Top 10 Alben des Jahres
1. Fuffifufzich – Heartbreakerei (Fuffifufzich)
Auf den letzten Metern eines krisenbenetzten Jahres veröffentlicht die Berliner Newcomerin Fuffifufzich im Dezember ein deutschsprachiges Trash-Pop Debut voll ansteckender Selbstironie und jeder Menge L-O-V-E. Musikalisch schöpft die 30-jährige Schauspielerin sowohl aus dem Glam der 80er, 2000er Jahre Plastik Pop, wie zeitgenössischer DIY-Trap Kultur. Das alles vermengt zu einer geschmacklosvollen Schnulzengrütze im Zeichen der Liebe. Mit ihrer Lead-Single „Heartbreakerei“, die sie zusammen mit ihrer Rolle Fuffifufzich 2019 für das Theaterstück „don’t be evil“ entwickelt hat, verursachte sie lange vor dem Album schon einen kleinen Internet-Hype: „Hallo hallo ist da die Po-Polizei? Ich möchte Anzeige erstatten wege[n] Heartbreakerei!“ Wer jetzt nicht schmunzelt, hat noch nie geliebt! Vulnerabilität war selten so sexy und berührt mich in ihrem überzeichneten Ungeschminktsein tiefer als es mein 27 jähriges Ich, das 2022 grade das erste Mal seine Steuererklärung gemacht hat, eigentlich zugeben will. „Can you fühl what I feel für dich?“ Jaaaaaaaa und versprochen: ich wisch den Regen nicht mehr weg!
2. Petter Eldh x Koma Saxo x Sofia Jernberg – Koma West (We Jazz Records)
Explosive Ensemble-Arrangements treffen auf experimentelle Produktionsästhetiken sowie schiefe rhythmische Schübe. Unordentliche Bläser – und Streicher Linien verschmieren sich bis zur Unkenntlichkeit ineinander. Bassist, Bandleader und Produzent Petter Eldh schafft mit seiner 10-köpfigen Band eine aufregende Kollision von Post-Bop und Elektronik: die für mich spannendste Jazz Veröffentlichung des Jahres!
3. Salo – Rabatt (MOM I MADE IT)
Punk Attitüde, 80er Jahre Pop und ganz viel Zärtlichkeit! Mit seiner EP „Rabatt“ erotisiert das Wiener Schlitzohr Salo das Alltägliche; schwankt dabei charmant zwischen Fragilität und Stärke und rechnet ab mit Stereotypen und natürlich dem Kapitalismus. Mit Vorschlaghammer, Plüsch-Handschellen und flirty Zwinkern gegen das System in dir!
4. Yard Act – The Overload (Island Records)
Britischer Post-Punk & Sprechgesang… jaja die Welle hält noch immer an! Was hier Spannendes passiert? Eine Auseinandersetzung mit der eigenen Nation und Werten voll bissigem Humor und scharfen Beobachtungen zum England der Post-Brexit Zeit.
5. Kokoroko – Could we be more (Brownswood Recordings)
Drei Jahre hat sich das achtköpfige Ensemble mit ihrem ersten Album Zeit gelassen – und damit Recht behalten. Feinster Fusion aus Afrobeat und Jazz, geboren im Schoß der schillernden Jazz Metropole London.
6. Rahel – Die allerschönste Angst (Radio International)
7. Alexander Flood – The Space between (Label)
8. Sam Gendel – blueblue (Label)
9. Domi & JD Beck – Not Tight (Blue Note & Apeshit)
10. Bilderbuch – Gelb ist das Feld (Label)
Song des Jahres
Rolf Blumig – Sicherheit (Label)
Endlich wieder opus-artige 70er Jahre Songstrukturen im deutschen Pop. Der Staatsakt-Artist krächzt hier ein beißendes, aufwühlendes Pamphlet auf sicherheitsgesteuerte Gesellschaftsstrukturen in tiefe Psychedelic-Rock Riffs. Achtung: gewaltvoll, mystisch und uneindeutig!
Debut des Jahres
DOMi & JD BECK – Not Tight (blue note & Apeshit)
Die Gen-Z ist endlich im Jazz angekommen und kärchert mal den Staub der letzten Dekaden weg. Seit ihrem ersten Live-Performance Video auf youtube vor 5 Jahren warten Jazz-Enthusiast*innen weltweit auf diesen Moment: Die zwei jungen Trash-Heads DOMi & JD BECK verbinden auf ihrem Debut gekonnt Welten – flirrender Drum’n Bass meets Hip-Hop meets Fusion und selbst Herbie Hancock himself gibt einen Gast-Part am Vocoder zum Besten. Future is now and it’s “not tight”!
Artist des Jahres
Salo – (MOM I MADE IT)
Seit 2019 veröffentlicht der Wiener ADHS-Popper Salo unermüdlich Single nach Single. Während es in den ersten Jahren noch viel um Trennungsschmerz und imaginierte Liebschaften geht, kriegt sein Post-Wave geprägter Pop-Punk 2022 eine deutlich gesellschaftspolitischere Stoßrichtung. Im Mittelpunkt weiterhin ein kreischendes lyrisches Ich auf der Suche, das eigentlich mal Schriftsteller werden wollte – schön dass es zur Musik gefunden hat.
Schlechtestes Album des Jahres
Tokio Hotel – 2001 (Epic Records)
Nach dem diesjährigen wiederkehrenden Medienrummel um die zwei sympathischen Kaulitz-Zwillingen scheint sich die deutsche Musiklandschaft mit ihrem 2000er Jahre Lieblings-Mobbingopfer wieder versöhnt zu haben – jedenfalls so etwas wie Reue zu empfinden oder wenigstens vorspielen zu wollen. Immerhin kann Frontsänger Bill Kaulitz im Jahr 2022 an vielerlei Diskurse anknüpfen, gar als pop-kulturelles Vorreiter-Symbol für Kämpfe queerer Bewegungen herhalten. Und plötzlich haben sich doch alle wieder lieb! Diese erfreuliche Pop-Kultur Konvergenz hat selbst mich interessiert, drum hab ich den beiden auch das ein oder andere Mal in ihren zahlreichen Interviews und Podcast-Besuchen bei ihren belanglosen Erzählungen über die Inside-Storys Hollywoods zugehört. Ich war ihnen wohlgesonnen und hätte mich sehr über ein überraschend gutes Tokio Hotel Album gefreut, leider bleiben auf den 16-Tracks allerdings einfallsloser Baukasten-Plastik-Pop, der noch nicht mal so recht in den 2000ern hängengeblieben ist. Schade, aber eigentlich erwartbar.
Schlimmster Song des Jahres
Artist – Titel (Label)
Ich erinnere mich glücklicherweise nicht daran! Focus on the good things in life, you know? Tokio Hotel war da letztes Jahr die Ausnahme – und die haben’s vermutlich auch nur in mein Langzeitgedächtnis geschafft, weil der Song „Fahr mit mir (4×4)“ 12-mal die Woche auf uniFM lief.