Sonntag in der Früh ging es los und wir waren bereit für sieben Stunden Zug. Ausgestattet mit Masken, belegten Broten und einem guten Buch wollten wir in die erste Bahn steigen. Aber nix da! Unser erster Zug fiel aus – und somit auch alle geplanten Anschlüsse. Unsere Reise könnt ihr hier in unseren Instagram Highlights ansehen.
Die Mindestabstände konnten eigentlich fast überall eingehalten werden, außer beim Ein- und Aussteigen. Alle Zugreisenden hatten ihre Masken auf, auch in den Bahnhöfen. In den Niederlanden war es genauso – zumindest am Bahnhof. Wir dachten in unserem Nachbarland könnten die Corona Regelungen ja eigentlich gleich sein. Es ist ja sonst auch so vieles gleich in den beiden Ländern (von den Supermärkten bis zu den Lieblingsautos). Aber da täuschten wir uns!
Nach unserer Ankunft in Den Haag brachten wir unser Gepäck zu unserem temporären neuen Zuhause – das Haus von Freunden von Sophies Familie mitten in der Innenstadt. Dann gingen wir einkaufen und waren geschockt. Hier hatte niemand eine Maske auf, nicht mal die Mitarbeitenden! Und auch das Einhalten der Mindestabstände wurde mit einem Auge zu eingehalten. Wir fühlten uns ein bisschen komisch, aber ließen die Masken auf. Das führte dazu, dass alle Einkäufer*innen einen großen Bogen um uns machten. Vermutlich weil sie dachten, wir wären ansteckend.
Abends ging es dann in eine Kneipe in der Innenstadt von Den Haag. Auf einem kleinen Platz tummelten sich fast 100 Leute. Sie saßen eng beieinander, plauderten, tranken Bier und Cocktails, wurden bedient und alles ohne Maske oder Mindestabstand. Auch wurden keine Kontaktdaten von den Kneipen und Bars gesammelt. Es war zwar ein schöner lauer Spätsommerabend, aber irgendwie hatte ich ein ganz komisches Gefühl. Ich fragte mich: Ist das sicher hier? Was ist, wenn ich mich hier doch ansteckte? Welche Folgen hat so eine Corona-Infektion auf lange Sicht?
In Den Haag wirkte es so, als ob es Corona gar nicht gäbe. Nach einem Getränk gingen wir dann auch wieder.
Am nächsten Tag waren wir mit dem Fahrrad unterwegs zum Strand. Da es nicht mehr Hochsommer war, war dieser leer und wir konnten kilometerlangen Abstand zu anderen halten.
Abends kam dann die Schreckensnachricht: Über 500 Neuinfektionen in Den Haag! Nur in Amsterdam gab es mehr Infektionen. Der Bürgermeister von Den Haag führte das auf die kühler werdenden Temperaturen des Herbsts zurück. Die Leute würden sich eher innerhalb von Räumen aufhalten und draußen enger beisammen sitzen.
Für uns hieß das strikte Maskenpflicht und möglichst große Menschenmengen vermeiden, für die Niederländer*innen änderte sich nichts. Auch unsere Host machte sich nicht viel aus dieser Nachricht, sie nahm es gelassen, da sie selbst kaum Kontakt zu anderen Niederländer*innen hat. Außerdem sagte sie, dass sie keine Angst vor einer Infektion hätte.
Trotzdem wollten wir ja Urlaub machen und fuhren an unserem letzten Tag mit dem Zug nach Leiden, eine Universitätsstadt direkt neben Den Haag. Leiden sieht aus wie Amsterdam nur in klein mit vielen Grachten, süßen Cafés und kleinen Läden. Der Zug war nur spärlich besetzt, dafür war es in der Stadt umso voller. Tourist*innen und Studierende liefen und fuhren durch die Gassen und Straßen, tranken Kaffee und gingen shoppen – alles ohne Maske, alles wie vor Corona.
Nach einem kleinen Erkundungsgang durch die Stadt wurden wir vom Regen überrascht und setzten uns in ein Café. Auch hier wurden wir ohne Maske bedient, aber bestellt wurde online. Die Kellnerin sagte, dass sie keine Angst vor Corona habe und auch nicht davor, sich bei einem Touristen anzustecken. Trotzdem meinte sie, dass sie ihre Großeltern zur Zeit nicht besuche.
Nach dem Regenschauer fuhren wir zurück nach Den Haag.
Auf der langen Reise zurück nach Deutschland reflektierte ich über die scheinbar sorglosen Niederländer*innen. Hatten sie vielleicht ein stärkeres Immunsystem? Oder nahmen sie mögliche Infektionen und Todesfälle einfach nicht so ernst? Ich kann es nicht erklären, warum trotz steigenden Infektionszahlen auf eine Maske verzichtet wird. Vielleicht liegt es an ihrer calvinistischen Mentalität oder daran, dass jede*r für sich selbst verantwortlich ist. Schließlich ist es ja nicht verboten, eine Maske zu tragen …