Die Kindheitsfreunde Pedro und Peter scheinen mit den Düsterboys stetig zwischen Existenzkrise und Resignation zu wandeln, über die nur Wein und Haschischzigaretten hinwegtrösten können: „Jedes Bild ist ein Teil, jeder Stoff wird zum Kleid“. Daraus beschwören sie Folklore im ursprünglichsten Sinn. Ihr musikalisches Erbe reicht von barocken Liedsätzen bis zu The Velvet Underground. In ihren wortkargen Chorälen wird “gefickt” und gesoffen, Kitsch und Klamauk werden getunkt in Traurigkeit. Dazwischen hallen Gitarren in verblichenen Sepiatönen, so erschaffen die Düsterboys ihre ganz eigene Liturgie des Scheiterns.
„Nenn Mich Musik“ fordert das Album seine Hörer*innen auf. Erst ein Jahr ist es her (Stand 11/20), dass das Debüt des Essener Quartetts bei Fans wie Kritiker*innen eine Welle der Lobpreisung auslöste (unsere Rezension zum Release findet ihr hier). Welchen Grund gibt es also, der Platte an dieser Stelle schon wieder einen Besuch abzustatten? Zum einen ist da der Release der Outtake-EP Im Winter, zum anderen die Pandemie – und irgendwie gewinnt das Album durch diese nochmal an Aktualität. Denn genau dann, wenn das Selbstmitleid unter Reisewarnungen und Besuchsverbot so richtig kickt, gibt Nenn Mich Musik der inneren Leere einen Klang.
Zugegeben, die Platte nachträglich „zeitgeistig“ zu nennen löst bei Band wie Fans mutmaßlich berechtigte Würgereize aus – schließlich ist eine ihrer großen Stärken der völlig aus der Zeit gefallene Sound, der zwischen Rekorderrauschen, Dudelgitarre und Oboenarrangement durch die Pop-Jahrzehnte schwimmt. Der leicht angekiffte Folk-Sound, den die Band gemeinsam mit Stammproduzent Olaf Opal erschaffen hat, macht über die zwei Vinylseiten einen perfekten Spannungsbogen. Eine gute Entscheidung also, dass die Düsterboys vier übriggebliebene Songs lieber exklusiv für die Im Winter-EP gespart haben. Auch, wenn dadurch mit „Palmen“ ein potenzielles Album-Highlight gehen musste.
Zurück zum Album: Es fühlt sich ein bisschen an wie Selbstkasteiung, an einem grauen 2020er Herbstnachmittag eine Platte aufzulegen, deren Handlungsort die Bar und deren Protagonisten im Delirium sind. Denn wenn Peter und Pedro von vollen Kneipen und verrauschten Nächten singen, führen sie uns gnadenlos vor Augen, was wir gerade missen müssen.
Das schmerzt angesichts einer feierfreien Durststrecke, deren Ende wir frühestens in einigen Monaten wähnen können – doch The Düsseldorf Düsterboys treiben nicht einfach nur das Messer in die einsamen Herzen der sozial distanzierten Hörerschaft: Zwischen heißen Kippen und weißen Wänden reichen sich Schmerz und Trost die Hand. Sobald sich Nenn mich Musik“ auf dem Plattenteller dreht, schweben Rauchschwaden und Bierdunst ganz von allein ins Zimmer.
Mit Nenn mich Musik bieten The Düsseldorf Düsterboys eine Antwort auf die post-jugendliche Krise der eigenen Armseligkeit: Bedeutung lässt sich nur in Besinnungslosigkeit finden. Am Ende bleibt die Sicherheit: “Heute ist schlimm, aber morgen wird es schlimmer”. Die Akzeptanz der eigenen Misere ist kein guter, aber der einzige Ausweg, sowohl für die Düsterboys auf Nenn Mich Musik als auch für uns alle beim kulturarmen Ausharren in der Pandemie.