild. Das war in den Fällen überhaupt nicht so. Sie sind einfach so untergegangen.
Das kann mehrere Gründe haben. Die Personen sind entkräftet und können nicht mehr weiter schwimmen. Was sie daran hindert, auf sich aufmerksam zu machen, ist der Atem-Reflex. Man kann nicht gleichzeitig um Hilfe rufen, zappeln und dazu noch atmen. Und natürlich ist der Reflex zu atmen deutlich stärker als der zu schreien.
Du hast gesagt, dass es meistens gar nicht auffällt, wenn jemand untergeht. Aber was sind Anzeichen, an denen man erkennen kann, dass man selbst oder andere Menschen möglicherweise kurz davor sind zu ertrinken?
Also aus eigener Perspektive ist es sinnvoll, seine Kraft richtig einzuschätzen. Das heißt, wenn man sich schlapp fühlt, sollte man einfach eine Runde warten, bis man die nächste Bahn antritt. Man sollte sich nicht herausfordern, das birgt immer Gefahren. Man sollte sich nicht dafür schämen, dass man eine Pause macht, man sollte eher stolz darauf sein, dass man so ehrlich zu sich selbst ist und Unfälle vermeidet.
Falls man dann doch in eine Situation kommt, in der man zu weit rausgeschwommen ist und merkt, dass man keine Kraft mehr hat: Als erstes sollte man unbedingt versuchen, Ruhe zu bewahren und seine Atmung zu kontrollieren. Dann kann man versuchen, um Hilfe zu rufen. Wenn man alleine versucht zurück zu schwimmen, ist es wichtig, dass man niemals gegen die Strömung schwimmt, denn das ist in den allermeisten Fällen sowieso aussichtslos. In einem Fluss kann man versuchen, im 90 Grad-Winkel zur Strömung Richtung Ufer zu schwimmen.
Aus der Perspektive der Außenstehenden kann es sehr unterschiedlich aussehen, wenn Menschen ertrinken. Badeunfälle am Sprungturm sind offensichtlich, weil dort viele Leute stehen, aber das klassische Ertrinken passiert leise. Man kann sehen, wie eine Person untertaucht, wieder auftaucht und die Augen geschlossen hält. Das ist ein Reflex. Dann schnappt die Person nach Luft. Manchmal schafft sie es dann, auf sich aufmerksam zu machen, meistens aber nicht. Deswegen ist es so wichtig, dass man aufeinander Acht gibt und, wenn man unsicher ist, an bewachten Badestellen schwimmt.
Was kann man tun, um zu helfen, wenn man sieht, dass jemand in Not ist?
Das erste, was superwichtig ist: Eigenschutz geht vor. Man darf sich nicht selbst in Gefahr bringen. Wenn man sich sicher ist, dass man nicht in Gefahr ist, weil man zum Beispiel Rettungsschwimmer*in ist, sollte man, bevor man eine Rettungsaktion startet, andere Menschen auf die Situation aufmerksam machen, indem man zum Beispiel laut um Hilfe schreit.
In einer Küstensituation mit Strömung, einer der gefährlichsten Situationen, sieht die Rettungskette wie folgt aus: Wenn man eine Person in Not sieht, ruft man als erstes um Hilfe. Wenn andere Personen dazugekommen sind, gilt es, Aufgaben zu verteilen. Eine Person behält von Land aus die ganze Zeit die Person in Not im Auge. Andere Personen, die im Idealfall dafür ausgebildet sind, können dann zu ihr hinschwimmen, am besten mit einem Hilfsmittel. Hilfsmittel können eigentlich alles sein, was schwimmen kann, ob eine Holzplanke oder eine Rettungsboje. Ertrinkende klammern sich an alles, was in irgendeiner Weise Auftrieb bietet. Ohne Hilfsmittel bist du die Rettungsboje und gehst selbst unter.
Im Schwimmbad sollte man um Hilfe rufen, und die*der Bademeister*in übernimmt dann die Rettung.
Wichtig zu wissen ist, dass es als unterlassene Hilfeleistung gewertet werden kann, wenn man nichts unternimmt. Wenn man die 112 ruft und außerdem laut um Hilfe schreit, macht man sich nicht strafbar, zum Beispiel, wenn man alleine am Strand ist und sich nicht zutraut, ins Wasser zu springen.
Du hast ja hauptsächlich Erfahrungen im Schwimmbad gemacht. Welche Aspekte gibt es in natürlichen Gewässern zusätzlich, die gefährlich werden können?
In natürlichen Gewässern kann man die Wassertiefe nicht abschätzen, im Gegensatz zum Schwimmbad, wo das immer gekennzeichnet ist. Außerdem gibt es im Schwimmbad weder Wellen noch Strömung. Die Strömung kann besonders gefährlich werden, zum Beispiel in Flüssen wie dem Rhein.
Die meisten Menschen ertrinken laut DLRG in Binnengewässern, also in Flüssen oder Seen, vor allem in ungesicherten Badestellen. Was würdest du Menschen raten, die in ungesicherten Gewässern schwimmen gehen wollen?
Es sind sehr wenige Wasserstellen überhaupt gesichert, also von Rettungsschwimmer*innen bewacht. Am Opfinger See gibt es eine gesicherte Badestelle, aber das ist bei Seen eher die Ausnahme. Mein Rat wäre: Geh nicht allein schwimmen. Informier dich vorher über das Gewässer und unterschätz deine eigene Kraft am besten ein bisschen. Wenn man in einer Gruppe unterwegs ist, sollte man aufeinander Acht geben. Es kann so schnell passieren, dass man denkt, ach, die Person ist ja nur zwei Meter hinter mir. Dann guckt man nochmal, und sie ist weg. Also: Passt aufeinander auf!
Typische Anzeichen, dass eine Person in Not ist:
Der Kopf gerät immer wieder unter Wasser.
Der Mund ist auf Höhe der Wasseroberfläche und häufiger darunter.
Die Arme werden seitlich ausgestreckt und paddeln hilflos.
Die Beine werden nicht benutzt.
Die Atmung ist beschleunigt.
Die Person schwimmt auf einer Stelle.
Haare hängen vor Augen und Stirn, werden nicht weggewischt.
Der Blick ist leer und nicht fokussiert oder die Augen geschlossen.