Michael Wenzel ist Studienberater in der Zentralen Studienberatung (ZSB) der Uni Freiburg. Er hilft Studierenden dabei, ihren eigenen Weg zu finden. Schwerpunkte der ZSB sind neben Studien(neu)orientierung, Entscheidungsfindung und Selbstsorge auch die Stipendienberatung, Studienausgangsberatung und Profilanalyse.
Sein eigener Werdegang von der Ausbildung zum Bankkaufmann über das Studium in der Soziologie zum Studienberater zeigt, dass es nicht immer einen geradlinigen Weg in den Beruf geben muss.
Melanie hat letztes Jahr ihren B.A. im Fach Medienkulturwissenschaften abgeschlossen und hat danach eine Ausbildung zur Mediengestalterin begonnen. Sie hat gemerkt, dass dies nicht das richtige für sie ist und nun beschlossen, den Master in Medienkulturforschung zu machen.
Jascha entschloss sich nach einer abgeschlossenen Berufsausbildung und einem abgebrochenem Lehramtsstudium in den Fächern Mathematik und Ethik seiner Leidenschaft für Literatur nachzugehen und studiert heute im Masterstudiengang Neuere Deutsche Literatur, Kultur, Medien.
Melanie und Jascha, ihr habt einige Sachen ausprobiert. Wie seid ihr zu dem gekommen, was ihr heute macht?
Melanie: Ich habe nach meinem Bachelor in Medienkulturwissenschaften gemerkt, dass mir vor allem das wissenschaftliche Arbeiten nicht so viel Spaß gemacht hat, und ich lieber praktischen Tätigkeiten nachgehen wollte. Letztes Jahr habe ich dann eine Ausbildung zur Mediengestalterin begonnen, aber schnell gemerkt, dass das doch nichts für mich ist. Mir ist klargeworden, dass ich Journalistin werden will, also habe ich die Ausbildung abgebrochen und fange im Herbst mein Masterstudium in Fach Medienkulturforschung an. Bis dahin kann ich noch einige Praktika machen.
Jascha: Ich habe nach der Realschule die Wehrpflicht absolviert, wohl aufgrund einer Perspektivlosigkeit und dem Anraten meines erwachsenen Umfelds. Dann hat sich für mich schnell herausgestellt, dass ich dort auch keine Perspektive sehe. Mit dem aufkommenden Wunsch an die Uni zu gehen war es für mich der einfachste Weg, über eine Ausbildung und dem zweiten Bildungsweg die Möglichkeit zu bekommen. Ich habe dann eine Ausbildung zum Herrenausstatter gemacht und anschließend die allgemeine Hochschulreife nachgeholt.
Danach habe ich in Potsdam ein Lehramtsstudium mit den Fächern Mathematik und Lebensgestaltung, Ethik und Religionswissenschaften angefangen. Als ich merkte, dass mir das Lehramtsstudium aus verschiedenen Gründen nicht zusagte, habe ich das Studium in Potsdam abgebrochen und bin dann nach Freiburg gekommen, um hier im Bachelor in Deutscher Sprach- und Literaturwissenschaft zu studieren. Jetzt studiere ich hier den Master Neuere Deutsche Literatur, Kultur, Medien.
Herr Wenzel, manche Studierende entscheiden sich gegen Ende des Studiums oder danach dazu, einen komplett neuen Weg einzuschlagen und eine Ausbildung oder ein Zweitstudium auf sich nehmen. Woran liegt das?
Michael Wenzel: Zum einen spielt Neigungswechsel eine große Rolle. Viele Studierende merken, dass sie sich noch während ihres Studiums bereits umorientieren. Sie schließen es aber erfolgreich ab und wollen danach dann etwas machen, dass ihnen besser liegt oder auf das sie größere Lust haben.
Es kann allerdings auch sein, dass man sich von einem zweiten Studium bessere Qualifikationen erhofft und von denen man sich bessere berufliche Perspektiven verspricht. Manchmal kann eine solche Umorientierung aber auch wissenschaftliche Gründe haben. Viele glauben, dass sie mit dem fachlichen Hintergrund, den sie haben, nicht in den Forschungsbereich reinkommen, in den sie wollen und dazu ein zweites Fach brauchen.
Ist die Sorge, dass man nicht ausreichend qualifiziert ist, gerechtfertigt?
Michael Wenzel: Bevor man eine Entscheidung trifft, ob man nochmal studieren sollte oder nicht, muss auf jeden Fall der Beweggrund unter die Lupe genommen werden. Nicht jedes Motiv ist da sinnvoll. Was ich zum Beispiel hinterfragen würde, ist die Angst vor den Berufs- und Zukunftsaussichten, die viele Studierende oft haben. Gerade Geisteswissenschaftler haben oft ein falsches Bild, was das betrifft. Nach dem Studium denken die sich: „Jetzt habe ich geisteswissenschaftlichen Abschluss, aber eigentlich habe ich nichts“.
Wenn man sich den Arbeitsmarkt aber anschaut, gab es eigentlich noch nie bessere Aussichten für Geisteswissenschaftler als jetzt. Trotzdem kommen sie zu uns in die Beratung und zweifeln an ihrer Qualifikation. Wir versuchen in solchen Fällen, den Studierenden transparent zu machen, was sie im Studium eigentlich gelernt haben und wozu sie qualifiziert sind. Das ist oft wichtiger und sinnvoller, als ein Zweitstudium anzufangen, aus Angst, dass man nichts kann. Qualifikation ist natürlich wichtig, aber sie kann nicht nur Selbstzweck sein. Irgendwann muss der nächste Schritt kommen, der in das Arbeitsleben führt.
Melanie, Jascha, Ihr habt euch während der Entscheidungsfindung nicht von Angst oder Sorge, sondern von der Leidenschaft leiten lassen. Wie hat sich das bei euch geäußert?
Jascha: Während ich mein Abitur nachholte, habe ich meine Lust an Literatur entdeckt, das fehlte mir bis dahin. Besonders das Mathematikstudium entsprach nicht meiner Vorstellung von einem Studium, weshalb ich mich dazu entschloss, ein zweites Studium nur zu beginnen, wenn mein Interesse für Literatur auch darin Platz findet. Für mich war das Studium in erster Linie dann sowieso nicht damit verbunden, später unbedingt Geld zu verdienen. Ich habe mich also dazu entschieden, der Literatur mehr Raum zu geben und mehr Muße dafür aufzubringen.
Melanie: In der Ausbildung zur Mediengestalterin lag der Hauptfokus auf Online-Marketing, und ich habe schnell gemerkt, dass das für mich nicht das richtige war. Die Arbeit war mir zu analytisch und ich habe mich danach gesehnt, etwas Kreatives zu machen. Ich habe während meiner Zeit in der Ausbildung mehrere Blogartikel geschrieben und das hat mir sehr viel Spaß gemacht. Auch während eines Praktikums in der uniONLINE-Redaktion habe ich gemerkt, dass mir das Schreiben nicht nur gut gelingt, sondern auch gefällt. Das hat mir in der Ausbildung sehr gefehlt, also habe ich mich dann darüber informiert, welche Wege zum Journalismus führen.
Gerade für Volontariate in dem Bereich sind Praktika sehr wichtig. Ich musste mich also entscheiden: Beende ich die Ausbildung, für die ich nicht leidenschaftlich brenne, oder breche ich ab und beginne den Master, damit ich in der Zeit dazwischen und auch während des Masters Praktika machen kann. Klar ist der Weg anstrengender, aber wenn ich am Ende meinen Traumjob machen kann, war es mir das wert.
Oft meint man, den gesellschaftlichen Druck auf sich zu spüren, dass man früh in das Berufsleben einsteigen muss. Dieser Zeitdruck schreckt viele davon ab, ein weiteres Studium zu beginnen. Ist diese Sorge gerechtfertigt?
Michael Wenzel: Ich würde behaupten, dass das Thema Alter in Bewerbungsgesprächen nicht wirklich zur Sprache kommt. Die Frage ist eher: „Was habe ich in der Zeit gemacht?“ Vielleicht sind es ja genau die Tätigkeiten, die man in der Zeit erlernt hat, das, was jemanden für den Beruf qualifiziert. Dann sind es die Erfahrungen und nicht das Alter, was Arbeitgeber interessiert. Ein Studium ist natürlich auch immer eine Qualifikation und zwar nicht nur eine fachlich-inhaltliche, sondern auch eine Qualifikation, was die persönliche Entwicklung angeht.
Spürt ihr einen Druck, euer Studium möglichst schnell abzuschließen?
Melanie: Man sollte ein Studium nicht als Zeitverschwendung sehen. Vielmehr sollte man die Zeit, die einem während des Studiums zur Verfügung steht, sinnvoll nutzen. Ich habe mich am Anfang in diesem Wahn um gute Noten und Leistung treiben lassen und habe mich dadurch nicht um die Entfaltung meiner Interessen gekümmert. Ich glaube, dass es wichtig ist, sich auch neben dem Studium persönlich zu entfalten, sich um seine Hobbys zu kümmern und möglichst viel auszuprobieren. Man hat ja in der Regel einen Laptop und das Internet zur Verfügung, da kann man mal recherchieren und in verschiedene Sachen hineinschnuppern.
Jascha: Nein, denn Druck ist für mich eine Frage von Umwelt. Und in der kann ich mich momentan gut selbstbestimmt bewegen.
Wie fällt man am besten die Entscheidung, nochmal zu studieren oder eine Ausbildung zu machen?
Michael Wenzel: Es ist wichtig, dass man eine gute Balance hält zwischen Verstand und Emotionen. Man braucht viele Informationen und diese muss man bewerten. Vor- und Nachteile müssen abgewogen werden. Es ist wichtig zu wissen, dass man Entscheidungen auf zwei Ebenen fällt. Man trifft sie rational, aber auch emotional. Im Entscheidungsprozess muss beides zusammenkommen. Gerade auch dieser emotionale Anteil kann etwas Zeit brauchen.
Man muss viel über die Optionen wissen, die zur Verfügung stehen, um ein Gefühl dafür zu entwickeln, was denn das Richtige ist. Es gibt Menschen, die können schnell aus dem Bauch heraus entscheiden und stellen dann nach ein paar Monaten fest, dass es doch nicht die richtige Entscheidung gewesen ist. Auf der anderen Seite gibt es Menschen, die lange grübeln und eine Kopfentscheidung treffen. Die fragen sich dann später oft, wieso sie nicht auf ihr Bauchgefühl gehört haben. Man sollte also immer gefühlsmäßig und rational in die gleiche Richtung eine Entscheidung treffen. Dafür braucht man eine gewisse Zeit, aber auch ein zeitliches Ende.
Wie viel Zeit soll man sich für die Entscheidung nehmen?
Wenzel: Wichtig ist, damit klarzukommen, dass keine Entscheidung perfekt wird, sonst trifft man sie nie. Man muss sich vornehmen, zu einem bestimmten Zeitpunkt eine Entscheidung zu treffen und zu dieser Entscheidung dann zu stehen. Nachjustieren kann man dann immer noch und nach dieser Zeit kann man auch eine andere Entscheidung treffen. Sonst läuft man Gefahr, dass man nach der Entscheidung immer noch weitergrübelt, und dieses Grübeln wird dann zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung, weil man dem Weg, den man dann geht, durch diese Grübelei keine Chance gibt. Man muss sich auf die Entscheidung einlassen und sich vornehmen, es auszuprobieren und sich einen Zeitpunkt in der Zukunft setzen, an dem man sich nochmal damit auseinandersetzt.
Melanie und Jascha, ihr habt eure Entscheidung für eure Zukunft getroffen. Wie geht es euch damit?
Melanie: Ich bin eher eine Person, die sich mit Entscheidungen ein bisschen schwerer tut. Es wäre natürlich sicherer gewesen, die Ausbildung erfolgreich zu beenden. Damit hätte ich etwas auf dem Papier, mit dem ich mich bewerben kann. Mich dafür zu entscheiden, was ich wirklich möchte, ist mit wesentlich mehr Risiko verbunden.
Eigentlich bin ich kein risikofreudiger Mensch, aber jetzt stehen die Chancen, das zu tun worauf ich Lust habe, viel besser. Ich habe einfach die Möglichkeit ergriffen und mich dazu entschieden, dass ich es probiere. Falls nichts daraus wird, überlege ich mir etwas neues. Ich glaube, das ist besser als irgendwo zu sitzen und die ganze Zeit zu denken, dass man doch lieber etwas anderes machen würde.
Jascha: Während meiner Zeit in der Ausbildung und im Berufsalltag habe ich erlebt, wie es ist, Zeit in Dinge zu investieren, die ich nicht machen wollte, aber machen musste. Daher kann ich jetzt umso rücksichtsvoller an mein Studium herangehen. Ich spüre nicht mehr diesen Zeitdruck, der von außen kommt, sondern nehme mir die Zeit für das Studium. Ich mache das in erster Linie für mich. Diese Freiheit, die ich jetzt erlebe, fühlt sich gut an und die will ich nicht einfach aufgeben. Es ist ein ganz entscheidendes Gefühl für mich, zu wissen, dass ich hier bin und das machen kann.