Sie haben einen Bürojob, ein Reihenhaus, eine Frau und zwei Kinder. Sie sind der Inbegriff des normalen, man möchte fast sagen: langweiligen, Familienvaters. Wenn man diese Dieters und Manfreds am Gartenzaun trifft, dann grüßen sie nett. Doch sie haben auch eine abscheuliche Seite. Man sieht sie diesen Durchschnittsbürgern nicht an, wenn man sie in der realen Welt trifft. Doch sie äußert sich im digitalen Raum, wo vermeintlich brave Männer zu Tätern werden und Frauen das Leben zur Hölle machen.
„Schlampe“, „Drecksfotze“, „Hure“: Solche Beleidigungen mussten 70 Prozent der jungen Frauen in Deutschland im Internet bereits erleben, einige von ihnen auch noch äußerst fantasievoll ausgeschmückte Vergewaltigungs- und Todesdrohungen. Besonders trifft es Frauen, die sich mit einer starken Meinung öffentlich äußern, Eigenschaften wie ein Migrationshintergrund oder eine Behinderung treiben es auf die Spitze. Die Täter sind in der Regel Männer aus der gehobenen Mittelschicht und kommen normalerweise ungeschoren davon – ein Unding. Der Grünen-Politikerin Renate Künast wurde von Richter*innen gesagt, dass die Beleidigung „Drecksfotze“ unter Meinungsfreiheit fiele und sie diese als Politikerin aushalten müsse. Das ist entsetzend, denn Hass ist keine Meinung und die Täter müssten bestraft werden.
Mittlerweile greifen Frauen vermehrt nach Macht und das ist gut so. Der Raum, den sie in der öffentlichen Debatte einnehmen, zeigt diesen Machtanspruch. Das provoziert Männer, die Frauen noch immer als minderwertig ansehen und durch die Emanzipation ihre eigene Position in Gefahr. Unter diesem Druck wissen sie offenbar keinen anderen Ausweg, als Frauen im Internet einzuschüchtern. Da die Hassnachrichten nicht von Angesicht zu Angesicht übermittelt werden und oft sogar von einem anonymen Account, sinkt die Hemmschwelle nahezu auf null. Es macht diese Aktionen aber vor allem eins: feige.
Sind die Herberts, Jürgens und Gerhards dann erst mal im Frauenhass-Flow, gibt es kein Halten mehr. Radikalisierung durch Filterbubbles geschieht nicht nur im rechtsextremen Milieu, auch wenn es da oft zu Überschneidungen kommt. In Foren wie der Incel-Community, einer Gruppe, die sich selbst „unfreiwillige Singles“ nennt, wird Frauenhass regelrecht kultiviert. Die Männer pushen sich zu immer krasseren Aussagen und in manchen Fällen sogar Taten. So lief vor einigen Wochen ein 22-jähriges Incel-Mitglied im britischen Plymouth Amok und tötete dabei fünf Menschen. Die von Hassbotschaften betroffenen Frauen müssen also nicht nur Angst haben, wenn sie sich im Internet bewegen, sondern auch, wenn sie vor die Tür treten. Das sind wahrlich schlimme Zustände.
Nichtsdestotrotz wird das Problem verharmlost und die juristische Verfolgung funktioniert nur extrem unzureichend. Nicht selten findet Victim-Blaming statt: Den Frauen wird gesagt, sie hätten diese Hassreaktionen selbst provoziert und sollten sich einfach nicht mehr äußern. „Die einzige Lösung, die uns die Gesellschaft bietet, ist, sich den Mobbern zu beugen“, stellt Myriam Leroy, die Regisseurin der ARTE-Dokumentation „#dreckshure“, fest.
Die Erklärung für die politische und juristische Untätigkeit ist recht simpel: Wenn Frauen Positionen in diesen Bereichen bekleiden, dann werden sie meist Opfer von besagten Hasskampagnen im Netz. Zum Schutz ihrer psychischen und physischen Gesundheit ziehen sich die meisten daraufhin aus diesen Berufen zurück. Übrig bleiben von alten weißen Männern dominierte Parlamente und Gerichte. Da diese Männer in der Hate-Speech-Branche eher ins Täter- als ins Opferprofil passen, verstehen sie die Problematik nicht und wollen es meist auch gar nicht. Es ist ein Teufelskreis.
Fest steht: Die Gesetzgebung hinkt hinterher. Besonders im Fall von Hate Speech ist das ein Skandal. Selbst vermeintlich anonyme Accounts lassen sich von Plattformbetreiber*innen in der Regel ohne große Probleme nachverfolgen. Doch diese berufen sich allzu oft auf freie Meinungsäußerung, wo es sich schon ganz klar um übergriffige Beleidigungen und Drohungen handelt. Die Politik muss endlich einen gesetzlichen Rahmen schaffen, der die Plattformbetreiber*innen in die Pflicht nimmt und die Bestrafung von Tätern ermöglicht. Bislang beschränkt sich diese auf läppische Geldstrafen. So kann es nicht bleiben.
Männer, die im Netz Hasskampagnen betreiben, müssen zur Verantwortung gezogen werden und sollten im härtesten Fall nicht nur mit Geld, sondern auch mit ihrer Freiheit dafür bezahlen müssen.