„Transparenz ist sehr wichtig“
Die Landwirtschaft steht vor großen Herausforderungen: Der weltweite Bedarf von Lebensmitteln wächst, gleichzeitig drängen die ökologischen Grenzen des Planeten auf nachhaltige Produktionsmethoden. Freiburger Experten erklären, wie Landwirtschaft in Deutschland rentabler werden kann und fordern mehr Transparenz und Idealismus.
„Auf Biodiversität und Nährstoffeinträge hat Landwirtschaft einen großen Einfluss“, sagt Lars Nungesser vom Öko-Institut in Freiburg. Es sei daher besonders wichtig, planetare Grenzen zu berücksichtigen, weil Landwirtschaft nicht nur in Deutschland mit Eutrophierung, also der Belastung mit Stichstoff und Phosphor, oder Bodenerosionen zu kämpfen habe.
Um Ökosystemleistungen zu verbessern, plant das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft im Rahmen der „Eiweißpflanzenstrategie“ etwa Fruchtfolgen in Deutschland um Hülsenfrüchte wie Ackerbohnen, Erbsen und Lupinenarten zu erweitern. Seit vergangenem Jahr stehen dafür 8,6 Millionen Euro zur Verfügung. Das sind drei Millionen Euro mehr als im Jahr zuvor. Weil Deutschland von Soja- und Eiweißfutter-Importen abhängig ist, hält Nungesser diese Strategie auch wirtschaftlich für sinnvoll.
Ein weiterer Baustein ist die sogenannte Präzisionslandwirtschaft. Bernhard Neumärker, Professor für Wirtschaftspolitik an der Universität Freiburg, erklärt: „Diese Technik mit Drohnen wird neue Fortschritte mit sich bringen.“ Der Experte geht davon aus, dass technologiegestützte Anbaumethoden – auch dank künstlicher Intelligenz – wichtiger werden. Die Fortschritte, die nach wie vor in der Landwirtschaft erzielt werden, sind selbst für den Experten „immer wieder überraschend.“
Auch vertikaler Landwirtschaft attestiert Neumärker Potenzial: „Wir haben so viele Flachdächer, man kann da normal begrünen.“ Das Informationszentrum Flachdach und Bauwerksabdichtung schätzt, dass allein in Deutschland 1,2 Milliarden Quadratmeter Flachdachfläche zur Verfügung stehen. Das entspricht rund 170.000 unbegrünten Fußballfeldern. In dieser Landwirtschaftsform kommen laut Neumärker jedoch hauptsächlich genetisch veränderte Pflanzen wie Rucola oder Kopfsalat zum Einsatz.
„Damit man die Weltbevölkerung ernähren kann, braucht man solche Projekte“
Bernhard Neumärker, Professor für Wirtschaftspolitik, erklärt das Spannungsdreieck aus sozialer Verantwortung sowie ökonomischen und ökologischen Interessen in der Landwirtschaft.
Wie nachhaltig die Anbaumethoden dahinter sind, sei oft schwer zu beurteilen. „Da ist Transparenz sehr wichtig“, betont Neumärker. Konsumenten müssen sich sicher sein können, dass sich der Kauf eines Produktes hinsichtlich Nachhaltigkeit lohnt. Sonst verliere der Konsument das Vertrauen und passe seine Präferenzen auch nicht an.
„Wenn zum Beispiel die Verpackung eines Rindfleischproduktes mit recyceltem Plastik beworben wird, ist das Greenwashing, da die Verpackung hier nicht ins Gewicht fällt“, so Nungesser. Begriffe wie „regional“ und „nachhaltig“ werden, laut Nungesser, oftmals „sehr flexibel“ verwendet. Kunden sollten stets mögliche Herkunftsalternativen im Blick haben.
„Außerdem sollte man genau hinschauen, wie diese ‚Klimaneutralität‘ erreicht wurde“, sagt er. Der Begriff „klimaneutral“ beschreibe, selbst wenn er zutreffend ist, nur die potenziellen Auswirkungen in einer Umweltwirkungskategorie und treffe keinerlei Aussagen über andere, zum Teil schwer abschätzbare Umweltauswirkungen.
Laut Neumärker braucht die Zukunft der deutschen Landwirtschaft Transparenz und ein strengen Idealismus. „Wenn beides halbwegs gilt, dann werden wir da sicherlich Änderungen sehen“, sagt er. Wenn es gelänge, die Wirtschaft so zu verändern, dass sich auch kleine Betriebe rentieren, könne die Landwirtschaft nachhaltiger werden.
Ackern für die Landwirtschaft
Mehr als 60 verschiede Kartoffelsorten werden auf dem Lindenbrunnenhof in Forchheim angebaut, exotische Pflanzenarten wie die Koreaminze werden an die Topgastronomie in Freiburg geliefert. Florian Binder arbeitet in dritter Generation als Landwirt auf dem Hof seiner Eltern. Der schmale Grad zwischen Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit ist für den Bio-Hof eine große Herausforderung.
„Es braucht neben kleinen, diversen Betrieben auch große, spezialisierte Betriebe, da einige Feldfrüchte stark von Skalierungseffekten profitieren“, kommentiert Nungesser. Als Beispiel nennt er Getreide. Das Zusammenspiel von beiden Formen trage zur strukturellen Vielfalt und somit zur Resilienz und Ernährungssicherheit bei.
Der Experte erklärt: „Wenn es gelänge, landwirtschaftliche Systeme als gesunde Ökosysteme zu gestalten und die entstehenden Mehrkosten in Form von verringerten Erträgen oder erhöhtem Arbeitsaufwand entsprechend finanziell zu honorieren, würde das diesem Ziel näher kommen.“ Dafür sei allerdings ein Paradigmenwechsel notwendig.
Eine Gemeinschaftsproduktion von Linus Kaufmann, Daniel Vidal, Battista Krämer, Betty Hristova und Nils Weinem im Rahmen des Seminars „Einführung in den crossmedialen Journalismus“ für Studierende der Medienkulturwissenschaft. Seminarleitung, Redaktion: Ada Rhode, Andreas Nagel, Philip Thomas.