… und wie liebst du so? – Polyamorie
Labels, Labels, Labels – die Arten zu lieben sind so vielfältig, dass eine Kategorisierung schwerfällt. In der Reihe “Und wie liebst du so?” erklären junge Menschen, was ihr romantisches Beziehungskonzept ausmacht. Diese Woche geht es um Polyamorie.
Welche Beziehungsformen gibt es? Diese Frage lässt sich nicht eindeutig beantworten – deshalb haben wir vier Menschen in unterschiedlichen Konstellationen gebeten, uns einen Einblick in ihre Beziehung(en) zu geben. Um eine offene Gesprächsatmosphäre herzustellen, lassen wir sie dabei anonym sprechen. Diese*r Gesprächspartner*in lebt und liebt polyamor.
Hallo, danke für deine Gesprächsbereitschaft!
Welche romantische Beziehung(en) führst du?
Ich führe zwei Beziehungen, die ich als romantisch bezeichnen würde. Eine davon nennen wir auch intern immer eine Beziehung, das ist einfach mein Freund.
Bei meiner anderen Beziehung sind wir an dem Punkt, an dem wir es auch ganz oft einfach Beziehung nennen. Wir haben zwar am Anfang eigentlich gesagt, dass wir es nicht so labeln wollen, aber im Endeffekt führe ich zwei romantische Beziehungen.
Welchen Stellenwert haben deine romantischen Beziehungen im Vergleich zu anderen Beziehungen in deinem Leben?
Das ist ganz spannend, weil es sich verändert hat.
Eine Zeit lang hatte ich eine romantische Beziehung, die am Anfang monogam war. Mit der Zeit wurde sie immer offener, bis hin zu polyamor. Trotzdem hatten meine romantischen Beziehungen diesen höheren Stellenwert als andere Beziehungen in meinem Leben. Das war der Gedanke: „Das ist was anderes, das ist was tieferes, was größeres als Freundschaft.“ Meine eine, und irgendwann meine zwei Beziehungen waren hierarchisch höhergestellt als Freundschaften.
Seit einem halben Jahr sind wir so richtig dran sind, diese Hierarchien aufzulösen und ein Netz und Geflecht aus engen Menschen zu schaffen, wo romantische Beziehungen nicht automatisch höhergestellt sind als Freundschaften.
Beziehungen sind am Anfang das, was man sich unter Beziehung eben vorstellt. Dann bastelt man daran herum und macht zum Beispiel eine offene oder polyamore Beziehung daraus und geht immer mehr dem nach, was man eigentlich will. Natürlich ist noch viel in diesem traditionellen Konzept von Beziehung gedacht. Man muss es erstmal neu denken und verstehen, was man will.
Mittlerweile hat sich herauskristallisiert, dass es für mich total wichtig ist, da keine Hierarchie zu haben. Weder zwischen den Beziehungen untereinander, aber auch nicht zu meinen Freundschaften, weil ich auch total liebevolle Beziehungen zu meinen Freund*innen habe. Ich habe Freund*innen, mit denen ich kuschelnd im Bett liege, wenn wir uns treffen. Ich kann mir auch vorstellen, mit Freund*innen ein Leben aufzubauen und vielleicht Kinder großzuziehen. Für mich muss das nicht in einer Zweier- oder Dreierbeziehung passieren, die zwingend romantisch ist.
Wie wird dein Beziehungskonzept von deinem Umfeld aufgenommen?
Mittlerweile würde ich sagen ganz gut, da ich es auch gut erklären kann und selbst eine gewisse Sicherheit darin habe.
Am Anfang war das schwieriger: Trotz meines eher queeren und offenen Umfelds habe ich teilweise einen Backlash bekommen. Ich habe von Leuten, die ich als sehr offen und „hippiemäßig“ eingestuft habe, Sätze zu hören bekommen wie: „Du findest schon noch jemanden, der dich richtig liebt und den du richtig lieben kannst.“ Das hat mich natürlich verunsichert, da ich in meinem engeren Umfeld die erste war, die ihre Beziehung geöffnet hatte. Da war ich selber noch unsicher war und habe gezweifelt.
Inzwischen würde ich auf solche Kommentare antworten: „Wer liebt mich denn mehr als eine Person, die mich und meine Beziehungsformen so nimmt wie sie sind?“. Es ist okay, wenn sich in der Beziehung Gefühle und Bedürfnisse verändern und man sich weg- und wieder aufeinander zubewegt.
In meinem Umfeld gibt es jetzt auch viel mehr offene oder polyamore Beziehungen. Ich habe das Gefühl, dass es präsenter wird und die Leute mehr damit anzufangen wissen. Wenn Leute Polyamorie gar nicht kennen oder komisch reagieren, dann kann ich besser damit umgehen und den Leuten das verständlich erklären.
Bis heute passiert mir aber, dass Leute mich komplett falsch einschätzen, wenn sie mitbekommen, was für Beziehungen ich führe. Sie denken sofort, dass ich mit fremden Leuten schnell Sex habe und dass es nichts Besonderes ist. Ich finde es nicht schlimm, dass Menschen mich so einschätzen, aber doof, wenn sie mich deshalb anders behandeln. Vor allem wenn es Leute sind, denen ich selber nahestehe. Das verletzt mehr als die Meinung von Fremden.
Ich bin nicht polyamor, weil es mir überhaupt nichts ausmacht, mit Leuten Sex zu haben oder Gefühle für sie zu haben. Ich bin polyamor, weil ich für mehrere Leute starke Gefühle entwickeln kann und mit ihnen Dinge intensiv erleben möchte.
Würdest du deine Beziehung als exklusiv bezeichnen?
Exklusiv klingt für mich immer abgeschlossen, wie eine zugeschlossene Tür, als würde da niemand mehr reinkommen. Nach der Definition würde ich es nicht als exklusiv bezeichnen.
Aber eigentlich ist es das ja schon, denn keine Beziehung ist wie eine andere. Die Beziehung zu meinen Elternteilen und alle Beziehungen zu meinen Freund*innen sind unterschiedlich. Meine romantischen, sexuellen und andere Beziehungen sind das auch, das gilt natürlich für beide meiner romantischen Beziehungen.
Mit dieser Unterschiedlichkeit kommt eine gewisse Exklusivität. Ich bin nicht mit jeder Person 4 ½ Jahre zusammen. Das allein sorgt schon für eine gewisse Exklusivität. Die ist aber nicht beschlossen, sondern es ist völlig egal, wie nah andere Menschen herankommen. Es wird immer etwas anderes sein und ist damit auch exklusiv.
Welche Rolle spielt Eifersucht in eurer Beziehung?
Ich glaube, sie frisst einen nicht so auf, aber sie nimmt mehr Gesprächsraum ein als in monogamen Beziehungen. Der Umgang damit ist ein ganz anderer. Ich frage nach, ob da Eifersucht oder ein schlechtes Gefühl ist, wenn irgendetwas mit einer neuen Person passiert oder etwas passiert, das Eifersucht triggern könnte. Weil das so offen kommuniziert wird, sprechen wir mehr darüber.
Eifersucht ist ein Gefühl, das genauso wie alle anderen Gefühle da sein darf. Das ist manchmal nicht so einfach, aber letztendlich ist es ein Gefühl, das wieder geht. Manchmal muss man sich darum kümmern, aber bei mir geht das Gefühl sehr viel schneller wieder, wenn ich es ausspreche. Deswegen ist Eifersucht nicht das Riesenthema, aber ist immer mal wieder da und wird besprochen und gefühlt.
Brauchst du ein Label für deine Beziehung, und was ändert das Benennen für dich?
Das mit dem Label ist so eine Sache. Ich bin mir selber noch nicht sicher, inwiefern ich Labels brauche.
In meiner einen Beziehung haben wir es lange „Beziehung“ genannt, aber dann haben wir ausprobiert, es nicht mehr so zu nennen. Davon wegzugehen und sich etwas eigenes auszudenken war komisch, da wir das vier Jahre lang Beziehung genannt hatten. Es war komisch, weil wir sowieso nicht wussten, wie wir zueinander stehen wollten. Wir sind dann wieder zurück in das Beziehungslabel gegangen und nennen es jetzt Beziehung, aber haben dieses Label auf uns angepasst.
Mit der anderen Beziehung haben wir uns lange geweigert, sie als „Beziehung“ zu labeln, weil sich das nur nach Stress und nicht richtig angefühlt hat. Wir haben das ganz lange gar nicht gelabeled, über mehrere Jahre hinweg. Das hat sich gut angefühlt. Mittlerweile sind wir ein bisschen faul geworden mit dem Erklären und deshalb sagen wir Beziehung, wenn Leute fragen. Für uns haben wir das aber offiziell nicht gelabeled.
Ein Label kann für mich ganz unterschiedliche Sachen bedeuten. In der einen Beziehung ist es etwas Angenehmes und in der anderen Beziehung ist es etwas, was aus Versehen passiert ist und was wir ganz lange nicht haben wollten. Ob ich ein Label brauche, hängt sehr von den Beziehungen ab, auch in meinen Freundschaften. Was mir gerade am Wichtigsten ist, dass die Labels fließend ineinander übergehen können und dass es keine Hierarchien gibt.
#Beziehungsweisen – Wie wir zueinander stehen
Wir von uniCROSS beschäftigen uns diesen Monat unter dem Hashtag #Beziehungsweisen mit allem, was uns an der Zwischenmenschlichkeit interessiert