Wenn man die Halle des Hans Bunte Areals betritt, taucht man in die Dunkelheit ein und stolpert dann erstmal über einen Haufen Kabel und andere Hindernisse. Sobald sich die Augen aber ein wenig an das dämmerige Licht gewöhnt haben, erkennt man die ersten Dinge: ein klassisch naturalistisches Wohnzimmer mit weißer Spitzentischdecke und Blumenstrauß, außerdem mehrere Leinwände, Lichtarrangements und vor allem eine Menge Technik. Zusammen ergibt das eine originelle Inszenierung von Frank Wedekinds Drama „Frühlings Erwachen“, das vom 29. Juli bis zum 1. August 2021 aufgeführt wird.
Psycho-Spiele und Subtext
Gewählt wurde dieses Stück unter anderem wegen der brisanten Thematik: Es geht um das Erwachen der Sexualität junger Menschen, in einer Gesellschaft, die dieses Thema tabuisiert. Komplikationen und sogar ernsthafte Probleme sind dementsprechend vorprogrammiert. Gemeinsam mit der Umsetzung, die auf Psycho-Spiele und den Subtext setzt, ergebe sich so laut den Macher*innen eine große Sprengkraft.
Zur Realisierung des Projekts wurde das, was eigentlich Teil eines riesigen Techno-Palastes ist, vor knapp einem Monat zu einer oder, besser gesagt, mehreren Bühnen umfunktioniert. Gemäß dem Motto „Solidarisch in der Krise“ stellte das ebenfalls schwer von der Corona-Pandemie getroffene Hans Bunte Areal dem Unitheater seine Räumlichkeiten zur Verfügung, damit sie nicht weiterhin leer stehen.
„Eine Adaption nach Ihrer Wahl“
Seit knapp einem Monat probt die Gruppe hier nun intensiv. Doch das Areal dient nicht nur als Proberaum, sondern auch für die Aufführungen. Denn aus der Not der Corona-Pandemie wurde eine ganz besondere Idee geboren. Von hier werden die Protagonist*innen Melchior, Moritz und Wendla nicht nur per Livestream zu den Zuschauer*innen nach Hause übertragen, auch ihr Schicksal wird in die Hände des Publikums gelegt.
Neben dem Originalstück von Wedekind haben die Studierenden auch alternative Handlungsstränge geschrieben, so dass das Publikum vom Sofa aus über die Stimmung, Begegnungen und manchmal sogar Leben und Tod der Charaktere entscheiden können.
Denn durch ein E-Voting-System können die Zuschauer*innen mit ihrem Handy über den weiteren Verlauf des Stückes abstimmen, was dann im Hans Bunte Areal sofort umgesetzt wird. So kommt der Untertitel „Eine Adaption nach Ihrer Wahl“ zustande. Welch immensen Aufwand das neben der ohnehin nötigen Licht- und Kameratechnik erfordert, kann man als Außenstehende*r nur erahnen, wenn man mal wieder über die vielen Kabel stolpert.
“Halbprofessionell”, aber mit voller Leidenschaft
Was hingegen für jede*n sichtbar ist, ist das Ergebnis auf dem Bildschirm. Auch Regisseurin Maya Rollberg meint: „Durch das Licht und die Kameraführung kreieren wir eine krasse Ästhetik.“ Hinter dieser Leistung steckt eine „halbprofessionelle Gruppe“, wie sie sich selbst beschreiben. Das heißt, dass sie in ihrem Tätigkeitsgebiet – sei es Kamera oder Schauspiel – zwar alle nicht ausgebildet sind, es sich aber durch jahrelange Praxis selbst angeeignet haben. Dadurch wirken sie wiederrum doch recht professionell und so erscheint die Selbstbeschreibung durchaus passend.
Neben ihren schauspielerischen und technischen Fähigkeiten ist es jedoch auch das Engagement des gesamten Teams, das die Umsetzung eines so großen Projekts ermöglicht. Begonnen hat es mit dem Casting im Januar und nun ist aus Leuten, die sich Großteils bis dahin nicht kannten, eine enge Gemeinschaft geworden, die nach eigener Aussage „24/7“ mit den Proben und Vorbereitungen beschäftigt ist.
Schlaf kriegen sie in letzter Zeit wenig und auch das Essen kommt oft zu kurz. Um das durchzustehen, werden Kaffee und Mate hingegen zur Genüge konsumiert. Auf die Nachfrage, ob sie als Studierende denn keine Klausuren schreiben müssen, wird mit einem Lachen geantwortet. „Wir opfern quasi alles für das Stück“, sagt Maya Rollberg, die Environmental Governance im Master studiert. Manche nehmen die Klausuren aber doch ernst.
„Dinge, die provokant sind“
Ernst ist auch die Thematik des Stückes. Denn bei allem Amüsement über das Erwachen sexueller Bedürfnisse bei Pubertierenden wird Sex auch schnell ein gefährliches und potentiell traumatisierendes Thema. Den Theatermacher*innen ist es wichtig, das zu zeigen und so wird nichts ausgespart. „Das sind Dinge, die sind provokant“, sagt Maya Rollberg. „Da muss man drüber reden.“
Die Content Note ist dementsprechend durchaus angebracht. Der Hinweis, das Stück nicht allein anzuschauen, empfehle sich aber generell. Denn das Stück liefert ohnehin viel Diskussionsbedarf und durch eventuelle Uneinigkeiten bei den E-Voting-Entscheidungen werde das noch verstärkt. So erwartet das Publikum ein Theater- und Filmabend zugleich, dessen Ausgang für alle ungewiss ist. Was könnte mehr Spannung versprechen?
Hier ein kleiner Einblick vorab: