Prof. Lars Feld hat als einer der fünf „Wirtschaftsweisen“ die Bundesregierung in Fragen der Wirtschaftspolitik beraten. Die sozialen und ökologischen Herausforderungen unserer Zeit können nur durch marktwirtschaftliche Prinzipien gelöst werden, sagt Prof. Feld im Interview mit uniCROSS.
Prof. Feld ist Leiter des Freiburger Walter Eucken Instituts, ein sozial- und wirtschaftswissenschaftliches Forschungsinstitut im Umfeld der Universität Freiburg. Seit 1954 befasst es sich mit ordnungspolitischen und ökonomischen Fragen im Sinne des sogenannten Ordoliberalismus der „Freiburger Schule“. Das Institut ist benannt nach Walter Eucken, einem der Begründer des Ordoliberalismus.
Im uniCROSS-Interview spricht Prof. Feld über niedrige Löhne, Verbote in der Umweltpolitik, Preise für CO2-Ausstoß, internationale Vereinbarungen und gutes Gewissen.
70 Jahre Soziale Marktwirtschaft:
uniCROSS-Interview mit Professor Lars P. Feld
uniCROSS: Dieses Semester beschäftigen wir uns mit dem Thema „Soziale Marktwirtschaft“ und sind dafür heute im Walter-Eucken-Institut. Walter Eucken war ein Ökonom, ein Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Freiburg und gilt als einer der Mitbegründer oder zentralen Ideengeber für das Konzept der Sozialen Marktwirtschaft. Professor Lars Feld ist der Leiter des Walter-Eucken-Instituts und verwaltet sozusagen den intellektuellen Nachlass von Herrn Eucken. Herr Professor Feld, was kann man unter dem Begriff Soziale Marktwirtschaft überhaupt verstehen?
Prof. Feld: Das ist gar nicht so einfach in möglichst wenig Worten. Also ich fange mal mit dem marktwirtschaftlichen Teil an.
Das ist einerseits, wenn Sie die Rahmenbedingungen für die Marktwirtschaft anschauen, ein auf individuellen Entscheidungen basierendes Marktsystem, das mit dezentralen Entscheidungen über Märkte Angebot und Nachfrage koordiniert. Das wichtigste Koordinierungsinstrument sind die Preise, mit denen auf den Märkten gehandelt wird, die wesentliche Signale setzen für alle Beteiligten, letztlich auch für temporale Entscheidungen, Investitionsentscheidungen für die Zukunft beispielsweise, Sparentscheidungen für die Zukunft, Innovationen, die kommen müssten, wenn man bestimmte Preisentwicklungen hat und ähnliches.
Was sich in dem Konzept „Soziale Marktwirtschaft“ vor allen Dingen niedergeschlagen hat, ist die Vorstellung einer Wettbewerbswirtschaft. Das sind also die Preise, die sich auf den Märkten ergeben, im Wettbewerb zwischen unterschiedlichen Unternehmen, und auch -wenn man das genauer betrachtet – zwischen unterschiedlichen Nachfragern ergeben müssen. In diesem Fall lässt sich unter bestimmten Bedingungen auch zeigen, dass es ein optimales Ergebnis zustande bringt für die Zuteilung von unterschiedlichen Ressourcen, die es gibt.
Das war jetzt der marktwirtschaftliche Teil. Wenn man jetzt den sozialen noch dazu zählt, was kommt dann heraus?
Also ich muss einerseits sagen, dass allein schon für diesen marktwirtschaftlichen Teil, wenn er wettbewerblich ausgerichtet ist, sichergestellt wird, dass keine Machtkonzentrationen stattfinden und das alleine für sich genommen ist schon ziemlich sozial, weil über Machtkonzentrationen Ausbeutung passieren kann. Das verhindert der Wettbewerb beispielsweise zwischen Unternehmen ein Stück weit.
Zusätzlich bringt der soziale Teil die Frage auf, welche Form von sozialem Ausgleich man – nachdem die marktwirtschaftlichen Entscheidungen getroffen worden sind – zum Einsatz bringt. Also beispielsweise wenn wir unser System der Sozialversicherungen anschauen, der Grundsicherung, also früher Sozialhilfe, die verschiedenen Grundsicherungs-Tatbestände, dass eben auch eine gewisse Form von Umverteilung vorgenommen wird im Steuer-Transfersystem, um dafür zu sorgen, dass unerwünschte Verteilungsergebnisse korrigiert werden können.
Also bei Sozialer Marktwirtschaft geht es einerseits darum, Wettbewerb zuzulassen, um Kartellstellungen zu verhindern, und gleichzeitig auch über die Steuern, die Sozialversicherung und so weiter einen gewissen Ausgleich zu schaffen. Was hatte denn jetzt Herr Eucken damit zu tun?
Walter Eucken interessierte vor allen Dingen die Wettbewerbswirtschaft und die Frage, wie sich über die Wettbewerbspolitik Rahmenbedingungen für die Marktwirtschaft sicherstellen lassen. Es geht ja nicht nur darum, Wettbewerb zuzulassen, sondern ihn sicherzustellen, also regelrecht zu fördern und dafür zu sorgen, dass ein Wettbewerb stattfindet.
Aber letztlich, wenn man sich Euckens Werk genauer anschaut, hat er wesentlich mehr gemacht als nur diesen besonderen Aspekt. Der war in der politischen Diskussion bei ihm und seinen Mitstreitern, insbesondere Franz Böhm, von besonderem Interesse. Aber es ging ihm auch darum, in seinem Fach eine Weiterentwicklung zu erreichen, eine stärkere theoretische Ausrichtung der deutschen Volkswirtschaftslehre sicherzustellen. Und auf der anderen Seite insbesondere in seinem Werk “Grundsätze der Wirtschaftspolitik” Grundprinzipien wirtschaftspolitischen Handelns festzulegen. Also das, was wir heute als Ordnungspolitik kennen, also dass der Staat über die Festlegung der Rahmenbedingungen die Regelsetzung, Wirtschaftspolitik betreibt und nicht unmittelbar ins tägliche Marktgeschehen durch interventionistische Maßnahmen eingreift.
Jetzt ist Herr Eucken schon vor knapp 70 Jahren verstorben, er kann uns jetzt nicht mehr mitteilen, wie erfolgreich er die Umsetzung dieser Idee beurteilt. Jetzt würde ich Sie bitten, als einen der Nachfolger von Herrn Eucken sozusagen, mit mir eine kleine Bestandsaufnahme zu machen. Wir haben ja gerade in Deutschland nahezu Vollbeschäftigung. Wenn ich das richtig gecheckt habe, haben lediglich 3,1 Prozent aller Menschen im erwerbsfähigen Alter keinen Job. Immer mehr Leute haben Zugang zu höherer Bildung. Die Studierendenzahlen gehen hoch und auch die Lebenserwartung steigt. Auf einer Skala von 1 bis 10: Wie erfolgreich ist die soziale Marktwirtschaft?
Die Extreme scheiden wir ja immer aus, aber irgendwo bei acht oder neun würde ich schon landen. Wenn man das wirklich langfristig betrachtet und überlegt, wo wir hergekommen sind mit diesem System, haben wir einerseits ein ordentliches Wachstum erreicht über all die Jahre. Der Wohlstand ist dann, wenn man das im Aggregat betrachtet, massiv angestiegen im Zeitablauf. Und zwar nicht nur in der Dimension Einkommen gemessen, sondern auch in der Dimension Teilhabe gemessen.
Sie haben den Arbeitsmarkt angesprochen, wir haben eine niedrige Arbeitslosigkeit, haben hohen Beschäftigungsstand und das überwiegend in sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung. Dort, wo Teilzeit dominant ist, ist sie meistens gewünscht. Selten, dass sie erzwungen wird, weil zu wenige Möglichkeiten existieren. Auch das ist nochmal ein Schlaglicht auf den gut funktionierenden Arbeitsmarkt.
Aber auch wenn sie sich andere Bedingungen anschauen, wir diskutieren ja viel über Umweltpolitik in unterschiedlichen Dimensionen, da sind massive Verbesserungen in den letzten Jahrzehnten erreicht worden, die vor allen Dingen auch damit zu tun haben, wie man richtige Rahmenbedingungen setzt, damit ein vernünftiges Wirtschaften stattfindet.
Und sie können letztlich ja noch eine weitere Dimension hinzunehmen; seit wir überhaupt Lebenszufriedenheit von Menschen messen, müssen wir mittlerweile feststellen, dass sie kräftig angestiegen ist. Die Deutschen sind so „glücklich“ wie noch nie. Das hat sicher seinen Grund.
Sie haben gerade „acht“ gesagt, also eine sehr positive Einschätzung. Gleichzeitig arbeiten acht Millionen Menschen in Deutschland im Niedriglohnsektor. Wir haben ja auch die Problematik, dass immer mehr Leute mit den Rentenansprüchen, die sie über die Zeit erwerben, nicht mehr im Alltag vernünftig leben können. Und gerade junge Menschen beschäftigt ja jetzt auch die Frage “Wie kann ich mir die Mieten in Großstädten noch leisten”. Da gibt es viele Sachen, die man ja auch anders sehen kann. Vor diesem Hintergrund auf einer Skala von eins bis zehn, würden sie bei der acht bleiben?
Ja, auf jeden Fall. Ich denke ja diese Herausforderung mit, sonst wäre ich unmittelbar bei zehn. Ich finde schon, dass die Herausforderungen bedeuten, dass es auch immer noch Verbesserungspotenzial gibt.
Wenn Sie die Themen ansprechen wie den Niedriglohnsektor. Erstens muss man hier feststellen, dass wir einerseits den Niedriglohnsektor ja vor allen Dingen deswegen verstärkt haben in den vergangenen 20 Jahren, seit Mitte der 90er Jahre vielleicht sogar, schon da gab es die Verstärkung im Niedriglohnsektor, weil wir eben eine sehr hohe Arbeitslosigkeit hatten. Die Kombination von einem niedrigen Lohn plus einem Zubrot, das der Staat über ein Aufstocken dieses Lohnes zahlt und damit ein gewisses Einkommen sicherstellt, dass wir in der Grundsicherung politisch als akzeptabel festgelegt haben, das ist meines Erachtens eine bessere Lösung als vollständig arbeitslos zu sein. Und das, was dann noch gezahlt wird an Transfer, ist typischerweise wesentlich höher.
Aber man hat nicht die Teilhabe im Unternehmen wie man sie ansonsten hat. Das ist also eigentlich ein Fortschritt gewesen. Und wenn wir immer noch viele Menschen in diesem Bereich haben, hat das einerseits damit zu tun, dass ein Teil derjenigen, die damals in den Niedriglohnsektor gekommen sind, es nicht geschafft haben, herauszukommen. Das hat aber vor allen Dingen auch damit zu tun, dass wir sehr viel Zuwanderung haben, die von außen in den Niedriglohnsektor kommt, sodass man das Ganze auch im Lebenszyklus betrachten muss. Also sich anschauen muss, wie sehr Menschen aus diesem Bereich in andere höhere Einkommen sich entwickeln können, beispielsweise über Bildung und ähnliches. Das zum Thema Niedriglohn. Ich will die zwei anderen Themen Rente und Mieten noch gar nicht ansprechen. Vielleicht kommen wir darauf nochmal zurück.
Das war ja eine sehr ökonomische Sichtweise auf dieses Problem Niedriglohnsektor. Sie argumentieren, dass es letztendlich auch ökonomische Vorteile hat. Wir haben neulich mit einer Soziologin gesprochen, Frau Jutta Allmendinger. Sie ist Präsidentin am Wissenschaftszentrum für Sozialforschung in Berlin und hat die soziale Komponente noch einmal stärker betont, indem sie sagt, das sind nicht nur wirtschaftliche Fragen, die da ausgehandelt werden, sondern auch letztendlich soziale, und diagnostiziert diese in den Trends vom Niedriglohnsektor und steigenden Mieten und so weiter. Letztendlich ein sehr grundsätzliches soziales Problem, wo es nicht mehr um ökonomische Kennzahlen geht, sondern auch um den Verlust von Vertrauen, dass Menschen, die in diese Systeme fallen, sich nicht mehr wertgeschätzt fühlen, dass die Gesellschaft sozusagen auf kurz oder lang zerfasert. Sehen Sie das Problem als Ökonom anders, oder gar nicht?
Ich sehe das Problem anders. Insbesondere auch, weil ich den Vergleich über die längere Frist ziehe. Meines Erachtens ist Teilhabe eher hergestellt, wenn man im Niedriglohnsektor tatsächliche Beschäftigung findet und da dann auch im Unternehmen die Möglichkeit hat sich weiterzuentwickeln, als vollständig in der Arbeitslosigkeit zu bleiben. Das alte System hat mit Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe dafür gesorgt, dass Menschen in dieser Falle geblieben sind und zwar viel stärker als heute. Die Art und Weise wie wir uns darum bemühen, die Leute, die arbeitslos sind herauszuholen aus dieser Situation und dann letztlich auch dafür zu sorgen, dass es keine Sozialhilfe-Dynastien über die verschiedenen Generationen gibt. Diese Bemühungen sind heute viel stärker intensiviert und viel erfolgreicher als wir das in der Mitte der 90er Jahre oder den 80er Jahren gehabt haben.
Ich glaube, dass die Diskussionen, die nur nach vorne gerichtet sind, die Probleme heute sehen und befürchten, dass es eine Zerfaserung der Gesellschaft gibt, vernachlässigen, dass wir in der Vergangenheit mit diesen Mechanismen, die wir heute sehen, auch sehr viel Lösungen geschafft haben. Was jetzt nicht heißt, dass wir damit schon zu Ende sind. Deswegen bin ich ja bei acht und nicht bei zehn.
Wir müssen sicher dafür sorgen, dass wir über die Bildungsmöglichkeiten, die wir schaffen, die Leute nicht im Niedriglohnsektor halten. Und auch da gibt es massive Fortschritte. Früher waren arbeitsmarktpolitische Maßnahmen nicht wirklich auf die einzelnen Personen zugeschnitten, die arbeitslos waren. Wenn Sie ins Arbeitsamt kamen, wurden sie mit ihrem Nachnamen, der mit einem bestimmten Buchstaben beginnt, einem bestimmten Sachbearbeiter oder Sachbearbeiterin zugeordnet, die überhaupt nicht genau wusste, wie sie sie nachher wirklich über Fortbildungen wieder in einen Job bringen. Sondern als allererstes mal einen Computerkurs vermitteln, auch wenn sie Fleischerei-Fachverkäufer gewesen wären. Der Computerkurs hätte als allererstes dagestanden und nicht die Vermittlung in einer Metzgerei.
Das sind Probleme von damals gewesen, die wir heute viel besser lösen. Wir schneiden diese arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen heute auf die Fähigkeiten der Personen und auf ihre Bedürfnisse viel besser zu als früher. Das hilft letztlich, diese Dynastien von Sozialhilfe-Karrieren zu durchbrechen und das, was manche Schüler oder Kinder aus Familien, die in der Grundsicherung sind, als Berufsziel angeben, nämlich den Hartzer. Um das nicht zustande kommen zu lassen. Von daher glaube ich, dass wir sehr wohl wissen, dass es Verbesserungspotenzial gibt, aber dass man auch sehen muss, dass schon viel erreicht worden ist.
Sie sind ja auch letztendlich nicht nur Leiter des Instituts und Professor hier an der Universität Freiburg für Wirtschaftspolitik, sondern auch einer der sogenannten Wirtschaftsweisen. Sie sind Teil des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und damit beraten sie direkt die Bundesregierung und die Kanzlerin. Jetzt haben Sie ja schon als Argument angebracht, dass der Niedriglohnsektor seine Vorteile hat, weil dadurch Arbeitsplätze geschaffen werden. Die gleiche Diskussion hatten wir aber auch beim Mindestlohn. Als damals argumentiert worden ist, und wenn ich mich recht entsinne, stand das auch in ihren Gutachten, die sie zu verantworten haben, dass da ein Widerspruch besteht, dass sobald man die Löhne erhöht dadurch Arbeitslosigkeit letztendlich generiert wird. Das hat man ja jetzt nicht beobachten können im Nachhinein. Viele junge Menschen profitieren ja beispielsweise jetzt vom Mindestlohn.
Bei den jungen Menschen schauen wir noch mal ob das darauf wirklich bezogen ist. Wir haben damals ganz klar gesagt, und das ist etwas, das wir heute immer noch unterschreiben, zumindest eindeutig mehrheitlich vier zu eins würde das wohl ausgehen, dass es nicht einfach auf die Lohnhöhe an sich ankommt, sondern auf die Frage, ob der Lohn, der gezahlt werden muss, dem entspricht, was diese Person an Produktivität erzielt. Ob das nun irgendwelche Stücke sind, die da produziert werden, oder ob es Dienstleistungen sind, die erbracht werden, das, was letztlich dabei an Produktionseinheit da ist, die dann zu einem bestimmten Marktpreis verkauft werden kann.
Wenn ein Lohn, der gezahlt wird, deutlich über dem Produktivitätsniveau liegt, dann besteht die Gefahr, dass diese Person entlassen wird. Unsere Befürchtung war, dass über den Mindestlohn Beschäftigung vernichtet wird. Unsere Prognose war, dass das im darauffolgenden Jahr nach Einführung des Mindestlohns bei etwa 100.000 Personen liegen würde. Die Bundesagentur für Arbeit, genauer das Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung, nicht verdächtig, ordnungspolitisch besonders ausgerichtet zu sein, hatte im Nachhinein errechnet, dass der Arbeitsplatzverlust im Jahr 2015 bei etwa 60.000 bis 80.000 Stellen lag. Das spüren sie in einer Hochkonjunktur wie wir sie 2015 im Grunde bis heute hatten nicht, weil so viel zusätzliche Jobs entstehen. Aber der Arbeitsplatzverlust war trotzdem da, wir waren aber nicht diejenigen, die gesagt haben, es gibt fünf Millionen Arbeitslose.
Aber dennoch haben ja auch rund drei Millionen Menschen von einer Lohnerhöhung von bis zu 30 Prozent profitiert.
Aber Sie müssen natürlich schon sehen, dass es dadurch Umschichtungen auf dem Arbeitsmarkt gegeben hat, die nicht unproblematisch sind. Also beispielsweise verbleibt bei jemandem, der den Mindestlohn bekommt, am Ende das gleiche Monatseinkommen, weil das Unternehmen weniger Stunden arbeiten lässt. Das heißt, wir haben vor allen Dingen Reaktionen auch in der Arbeitszeit beobachtet. Eine kräftige Arbeitszeitreduktion in diesem Segment des Arbeitsmarktes, nicht gesamtwirtschaftlich, aber in diesem Segment des Arbeitsmarktes.
Wenn ich jetzt daran denke, was man eigentlich damit erreichen will, nämlich, dass die Leute besser von dem, was sie verdienen, leben können, im Hinblick darauf ist nicht viel erreicht, weil das Netto-Einkommen, das danach verbleibt, ist ungefähr das gleiche wie vorher.
Das hat aber auch irgendwo etwas mit Wertschätzung zu tun. Das ist ja wieder eine sehr ökonomische Zahlenbetrachtung. Für viele Menschen geht es ja auch darum, dass sie merken, okay, ich arbeite und muss nicht mehr danach auf Hilfe angewiesen sein indem ich beim Arbeitsamt vorspreche und einen Antrag auf Unterstützung stelle.
Die Frage, ob ich auf Hilfe angewiesen bin, ändert sich ja nicht. Wenn ich vorher ohne Mindestlohn ein Einkommen hab, das so niedrig ist, dass ich besser einen Antrag stelle, um aufstocken zu können, dann will ich das hinterher bei der geringen Arbeitszeit immer noch tun müssen. Oder man muss sich einen anderen Job suchen, bei dem ich dann mehr arbeiten kann.
Ich habe ja auch mehr Wochenarbeitszeit zur Verfügung für andere Jobs. Also so einfach ist das mit dem „zusätzlich“ da nicht. Die Wertschätzung ist so ein schwieriges Ding. Wertschätzung haben Sie auch in Jobs, in denen Sie ehrenamtlich arbeiten und überhaupt keine Bezahlung bekommen. Da spielt dann die Bezahlung nicht unbedingt die große Rolle, sondern die Wertschätzung ergibt sich aus dem Arbeitsprozess und dem Verhalten in der Organisation, nicht zuletzt auch des Arbeitgebers, aber zumindest der Vorgesetzten in dieser Organisation. Das ist ein anderes Thema.
Wir kommen jetzt vom Mindestlohn mal zur Umweltpolitik. Ich habe es ja schon erwähnt, Sie sind Teil des Beratungsgremiums für wirtschaftliche Fragen der Bundesregierung. Und ob die Bundesregierung in der jetzigen Verfassung bleibt, ist ja jetzt wieder so eine Frage, und da kann es ja durchaus sein, dass es da in der nächsten Zeit zu Änderungen kommt und neue Personen sozusagen verantwortlich sind für die Wirtschaftspolitik in Deutschland. Neulich hatten wir auch eine dieser Personen, die da in Frage kommen, bei uns im Studio, Herr Habeck von den Grünen, und der hat betont, dass die Soziale Marktwirtschaft letztendlich auch ökologische Aspekte betonen muss und in dem Kontext auch für so eine Art Rehabilitation des Verbotsbegriffs plädiert. Er wollte stark machen, dass Verbote per se überhaupt nichts wirtschaftsfeindliches seien. Wenn er jetzt irgendwann Teil der Bundesregierung sein sollte, wie muss man sich dann so ein Beratungsgespräch mit Ihnen vorstellen.
Ja, vermutlich würden wir anstatt Grundsatzdiskussionen zu führen uns um die konkreten Fragen kümmern und nicht versuchen, irgendwie beim Thema soziale Marktwirtschaft oder Ordnungspolitik anzusetzen. Ich rate immer dazu, zwischen Ordnungspolitik und Ordnungsrecht zu unterscheiden.
Könnten Sie den Unterschied kurz erläutern?
Die Ordnungspolitik betont, dass der Staat die Rahmenbedingungen für die Marktwirtschaft und damit für das Marktgeschehen setzen soll. Beim Ordnungsrecht greifen wir unmittelbar ein, indem wir über Gebote, Verbote, klare Vorschriften, was zu tun und zu lassen ist, unmittelbar intervenieren. Und wie Sie das auch immer sehen wollen, die Mietpreisbremse oder Mieten deckeln sind klare Verstöße gegen die Vorstellungen, die wir in der Ordnungspolitik entwickeln. Da würde man versuchen die Rahmenbedingungen zu setzen und nicht den Preis festzulegen.
Der Mindestlohn ist das gleiche, da legen wir den Preis fest und das greift unmittelbar ins Marktgeschehen ein und hat auf Dauer ungünstige Auswirkungen. Deswegen bin ich bei Verboten immer etwas zurückhaltend. Es gibt sicherlich Bereiche bei denen man sagen kann, das ist ethisch so wichtig in unserer Gesellschaft, dass wir hier ein Verbot aussprechen. Was wir aber in der Umweltpolitik sehen, sind ja sehr kleinteilige Vorgaben, die gemacht werden. Und da ist die Befürchtung schon, dass man damit in Richtung Planwirtschaft geht, also nicht in Richtung Marktwirtschaft.
Aber wie sieht denn dann eine Walter-Eucken-gerechte Umweltpolitik aus. Wir haben ja dringende Probleme zu lösen. Da sagen die einen, wir brauchen unter anderem auch mehr Verbote. Aber wie kann eine marktgerechte Antwort auf den Klimawandel und CO2-Ausstoß lauten?
Nur über Preise in internationalen Vereinbarungen. Das sind die zwei wesentlichen Punkte. Wenn man das nicht erreicht, dann wird man über Verbote und Gebote nach und nach erstens die Bereitschaft der Bürger für eine solche Politik erodieren und auf der anderen Seite die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft zerstören.
Wenn sie CO2 nicht bepreisen, wird es nicht eingespart. Wir haben sehr viel Erfahrung mit der sogenannten Energiewende. Es ist nicht wirklich eine Energiewende, weil sie ja nur im Strombereich stattfindet und die Erneuerbaren dort ihren Atomstrom ersetzt haben. Die fossilen Energieträger laufen weiter wie bisher und verpesten die Luft genauso wie vorher. Insofern hat uns diese enorm teure Politik, eine riesige Subventionierung für erneuerbare Energien, nicht viel gebracht, in Bezug auf das Ziel Klimawandel und Klimaschutz.
Deswegen muss man eher davon ausgehen, dass Subventionen in diesem Bereich fast in jeder Hinsicht keine Wirkungen haben, sondern nur ungeheuer teuer sind. Ähnliches gilt für Verbote. Die Vorstellung, dass der Staat genau weiß, was die richtigen Technologien in der Zukunft sind die wir brauchen, ist ebenfalls verfehlt. Wenn Sie einen Preis setzen, dann passen sich die Marktteilnehmer entsprechend an und werden einerseits CO2 einsparen, andererseits sich aber auch Gedanken darüber machen, wie man über Innovationen CO2 in der Zukunft kostengünstig einsparen kann. Das ist einerseits statisch gesehen so, dass diejenigen, die am leichtesten CO2 einsparen können, es tun werden. Und andererseits dynamisch so, dass wir eben auch im Zeitablauf über Innovationen immer weitere Einsparungen bekommen.
Jetzt muss man berücksichtigen, deswegen habe ich die Internationalität mit hinzugenommen, dass das nur funktioniert, wenn wir letztlich über die Klimaabkommen zu weiteren Verbesserungen kommen. Ich sage das sehr vorsichtig, weil wir einerseits optimistisch erweise sagen können: Es gibt schon einiges an Emissionshandelssystemen weltweit, die auch miteinander verzahnt und aneinander angeschlossen werden könnten. Beispielsweise in China, das jetzt schärfer gestellt wird und in vielen US-Bundesstaaten, und das sind die zwei größten Emittenten, die wir weltweit haben.
Im EU-ETS funktioniert der Emissionshandel sehr gut. Der ETS erfasst 47 Prozent der Emissionen in Europa. Und seit der dritten Phase sind die Kinderkrankheiten von früher behoben, der Preis geht ordentlich nach oben, die Emissionen werden entsprechend reduziert und sogar mit Abstand zu den Emissionszielen, also übererfüllt sozusagen.
Also ist eigentlich alles in Butter?
Nein, Sie haben ja einen Teil der Sektoren, die nicht erfasst sind. Auch die deutsche Wirtschaft ist zu knapp der Hälfte durch diesen Emissionshandel erfasst. Aber die andere Hälfte nicht. Dazu gehören einige Dienstleistungen, die nicht erfasst sind. Die beiden großen Sektoren, die nicht drin sind, sind vor allen Dingen der Verkehr und der Gebäudesektor. Und dort wird es schwerer werden einzusparen.
Deswegen war unser Vorschlag, diesen Sommer in einem Sondergutachten mit einem nationalen Emissionshandelssystem vor allem diese beiden Sektoren zu erfassen. Das zunächst national laufen zu lassen für die nächsten zehn Jahre, um die Einsparungen, die wir in den Sektoren erbringen müssen, bis 2030 zu erreichen, und es danach in die EU zu überführen, damit wir eine europaweite Lösung bekommen. Ich denke, dass wir dann auch demonstrieren können, dass diese Form von Klimaschutz effizient ist und eher Nachahmer findet als eine Verbotspolitik oder Subventionspolitik. Dadurch haben wir bessere Chancen in den internationalen Vereinbarungen zu einem Ergebnis zu kommen.
Sie sagen jetzt, dass man vor allem über internationale Wege versuchen müsste, den Klimaschutz voranzutreiben. Und wenn das nicht funktioniert, ist Ihr Rat an die Bundesregierung, wenn überhaupt über diese Mechanismen auf nationaler Ebene noch Akzente zu setzen, um sozusagen Umweltkosten zu erhöhen. Ist das richtig.
Bundesregierung „falls das nicht funktioniert“ – das muss funktionieren. Wir sagen ihr: So funktioniert es. Wir sagen ihr: Anders funktioniert es nicht.
Wenn man Klimaschutz wirklich ernst nimmt, dann muss man einerseits auf Preise setzen und auf der anderen Seite dafür sorgen, dass man mit einer auf diese Art und Weise effizienteren Klimaschutzpolitik ein Vorbild ist. Nicht ein Vorreiter, sondern ein Vorbild. Das ist der Unterschied.
Ich formuliere das jetzt sehr naiv. Wir nehmen jetzt ganz viel Geld in die Hand und investieren das in den Ausbau erneuerbarer Energien. Warum funktioniert das ihrer Ansicht nach nicht? Was ist da das Problem mit dieser Subventionspolitik?
Das Problem mit der Subventionspolitik ist erstens, dass selbst wenn es ihnen gelingt die deutsche Wirtschaft vollständig auf erneuerbare Energien umzustellen, und das ist sehr fraglich, ob das tatsächlich gelingt, dass dann der Rest der Welt damit nicht erfasst ist. Im EU-ETS bedeutet das, was Herr Edenhofer mit dem berühmten Wasserbett-Effekt immer so gerne herausstellt. Wir sparen das ein. Damit werden Zertifikate im EU-ETS billiger und die dreckigen Kohlekraftwerke in Polen können mehr CO2 emittieren. Für den Klimaschutz ist überhaupt nichts gewonnen. Das ist das Problem, das wir hier haben.
Ist das Argument nicht schwierig, zu sagen, wir müssen nicht vor der eigenen Haustür kehren, wenn die anderen es nicht auch tun.
Das sage ich nicht. Ich habe nicht gesagt, wir müssen nicht vor der eigenen Haustür kehren. Ich habe nur gesagt, dass die Subventionierung von erneuerbaren Energien – in der Hoffnung, dass wir dann vollständig unseren Energiebedarf mit Erneuerbaren abdecken können, wie gesagt, das ist sehr fraglich, ob das gelingt, wenn man es genauer anschaut technologisch sehr schwierig – dass das nicht ausreicht bzw. eigentlich nichts bringt für den Klimaschutz. Sondern es gibt uns nur ein gutes Gefühl. Wenn Sie nur auf gute Gefühle aus sind, können Sie auch etwas anderes machen, das billiger ist. Es gibt ja bestimmte Drogen oder so. Vielleicht hilft das mehr.
Man muss einfach aufpassen, was man hier macht. Vor der eigenen Haustüre kehren heißt bepreisen von CO2. Das trifft alle und jeder muss das einsparen. Und dafür sorgen, dass man über diese Steigerung der Effizienz in der Klimapolitik international zu Vereinbarungen kommt. Das sind die zwei Schritte, die man erreichen muss.
Da ist man natürlich aber auch sehr abhängig von den anderen Staaten. Da kann man natürlich nicht gewährleisten, dass das überhaupt funktioniert, und dann ist man ja wieder am Anfang des Problems, da muss man dann einfach nichts machen.
Gewährleisten kann man sowieso wenig im Leben. Das ist nun mal so, dass das Leben voller Risiken ist. Und wir müssen solche Dinge, die nun mal internationale Probleme darstellen, auch international lösen. Da hilft nichts. Sie können sich nicht davor verstecken und sagen, da sind wir jetzt abhängig von anderen, wir lösen das Ganze allein. Wir können es nicht alleine lösen.
Wir haben zwei Prozent der weltweiten Emissionen. Die können wir vollständig einsparen. Dann haben wir ein gutes Gewissen, weil bei einem Prozent Bevölkerungsanteil an der Weltbevölkerung und zwei Prozent CO2-Emission leben wir sozusagen über unsere Verhältnisse. Aber jenseits des guten Gefühls haben Sie für den Klimaschutz nichts gewonnen.
Jetzt sind wir schon auf der globalen Ebene und den Herausforderungen, die sich aus einer globalisierten vernetzten Welt ergeben. Ihre Expertise betrifft ja auch die digitalen Großkonzerne. Wie können wir mit denen umgehen?
Ich bin in dem Bereich was Wettbewerbspolitik und digitale Ordnungspolitik anbetrifft vor allen Dingen ein Lernender und gewinne nach und nach ein bisschen was an Kenntnissen. Ich bin nicht von Haus aus Wettbewerbspolitiker oder -theoretiker. Aber gerade auch im Hinblick auf digitale Konzerne habe ich in den vergangenen Jahren sehr viel gelernt. Also beispielsweise welche Mechanismen ablaufen und am Ende für die Einkünfte dieser Unternehmen überhaupt sorgen. Sie zahlen für die Leistungen der Unternehmen ja kaum etwas oder nichts. Sie zahlen nicht für die Plattform Amazon. Sie bezahlen ja nur das Buch oder das sonstige Produkt, das sie dort erwerben, an den Verkäufer.
Die Plattform lebt einerseits von der Werbung, die sie schaltet, und andererseits von den Beträgen, die sie von den Anbietern bekommt. Und interessanterweise laufen da häufig im Hintergrund Auktionen ab in Millisekundenschnelle, dass die Anbieter, die besonders viel zahlen, eben auch als erstes genannt werden. Sowohl bei Google als auch bei Amazon ist das der Fall. Und allein das technisch zu verstehen und dann zu fragen, wo muss man jetzt hier ansetzen, um dafür zu sorgen, dass keine marktbeherrschenden Stellungen entstehen, das habe ich in den vergangenen Jahren sehr spannend gefunden, das einzusehen und zu lernen.
Es gibt verschiedene Mechanismen, mit denen man versuchen kann, anzusetzen. Einer, der sehr wichtig ist, ist die Möglichkeit der Übertragbarkeit von Daten. Es ist sicherzustellen, dass jeder Kunde dieses Unternehmens, dieser Plattform, die Möglichkeit hat, die eigenen Daten zu einem anderen Anbieter mitzunehmen und dadurch eventuell zu besseren Bedingungen zu kommen. Das ist ein wesentliches Element.
Es gibt noch eine Reihe anderer Dinge, bei denen man nochmal genauer nachfragen kann. Beispielsweise haben wir in der Fusionskontrolle Vorschriften, ab welcher Größenordnung der Staat mit seinem Kartellrecht überhaupt prüft, ob diese Fusion zu einer marktbeherrschenden Stellung führt. Da wird man niedrigschwelliger ansetzen müssen. Also schon fragen müssen, inwiefern Unternehmen im Allgemeinen, aber das gilt für die Digitalkonzerne besonders, weil uns da das Phänomen besonders stark aufgefallen ist, nicht schon aussichtsreiche, kleine Wettbewerber heute schon aufkauft, damit nicht in Zukunft sehr schnell ein Herausforderer entsteht. Also auch da werden entsprechend Anpassungen nötig sein. Das sind zwei Elemente von vielen.
Herr Feld, vielen Dank für das Gespräch.