Zwischen Roadtrip-Romantik und kapitalismuskritischer Düsternis – ein klanglich nomadisches Werk, das Indie, Jazz und Country vereint und irgendwo zwischen Tagtraum und Realität oszilliert.
Wenn Divinations die perfekte Umgebung oder die perfekte Aktivität zum Hören hätte, was wäre das?
Christopher (überlegt): Ein perfektes Setting? Ich würde sagen, ein Roadtrip. Ein Roadtrip passt ziemlich gut.
Lewis: Ein langer Roadtrip über mehrere Generationen und Galaxien, Universen. Oder Kontinente und Länder.
Julia: Von der Nacht bis zum Morgen. Von der Dämmerung bis zum Morgengrauen. Vom Tag bis zur Nacht.
Lewis: Jemand hat angemerkt, dass das Album einen Bogen hat. Die erste Hälfte beschreibt den Tag, die zweite Hälfte die Nacht.
Worum geht es in Divinations?
Lewis: Unser erstes Album Hydranism wurde während des Lockdowns geschrieben. Divinations entstand danach, als wir wieder draußen waren. Wir machen uns darin auf den Weg, die Welt zu entdecken und begegnen dem Guten, dem Bösen und dem Hässlichen. Wenn Hydranism ein Lockdown-Album war, dann geht es in Divinations darum, rauszugehen und die Welt zu erkunden.
Christopher: Es reicht von sehr intimen, persönlichen, einfachen Emotionen bis hin zu größeren Visionen – paranoiden Visionen. Wie flackernde Informationsschnipsel beim Scrollen. Ich habe das Gefühl, dass es auf diese Weise die menschliche Erfahrung widerspiegelt, wie wir in den letzten Monaten miteinander umgegangen sind, was in der Welt passiert ist. Aber es bringt uns auch an einen Ort, der warm, vertraut und beruhigend wirkt. Und trotzdem ist es manchmal verwirrend. Ich mag die Vorstellung, dass es sich von etwas sehr Nahbarem und Intimem zu etwas Größerem und Universellerem erstreckt.
Julia: Es ist wie eine Mischung aus der Realität, wie sie jetzt ist, aber auch dieser Traumwelt, in der alles mehr…
Christopher: …jeder hat das Recht auf eine Traumwelt.
Divinations ist euer zweites Studioalbum. Worin unterscheidet es sich von eurem ersten Album Hydranism?
Lewis: Wir haben es ganz anders aufgenommen. Wir haben uns nicht für einen Monat auf einer Insel abgeschottet. Stattdessen haben wir es in einem Studio außerhalb von Paris aufgenommen. Den Großteil haben wir in vier oder fünf Tagen eingespielt. Wir haben auch viel mehr selbst experimentiert mit der Produktion. Und wir haben mit Martin Lefebvre zusammengearbeitet, der fantastisch Keyboard und Synthesizer spielt. Er war das ganze Album über dabei. Und es sind auch ein paar schnellere Songs drauf.
Julia: Es ist vielleicht ein bisschen weniger romantisch. Es hat ein bisschen dunklere, direktere Elemente.
Ihr habt euer eigenes Label Wizard Artists extra für dieses Release gegründet. Hat das den Produktionsprozess des Albums stark verändert?
Lewis: Man hat auf jeden Fall viel mehr Freiheit. Aber man ist auch selbst für seine Fehler verantwortlich. Niemand kann einem vorschreiben, was man tun oder lassen soll, was die Singles sein sollen, dies oder jenes. Bei einem Major-Label gibt es meist mehr kreative Kompromisse. Wir haben, nachdem wir ein paar Angebote geprüft hatten, entschieden, dass das in der heutigen Musikwelt der beste Weg ist, die Kontrolle über das eigene Schaffen zurückzugewinnen. Das hat uns viel mehr Freiheit gegeben.
Eure Vorab-Single Blue Left Hand ist inspiriert von Caliban und die Hexe von Silvia Federici. Könnt ihr mehr über die Themen des Songs erzählen und wie Federicis Werk euch beeinflusst hat?
Lewis: Ich habe das Buch in Berlin entdeckt, als wir auf Tour waren. Ich habe es eine Weile immer wieder gelesen. Es war keine bewusste Entscheidung, die Songtexte kamen einfach, waren davon inspiriert. Am Ende des Songs gibt es eigentlich nur ein Zitat daraus.
Das Thema des Buches ist der Übergang von einer kollektiven Gesellschaft hin zu einer kapitalistischen Gesellschaft. Und dieser Übergang geschieht durch Leid. Karl Marx sagte, das geschieht durch die Unterwerfung der Arbeiterklasse, durch Gewalt und Zwang, um eine Klasse zu schaffen, die der Kapitalproduktion dient. Das Buch bezieht auch Frauen mit ein. Hexenverfolgungen und -prozesse waren Teil dieses Zwangs, um Frauen in die kapitalistische Transformation von der feudalen und kollektiven Gesellschaftsform hineinzupressen.
Der Song selbst handelt von einem Mann, der zu dieser Erkenntnis gelangt, der nachdenkt über seinen Platz im Leben, wer er ist und welche Geschichte hinter ihm liegt. Es geht darum, dass jeder, der im Leben irgendeine Art von Privileg hat, auch auf den Schultern von Generationen vor ihm steht. Es geht also auch darum, was gut, was schlecht und was hässlich ist an dem, woher dieser Mensch stammt.